5. Juni 2019

Miszelle: "Kein Pillepalle"

Es gibt Nachrichten, bei denen erübrigt sich weitgehend eine Kommentierung. Sie sind selbsterklärend - oder versprechen, es im Rückblick zu werden. Sie werden gleichsam nur zu Protokoll gegeben; wer sie notiert, gehorcht der Chronistenpflicht. (Die legendärste Variante stellt vielleicht Franz Kafka lapidare Notiz vom 2. August 1914 dar: "Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. - Nachmittags Schwimmschule.") Aus dem gleichen Zweck sei deshalb nur kurz die Meldung hergesetzt, die heute Mittag die BILD-Zeitung als zunächst exklusive Notiz mitzuteilen wußte, ehe sie von den übrigen Verteilern der Kommunikation am Dorfbrunnen des Global Village, Ortsteil Germanien aufgegriffen wurde.

"In der Union bahnt sich offenbar eine Wende an:

"In der Fraktionssitzung am Dienstag sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach BILD-Informationen, die Union solle jetzt „die Nerven behalten“ und sich vor allem beim Thema Klimaschutz noch über den Sommer gedulden, da man die beiden in Auftrag gegebenen Regierungs-Gutachten noch abwarten wolle. Doch danach dürfe es von der Regierung „kein Pillepalle mehr“ geben, sondern Beschlüsse, die zu „disruptiven“ Veränderungen führten. Schließlich sei seit 2012 beim Klimaschutz nichts mehr passiert.

"Die Union müsse bei dem Thema mit Lösungen überzeugen und darüber beraten, wie man am besten eine Bepreisung des Ausstoßes von umweltschädlichem CO2 erreichen könne. Dabei dürfe es nicht darum gehen, immer noch einen Cent hier und dort draufzuschlagen."

Dies ist eine Miszelle, wohlgemerkt, keine Marginalie. Denn was sich in dieser Ankündigung abzeichnet, dürfte alles andere als marginal sein. Offenkundig hat der Wahlerfolg der Grünen bei der Europawahl dazu geführt, daß sowohl Sozial- wie Christdemokraten beschlossen haben, der einzige Weg zu künftigem Erfolg bestehe darin, das Geschäftsmodell der Grünen zu kopieren und durch Erhöhung der utopistischen Regelungswut zu übertreffen. Was sich hinter der detailfreien Formulierung "kein Pillepalle" verbirgt, ist nicht schwer zu erraten. Es dürfte nicht darum gehen, die Anzahl der Windräder in Deutschland von jetzt rund 35.000 auf 300.000 zu erhöhen, in der eiteln Hoffnung, die Winde zum beständigen Wehen animieren zu können. Vielmehr dürfte es ein Hinweis darauf sein, daß die in unschönem Ringelreihen der verschiedenen Medien seit Monaten angekündigte "Bepreisung des Ausstoßes von umweltschädlichem CO2" (ein in ihrer Umständlichkeit typische Merkel-Formulierung), kurz: die CO2-Steuer, im Herbst alternativlos ins Haus steht. Die traurige Notwendigkeit, sich vor der nächsten Reiseetappe in grüne Etappe noch über den Sommer gedulden zu müssen, dürfte weniger dem Warten auf Feigenblatt-Expertisen geschuldet sein, sondern zum einen dem schlichten Umstand, daß es für die Parteien der GroKo keine Möglichkeit gibt, dies vorher in eine legal bindende Form zu gießen - in dieser Woche findet die letzte Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause statt; die darauf folgende Sitzung ist für die zweite Septemberwoche, dem 9.9.2019, angesetzt. Zum zweiten, weil man wohl erst das Verstreichen der drei im Herbst anstehenden Landtagswahlen - in Brandenburg und Sachsen am 1. September, in Thüringen am 27. Oktober - abwarten möchte, um die zu erwartende Marginalisierung der eigenen Parteien und das zu erwartende hohe Abschneiden der Blaualternativen (die zumindest in Sachsen die stärkste Kraft stellen dürften) nicht noch zu verschärfen. 


Der 5. Juni 2019 könnte also als das Datum verbucht werden, an dem der Schritt terminiert wurde, an dem das utopisch-ökologische "Projekt Gründeutschland" seine finale Phase eingeläutet haben wird. In dem der sowohl ökonomische wie ökologische Wahnsinn, der dieses Land seit Jahren unbeirrt im Griff hält, endlich an die Grenzen stößt, die ihm die eisernen Gesetze der Wirtschaft setzen, nachdem der Versuch, es mit Wind und Sonne zu versorgen und das bisherige Erfolgsmodell des carboniferous capitalism, der "kohlenstoffbetriebenen Marktwirtschaft", wie es der amerikanische Urbanist und Architekturhistoriker Lewis Mumford formuliert hat, ihm noch nicht das Genick gebrochen haben. Die Folgen einer konsequenten "Bepreisung" des bei jedem Verbrennungsvorgangs anfallenden "Klimagifts" dürfte höchst überraschende wie erschreckende Folgen nach sich ziehen - die, wenn die historische Erfahrung nicht trügt, für die Planer und Oktroyierer so unvorhergesehen kommen werden wie alle sozialistisch-dirigistischen Maßnahmen im Maßstab XXL der letzten 120 Jahre. Vor allem ist damit zu rechnen, daß sie exakt, pünktchengenau die Folgen nach sich ziehen werden, zu deren Überwindung sie in Kraft gesetzt wurden. Auch das werden sie mit den planwirtschaftlichen Exzessen rotsozialistischen Angedenkens gemein haben. Der Sozialismus alter Schule war nicht angetreten, um Elend, Ausbeutung, Aussichtslosigkeit und Elend hervorzubringen: im Gegenteil: es sollte sie, ein für allemal beseitigen. Und als Endresultat erzeugte er genau dies, in einem Ausmaß, daß alle überständigen Feudalordnungen und die Wachstumsschmerzen der boomenden Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts um ungeahnte Dimensionen übertraf. Die gleichen Folgen darf man, auch schon im Vorfeld und ohne Beispielsrechnungen, als Folgen einer CO2-Steuer voraussagen.

Es wurde in den vergangenen Monaten diverse kleine Listen veröffentlicht, die, augenscheinlich zur Beruhigung letzter Mißtrauenswallungen des pp. Publikums, die Kostenerhöhungen im Fall einer solchen anstehenden Bepreisung aufzählten. So "rechnete" Spiegel Online vor, daß der Preis für einen Liter Benzin von € 1,47 auf € 1,90 steigen werden; ein halbes Pfund Butter mit € 3,07 statt mit € 2,00 zu Buche schlagen, ein ganzes Pfund Rindfleisch statt € 4,50 nun € 6,50 kosten und sich ein Flug von München nach Hamburg von aktuell € 70 auf immer noch höchst zivile € 98,80 verteuern werde. Schon kurzes Nachdenken zeigt, daß es sich hier offenkundig um Milchmädchenrechnungen handelt. Die Annahme der Gesamtsumme des CO2-Eintrags, der durch Erwerb oder Einsatz einer Ware oder Dienstleistung anfällt, dürfte sehr arbiträr und blauäugig erfolgt sein. Übersehen wird vor allem, daß nicht nur die direkt dieser Transaktion zugeordneten Emissionen zu Buche schlagen, sondern auch alle, die in den Vorgängerstufen, beim Transport, bei der Bereitstellung der Rohstoffe und benötigten Vorprodukte hier direkt in den Endpreis einfließen müssen; sie lassen sich nicht ausgleichen oder etwa über Nebeneffekte (Schrauben und Bleche werden in zig Endprodukten verbaut) ausgleichen: die Bepreisung jeder unmittelbaren Freisetzung, und sei es nur durch die Verwendung von fossiler Energie, die bei der Stromproduktion anfällt, müssen zwingen in die Priese dieser Vorstufen - und damit in das Endprodukt eingehen. Synergieeffekte und erhöhte Effizienz, die mitunter als ausgleichende Faktoren genannt werden, dürften Illusion sein: an der effektiven Nutzung von Energie, an Materialersparnis, an einer Einsparung von Arbeitskosten  arbeitet die Industrie seit Jahrzehnten, Zugewinne dürften nur noch inkremental erfolgen; Effektivitätssteigerungen nur noch in wenigen Prozent des erforderlichen Aufwands möglich sein. Es ist übrigens gleichgültig, wie die Kennziffern der durch eine CO2-Steuer einsetzen sofortigen Teuerung ausfallen werden: ob der Endpreis um 100 Porzent steigt, um die Hälfte oder nur ein Viertel. Das Ergebnis wird unausweichlich sein, daß jeder Endverbraucher - also JEDER Teilnehmer am Wirtschaftsgeschehen - auf einen Schlag nur noch über ein Dreiviertel, ein Zweidrittel oder die Hälfte der bisherigen Kapitalkraft verfügt. Mit anderen Worten: wir werden einen unmittelbaren Inflationsschub von 30 oder 50 Prozent erleben. Natürlich werden die Verbraucher versuchen, dem durch größtmögliche Einschränkung des Konsums nach Kräften auszugleichen. Abgesehen davon, daß sich im vielen Fällen eine solche Reduktion bei täglich benötigten Ressourcen schlicht nicht durchführen lassen wird - der Energieverbrauch wird sich für den einzelnen Stromkunden kaum im Nu auf die Hälfte reduzieren lassen; auch der Lebensmittelverbrauch oder die Fahrtkosten. Für Betriebe und Dienstleister ist dies vollends ausgeschlossen. Im Klartext: der Konsum, und mit ihm das BIP und die daraus generierten Steuereinnahmen werden einbrechen, und zwar in drastischer Weise. Ebenso vorhersehbar ist, daß über diese Folgen (nicht zuletzt die anstehenden ebenso drastischen Lohnerhöhungen, mit denen Arbeitnehmer die oft existenziell bedrohlichen Mehrkosten auszugleichen versuchen werden) eine klassische Inflationspirale in Gang gesetzt werden wird. Im ersten Jahr mag dies noch erträglich wirken, aber die exponentielle Beschleunigung, die solchen Kreisläufen naturgesetzlich innewohnt, läßt sich nicht aufhalten. Drastische Inflationsschübe - wir haben es in der ersten Wirtschaftskrise gesehen, die 1921 noch recht kommode begann, mit einer Inflationsrate von 50% zu Beginn jenes Jahre, und dem Überschreiten der 1000%-Marge zwei Jahre später; auch bei der ziemlich vergessenen Episode der Jahre 1946-48, als die Schattenwirtschaft und der Mangel an Konsumgütern das Factum brutum der grassierenden Kaufkraftvernichtung weitgehend verdeckte.

Und just diese desaströsen Folgen werden ebenso drastische Steigerungen des CO2-Ausstoßes nach sich ziehen. Zwar ist abzusehen, daß weite Teile der industriellen Produktion einbrechen werden, aber die Ersatzmaßnahmen, zu denen die Menschen greifen werden: zum Hausbrand, weil man sich die Priese für Gasheizung nicht mehr leisten kann, zur lokalen Handfertigung kruder Ersatzprodukte: als das dürfte diese Bilanz in die Höhe treiben. Dieser "Racheeffekt" (wie der Technikhistoriker Edward Tanner das genannt hat) ist freilich belanglos: das tatsächliche Ausmaß des von Menschen "gemachten" "Klimawandels" dürfte sich gegen Null bewegen; der Anteil, den die Deutschen daran haben, dürfte ganz unkonjunktivisch mit "effektiv Null" zu beziffern sein. Deutschlands Anteil am "menschengemachten CO2-Ausstoß" beträgt zur Zeit 2,23%, sein Anteil am gesamten Treibhauseffekt 0,02%. (Auf dieser Zahlen kommt es natürlich nicht am: wir haben es hier mit einer religiösen Angelegenheit zu tun, in der des nur auf das Ringen um Erlösung ankommt, nicht auf Nachweise, Zahlen und pragmatische Überlegungen.)

Aber, um die Spirale eine Kehre weiter anzuziehen: die Folgen eines solchen Schritt  -und es nicht nirgend wahrscheinlich, daß der NICHT erfolgen wird - werden derartig einschneidend, derartig drastisch ausfallen, daß ein Abbruch des Experiments unausweichlich ist. Sei es, weil die handelden Menschen angesichts von Armut und Elend erkennen, daß sie sich seit vielen Jahren auf dem Holzweg befinden (und sei es nur in der sogar bundesdeutschen Wählern in ihrer Schlichtheit vermittelbaren Einsicht, daß sich etwaige "Klimafolgenschäden" nur mit Wohlstand und dem durch ihn ermöglichten Maßnahmen kompensieren ließen, nicht durch Dürftigkeit) und dem rigorosen Abbruch des Experiments. Oder weil die Grundlagen für die Fortführung des Kurses ins Desaster wegfallen, weil der Luxus von Energiewende, von Ressourcenvernichtung, E-Mobilität, und Biolandbau nicht mehr durchführbar ist. Angesichts der Hartleibigkeit grüner Illusionen und Traumtänzer steht das Zweite zu befürchten. Auch der Zeitrahmen für die bevorstehende Roßkur läßt sich, naturgemäß, nicht angeben. Wahrscheinlich ist nur, daß der gespenstische Tanz auf der Titanic, den sich diese Gesellschaft seit nun fast 10 Jahren leistet, keine drei Jahre mehr ungestört fortführen läßt. Fest steht nur: tertium non datur. Ja, liebe Greta-Fans, liebe unschuldig-naive Klimakids, die ihr jeden Freitag hüpft, weil man euch die Zukunft klaut: sie wird euch geklaut, und ihr dürft alsbald hautnah dabei sein. Aber nicht, weil wir Altvorderen die Atmosphäre in Brand gesetzt haben


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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.