Richard David Precht ist
der Robert Habeck der deutschen Philosophie. Wie der designierte Erlöser des
bundesrepublikanischen Gemeinwesens sonnt sich der mit einer eigenen Sendung im
Staatsfunk belehnte Weisheitsfreund in der ihm von Frauen und Medien entgegengebrachten
Bewunderung, die mit rationalen Argumenten oder bei einer verständigen
Würdigung der bisher erbrachten fachlichen Leistungen wohl nur schwerlich nachvollzogen
werden kann.
In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung
redet der Vordenker der geistigen Wellness nun staatlichen Verboten das Wort.
Zusammengefasst äußert der promovierte Germanist, dass sich Politiker nicht aus
Angst vor sinkenden Umfragewerten davon abhalten lassen dürften, das
Vernünftige zu tun, zumal der Wahlbürger bei Einschränkungen seiner Freiheit
erst verärgert sei, diese Restriktionen dann aber gutheiße, wie die Erfahrungen
mit dem Tabakbann in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten bewiesen. Eine
Umgestaltung der Gesellschaft sei viel leichter, als man denke. Denn: „Die
Menschen lieben Verbote.“
Man könnte sich jetzt an der großen Transformation der abendländischen Linken abarbeiten, die vor gut 50 Jahren noch mit dem Slogan „Il est interdit d’interdire“ („Verbieten verboten“) dazu angetreten waren, die diskursiven und mentalen Bleikammern unseres Kontinents zu durchlüften, denen hingegen die Schließung der betreffenden Fenster ein halbes Saeculum später gar nicht mehr schnell genug gehen kann. Auch wäre es zweifellos unterhaltsam, darüber zu sinnieren, ob sich Precht – vielleicht noch dazu völlig ironiefrei – für einen Liberalen hält. Weiters könnte man, wie in diesem Medium schon oft geschehen, darüber diskutieren, ob dieses Land nicht schon an zu vielen Verboten leidet. Im Ergebnis dürfte es kaum befriedigen, einem Zeitgeistsymbionten, der mit der Anpassung an den consensus bonorum und mit der Verkündung des weltlichen Evangeliums der letzten Tage sein Brot verdient, Anbiederung an die Erwartungen eines Publikums vorzuwerfen, das sich seines Verstandes gerne unter fremder Anleitung bedient.
Wenden wir uns also einem
anderen Punkt zu, und zwar einer Fragestellung, bei der man Precht sogar beipflichten
mag. Es ist zutreffend, dass die Deutschen Verbote lieben und sich
vergleichsweise schnell mit Einschränkungen ihrer Freiheit abfinden.
Anekdotisch kann ich bestätigen, dass die Relegierung des blauen Dunstes aus
der Gastronomie auch bei Rauchern Akzeptanz, wenn nicht sogar Zustimmung,
gefunden hat, weil man dadurch gezwungen ist, nicht mehr am Tisch zu qualmen,
sondern vor die Tür zu treten, was den Zigarettenkonsum angeblich senkt. Und
wenn man noch weiter zurückdenkt, zum Beispiel an die Einführung der Pflicht,
in einem Kraftwagen den Sicherheitsgurt anzulegen (dies ist natürlich streng
genommen ein Gebot, aber Gebote implizieren im Regelfall ein Verbot), so wurde
dies seinerzeit nicht widerspruchslos begrüßt, sondern gerade auch (und
nicht ganz unberechtigt) mit dem Paternalismus-Vorwurf belegt. Heutzutage sind
bekennende Anschnallmuffel ungefähr so angesehen wie Flatearther oder
Klimaleugner. Natürlich ist zu konzedieren, dass die Benutzung eines
Rückhaltesystems die eigentliche Freiheitsausübung, nämlich das Fahren mit
welchem (zugelassenen) Auto auf welcher Straße man will, nicht beeinträchtigt,
dies im Unterschied etwa zu den von linker Seite als unentbehrlich
propagierten, in Wirklichkeit Klassenkampf von oben darstellenden Dieselfahrverboten.
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Woran liegt es nun, dass
sich das – staatliche – Verbot zwischen Berchtesgaden und Buxtehude eines
derart guten Leumunds erfreut? Ich sehe dafür insbesondere zwei Gründe:
Zum einen gelten soziale
Unterschiede hierzulande als Bedrohung für den Zusammenhalt des Gemeinwesens.
Tatsächlich dürfte der in der Bundesrepublik zu verzeichnende gesellschaftliche
Frieden sehr viel mit einer starken Annäherung der Lebensverhältnisse zwischen
den verschiedenen Bevölkerungsschichten zu tun haben. Doch der Wunsch nach
Homogenität geht in Deutschland noch weiter. Als Idealzustand des Mit- und
Nebeneinanders der Menschen wird arithmetische Gleichheit propagiert oder doch
zumindest erträumt. Wenn es nichts mehr Trennendes zwischen den Individuen
gäbe, sondern alle ein in den wesentlichen Punkten übereinstimmendes Leben
führten, so der Gedanke, dann würden auch Interessenskonflikte und
Auseinandersetzungen zwischen diversen Gruppen verschwinden. Und natürlich
schafft nichts so sehr Vereinheitlichung wie das Verbot, das im Verbund mit
seiner zwangsweisen Durchsetzung ja gerade dazu angetan ist, einen bestimmten
Freiheitsraum zu blockieren, in dem materielle Ressourcen, Mut, das eigene
Gewissen oder sonstige vorhandene oder fehlende individuelle Voraussetzungen
die Grundlage für die Entscheidung bildeten, ob man etwas tat oder unterließ.
Das Verbot ist – anders ausgedrückt – unheimlich ordnungsstiftend.
Ansätze der soeben
beschriebenen Einstellung findet man schon im preußischen Militärstaat – dessen
Sozialismus sui generis von Spengler
im Kern, nämlich seinem Antagonismus zur liberalen Idee, durchaus zutreffend
herausgearbeitet wurde (im Spengler’schen Sinn war Bismarck Sozialist, was nur
bei einem ungenügenden Verständnis des Gemeinten und allzu großer Adhäsion an
politische Worthülsen überraschen mag). Die Vollausprägung des beschriebenen mindset begegnet dann im sogenannten
Dritten Reich und der DDR. (Dass die morphologischen Parallelen zwischen den
beiden deutschen Diktaturen sinnfällig sind, im öffentlichen Diskurs zwecks
Verharmlosung und Rehabilitierung des östlichen Unrechtsstaates und
insbesondere seines weltanschaulichen Unterbaus aber gern in Abrede gestellt
werden, ist offenkundig.)
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Der zweite (und mit dem
erstgenannten verwobene) Grund, warum von Köln bis Cottbus das staatliche
Verbot hohe Beliebtheit genießt, liegt meines Erachtens darin, dass die
Deutschen seit dem Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus vom Staat und dessen
obersten Repräsentanten eine Gebrauchsanweisung für das gute und rechtschaffene
Leben erwarten. Bezeichnenderweise verbreitete sich erst ab der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts die Rede vom „Landesvater“, der freilich nicht wie das
männliche Elternteil heutigen Zuschnitts, sondern eher wie der klassische
römische pater familias mit harter,
aber doch pflichtbewusster und wohlfahrtsorientierter Hand das persönliche
Schicksal seiner Untertanen, die nun zu „Landeskindern“ mutierten, zu gestalten
hatte. (Für zythophile Latinisten: Das "Salve, pater patriae" wurde erstmals anno 1780 formuliert.) Wie jeder Erziehungsberechtigte weiß, brauchen Minderjährige Verbote,
sonst würden sie bis zum Zuckerschock Schokolade essen; aufbleiben, obwohl sie
kaum noch Herr ihrer Sinne und Handlungen sind; oder ihre Freizeit mit
ununterbrochenem Bestarren des Smartphone-Screens verschwenden.
In der gegenwärtigen
Untersagungsdiskussion wird häufig ein entsprechendes Argument gebracht: So bekennt
sich selbst der achtsame und bewusste Grünen-Wähler zu seiner Schwäche mehrfacher
Langstreckenflüge pro Jahr, auf die zu verzichten ihn sein innerer Schweinehund
hindere. Und genau deshalb, weil der Einzelne zu bequem und inkonsequent sei,
das als richtig Erfasste, aber mit Unannehmlichkeiten Verbundene ins Werk zu
setzen, müsse ihn der Staat zu dem korrekten Verhalten verdonnern.
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Mangelnde Verwestlichung
ist das Grundleiden dieses Landes.
Noricus
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