13. Juli 2019

Wenn der Ofen ausgeht: Grüner Stahl und die Rückkehr der Atomkraft

Wie der eine oder andere Leser weiß, ist dieser Autor ein bisschen in der Welt des Stahls bewandert, insbesondere in seiner Erzeugung. Wenn man heutzutage nach Neuerungen und Innovationen in der Stahlindustrie sucht (die aktuelle METEC in diesem Jahr in Düsseldorf zeugt davon), dann gibt es neben dem unvermeidlichen Thema der Digitalisierung ein anderes, mehr oder minder interessantes Thema: Grüner Stahl.

Es wäre verfrüht zu sagen die ganze Branche sei elektrisiert von dem Thema (no pun intended), aber man kann auch nicht sagen, dass es ein Spartenthema wäre: Die Stahlindustrie beschäftigt sich mit der Erzeugung von Stahl ohne die Freisetzung von Kohlendioxid, denn die Stahlindustrie weltweit verantwortet ungefähr 7% aller Kohlendioxidemissionen. Deshalb erlaube ich mir an dieser Stelle ein paar Überlegungen zum Thema anzustellen und die eine oder andere Milchmädchenrechnung erster Güte ins Feld zu führen. 

Zunächst mal muss man dazu wissen, dass neben der (im Kontext von grünem Stahl recht trivialen) Elektrostahlroute der meiste Stahl weltweit immer noch durch die Hochofen-Konverterroute erzeugt wird. Lassen wir den Konverterprozess dabei einmal beiseite und konzentrieren uns auf den Hochofen. In einem Hochofen wird Roheisen erschmolzen (Roheisen ist eine Mischung aus etwa 96-97% Eisen, etwa 3-4% Kohlenstoff und ein paar kleineren Begleitelementen). Basis dafür ist eine Redoxreaktion (die eigentliche Hochofenreaktion), die man über den Daumen zusammenfassen kann, mit: Eisenerz und Kohle gehen rein, Eisen und Kohlendioxid gehen raus (das eigentliche Reduktionsmittel ist eigentlich Kohlenmonoxid, aber das sei der Vereinfachung halber mal außen vor gelassen). Es gibt verschiedene Eisenerze, aber damit gebräuchlichste und weltweit häufigste ist Hämatit (Fe2O3), dass zu etwa 70% (aufs Gewicht bezogen) aus Eisen besteht. Nehmen wir nun an, wir wollten eine Tonne Eisen aus diesem Erz erschmelzen. Eine Tonne Eisen hat knapp 18.000 mol und braucht damit ungefähr 9.000 mol Hämatit als Basis, die dann wiederum so gute 1,4 Tonnen wiegen. Die 0,4 Tonnen Differenz sind der Sauerstoff, ungefähr 27.000 mol, die wiederum mit Koks zu 13.500 mol Kohlendioxid verbunden werden. Die entstehende Menge an CO2 ist dabei so um die 600 kg. Das ist allerdings wirklich eine Milchmädchenrechnung, denn so ein Hochofen braucht auch Wärme, die bisher genannten Daten entsprechen rein dem chemischen Reduktionsmittel. Die deutsche Stahlindustrie ist inzwischen bei etwa 1,3 Tonnen, was soviel bedeutet, wie, dass die Hälfte der eingesetzten Kohle als Reduktionsmittel dient, die andere als Energielieferant. Beides zusammen braucht als Basis so knapp 360 kg reinen Koks. Koks kostet heute um die 50 Euro pro Tonne, also vielleicht 17 Euro pro Tonne Roheisen. Das ist der heutige Stand.

Grüner Stahl geht nun von anderen Überlegungen aus. Als Reduktionsmittel soll nicht länger Kohlenstoff sondern Wasserstoff zum Einsatz kommen. Die Idee ist zunächst Wasserstoff zu erzeugen und diesen in einem Direktreduktionsprozess (beispielsweise MIDREX) als Reduktionsmittel für Eisenerz einzusetzen. Der Prozess selber ist deutlich komplizierter (bestenfalls), aber an den chemischen (nicht physikalischen) Bilanzen ändert sich erst einmal nichts. Um eine Tonne Roheisen zu erzeugen (naja, nicht ganz Roheisen, eher Eisenschwamm, aber die Feinheiten wollen wir ja weglassen) braucht man immer noch 1,4 Tonnen Hämatit, die auch immer noch 400 kg Sauerstoff enthalten, der auch immer noch aus knapp 27.000 mol atomarem Sauerstoff besteht. Wasserstoff ist vom Gewicht her ein deutlich effizienteres Reduktionsmittel, denn um ein Mol atomaren Sauerstoff zu binden, braucht man gerade einmal zwei Mol (atomaren) Wasserstoff, die aber gerade 2 Gramm wiegen. Um die kompletten 400 kg Sauerstoff zu binden braucht man "nur" 37,5 kg Wasserstoff. Das klingt ja erst einmal schön. Das dumme ist: Die 37,5 kg Wasserstoff kosten auch Geld. Und zwar eine Menge. Um ein Kilo Wasserstoff elektrolytisch zu erzeugen (die Erzeugung durch Dampfreformierung lassen wir ebenso außen vor, denn sie produziert wieder CO2 in rauen Mengen) braucht man derzeit so um die 55 kWh, entsprechend braucht man für 37,5 kg so etwas über 2000 kWh. Jetzt lassen wir die energetische Seite einmal weg und gehen davon aus, dass der Prozess keine weitere Energie mehr benötigt (Thermodynamik macht die Welt noch komplizierter). Dann sind das immer noch 2000 kWh pro Tonne Stahl. Bei einem Preis von nur 10 Cent pro kWh sind das schon 200 Euro. Gegenüber 17 bei der Reduktion durch Kohle. Und 10 Cent sind nicht viel. Der in Deutschland so gehypte Grünstrom kostet mehr als das Doppelte. 

Nun existiert die Stahlindustrie nicht im luftleeren Raum. Der Wettbewerb ist international und es ist kaum davon auszugehen, dass ausländische Hersteller, insbesondere asiatische (die mehr als die Hälfte der Welterzeugung verantworten) sich auf das Spiel einlassen werden. Nur um mal ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: Eine Tonne Warmband (das ist die am ehesten vergleichbare Größe) kostet im internationalen Markt so um die 500 Euro. Das ist allerdings fertiger Stahl, der ist verfeinert, gegossen und gewalzt. Wenn nun das selbe Band aus "grünem" Stahl bestehen soll, dann kostet das alleine durch den Einsatz des Elementes Wasserstoff 40% mehr und das auch nur dann, wenn der Strom zu 10 Cent pro kWh erzeugt werden kann (was mit dem als "regenerativ" bezeichneten Zappelstrom kaum möglich ist). Das ist schlicht nicht wettbewerbsfähig. Aber spinnen wir noch weiter. Deutschland kann ja den Trump machen und einfach Zölle erheben, um den heimischen Markt zu schützen. Das dumme ist: Wir reden hier nicht von Steuern, die irgendwo im Kreislauf laufen (können....), sondern von einem tatsächlich höheren technischen Aufwand. Die deutsche Volkswirtschaft erzeugt derzeit etwa 30 Millionen Tonnen Stahl auf der Hochofenroute. Diesen Stahl "grün" zu erzeugen würde alleine Mehrkosten von wenigstens 6 Milliarden Euro produzieren. Und das ist "nur" Materialerzeugung.
Anders gesagt: Wir man es dreht und wendet, es funktioniert nicht. Die Intention ist (je nach Standpunkt) löblich, aber unter Berücksichtigung der Chemie ökonomischer Unsinn.

Dem schlauen Leser ist allerdings (wenn der die Überschrift überlesen hat) allerdings vermutlich der zentrale Knacktus längst aufgefallen. Alles hängt am Strompreis. Der Prozess ist prinzipiell denkbar (und ohne zu tief auf nichtöffentliches Wissen einzugehen, der Prozess wird in ca. zwei Jahren auch großtechnisch "bestellbar" sein). Er krankt nur eben am Strompreis. Käme man auf die Idee (und andere kommen auf diese Idee) das ganze mit "günstigem" Strom, beispielsweise aus einem effizienten AKW zu betreiben, dann sieht die Rechnung plötzlich ganz anders aus. Wenn die Stromgestehungskosten nur noch 5 Cent pro kWh betrügen wäre die Differenz nur noch bei 100 Euro pro Tonne. Könnte man die Energie gar auf 2 Cent drücken, wäre man unter Umständen (je nach Entwicklung des Kohlepreises) wieder wettbewerbsfähig. Da die europäische Stahlbranche im Unterschied zu ihrer internationalen Konkurrenz bereits heute mit CO2 Abgaben belastet wird, könnte unter Umständen die Belastung durch den Wegfall eben dieser wieder aufgefangen werden. Das dumme ist nur: Man braucht AKWs. Und nicht unbedingt kleine. Es ist gut denkbar, wenn sich CO2 nicht nur in Deutschland als reduziernotwendiges Abfallprodukt etabliert, wir international einen noch deutlicheren Ausbau der Atomkraft sehen werden, alleine um die gigantischen Wasserstoff-Mengen zu generieren. Aus Ingenieurs-Sicht bleibt es spannend. Nur nicht unbedingt in Deutschland.

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Llarian

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