1. April 2018

Tiangong-1. Das Ende des Himmelspalastes

Heute Nacht soll also - zwischen 22 Uhr abends und 5 Uhr am Morgen des Ostermontags - die erste chinesische Raumstation, der "Himmelspalast 1", 天宫一号, mit seinem "Rücksturz zur Erde", nach sechs Jahren und 184 Tagen und 37397 Erdumkreisungen, seine Reise beenden. Oder, um die etwas ungenauere Zeitmarge der chinesischen Raumfahrtbehörde 中国载人航天工程办公室/CSMEO, aus ihrer Meldung von heute morgen (oder sollte man, angesichts der Tatsache, daß die Beijinger Zeit der unseren während der Sommerzeit um sechs Stunden vorauseilt, sagen: von gestern?) zu zitieren:

中国天宫一号空间站回归地球的时间越来越逼近,中国载人航天工程办公室4月1号表示,天宫一号将于2日进入大气层,解体烧毁。但是否如中国官媒形容说,天宫一号等航天器回归时,会化成一身绚烂流星雨,划过美丽星空也是未知数。
中国载人航天工程办公室4月1日在官网表示,当日8时,天宫一号运行在平均高度约167.6公里的轨道上(近地点高度约161.0公里、远地点高度约174.3公里、倾角约42.70度)。预计北京时间2018年4月2日再入大气层。
但到目前为止,对于天宫一号碎片坠落的准确时间和地点都还是迷。

Der Zeitpunkt des Absturzes der chinesischen Raumstation Tiangong-1 rückt näher. Die Chinesische Raumfahrtbehörde teilte am 1 April mit, daß Tiangong-1 am 2. April in die Erdatmosphäre eintreten und dort auseinanderbrechen und verglühen wird. Allerdings teilten die chinesischen Behörden nicht mit, ob dies Schauspiel von der Oberfläche zu beobachten sein wird; ebenfalls nicht, ob es über der Nachthalbkugel unter einem Sternenhimmel stattfinden wird.

Chinas Raumfahrtbehörde teilte am 1. April um 8 Uhr morgens auf ihrer offiziellen Internetseite mit, daß Tiangong-1 sich in einer Umlaufbahn von durchschnittlich 167,6 Kilometern, mit einem Perigäum von 161,0 Kilometern und einem Apogäum von 174,3 Kilometern mit einer Neigung von 42,7 Grad zum Äquator bewege. In Beijing erwartet man den Eintritt in die Atmosphäre für den 1. April. Allerdings wurden die genaue Zeit und der genaue Ort des Absturzes nicht mitgeteilt.

Die europäische Raumfahrtbehörde ESA, die seit dem letzten November federführend an einem Projekt beteiligt ist, mit dem die Bahn der Raumstation überwacht wird (im Auftrag des IADC, des - holt tief Luft - Inter-Agency Space Debris Coordination Committee der Vereinten Nationen), an dem neben der ESA auch die CSMOE, die indische, japanische, südkoreanische und die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos beteiligt sind (geleitet wird dieses Projekt übrigens von der deutschen Zentrale der ESA in Darmstadt), twitterte am frühen Nachmittag diesen Sachstand:

ESA Operations
@esaoperations
Our latest forecast ((link: http://blogs.esa.int/rocketscience) blogs.esa.int/rocketscience) is likely our last before reentry - expected anytime from this evening to early tomorrow AM. This time uncertainty = 000s of km of location uncertainty. With our current tools, this is abt as good as it gets #Tiangong1 #spacesafety
2:28 nachm. - 1. April 2018

Kurz davor teilte das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR, das mit der Radarüberwachung beauftragt ist, ebenfalls über den Kurzmitteilungsdienst Twitter mit:

Fraunhofer FHR
@Fraunhofer_FHR
Vielleicht die letzten #Bilder von #Tiangong1? Heute morgen (CEST) haben wir sie in 161 km Höhe vermessen und weltexklusiv neue #Radarbilder erzeugt. Er ist immer noch komplett. Nächste Messung in ~21h, wahrscheinlich ins Leere. #Tiangong #radar #wiedereintritt #absturz #tira
12:45 nachm. - 1. Apr. 2018

Da es sich bei Twitter um einen öffentlichen Dienst handelt, die Bilder der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dienen und in den Medien wiedergegeben werden, sei es erlaubt, sie hierherzusetzen:





Das Center for Orbital and Re-entry Debris Studies (CORDS) der Aerospace Cooperation teilte heute morgen ihre Berechnung des Absturzzeitpunkts auf 00:18 UTC mit, nach der Koordinierten Weltzeit (die vor einigen Jahren den Vorgänger der Greenwich Mean Time abgelöst hat), die also der MESZ um 2 Sutnden "hinterherläuft", mit einer Irrtumsmarge von plus/minus zwei Stunden. Über die Entwicklung der Umlaufbahn der Station gibt die nachfolgende Grafik anschaulich Auskunft:



*   *   *

Der "Himmelspalast Nr. 1", die erste Raumstation des chinesischen Raumfahrtprogramms, gebaut nach dem Vorbild des russischen Salyut-Stationen aus den 1970er Jahren, aber gut doppelt so groß dimensioniert, war zweimal Thema eines Eintrags auf Zettels Raum - zum ersten Mal anläßlich des Starts im September 2011: Tiangong-1, der "Himmlische Palast". Chinas Pläne in der Königsklasse der Raumfahrt und sein Aufstieg zur Supermacht, das zweite Mal anläßlich des Einzugs der ersten dreiköpfigen Besatzung von Taikonauten im darauffolgenden Juni im Rahmen der Raumflugmission Shenzhou 9: Marginalie: Im wohnlichen Himmelspalast. Drei Taikonauten inspizieren Tiangong. Die zweite Besatzung, Shenzhou 10, im Juni 2013 und mit 15 Tagen die bis dahin längste der chinesischen Raumfahrt, war die letzten Mission. (Die Bezeichnungen Taikonaut ist, wie ersichtlich, ein Hybrid aus dem westlichen -naut wie in Astronaut oder Kosmonaut, und dem chinesischen 太空, tài  kōng, "sehr große Leere" = Weltraum, wobei 空 sowohl die Bedeutung "Himmel" wie auch "Leere" besitzt. Es hat zudem den Vorteil, weitgehend dem chinesischen Ausdruck für "Weltraumfahrer", 太空人, tàikōng rén, wörtlich "Weltraum-Mensch", zu entsprechen. Auch im Chinesischen bezeichnet der Terminus einen Teilnehmer am Shezhou-Programm; Raumfahrer allgemein - also eben auch Westler und Russen einschließend, nennt man 宇航员, yǔháng yuán, "Raumfahrt" plus "Teilnehmer". Und, um das noch nachzutragen, die Bezeichnung "up-and-about", die sich in den Science-Fiction-Erzählungen von Cordwainer Smith (dem Pseudonym, unter dem Paul M.A. Linebarger, 1913-1966 schrieb) als verfremdende Bezeichnung für die "futuristische Mythologie" der "Instrumentalität der Menschheit" als Bezeichnung für den Weltraum findet, ist, entgegen so mancher Mutmaßung, keine wortgleiche Übersetzung eines chinesischen Terminus.) (Das vage "orientalisch anmutende" Flair, mit dem der in China tätige Diplomat und Militärberater Linebarger seine legendenhafte Menschheitszukunft ausgestattet hat, der Erzählgestus, der stark an klassische chinesische Romane wie das 三国演义,  Sānguó Yǎnyì, die "Geschichte der drei Reiche" erinnert, mag zu dem Irrtum beigetragen haben. Tatsächlich hat sich "Cordwainer Smith" seine Terminologie wahllos aus zahllosen Idiomen vom Russischen (den Lord Sto-Odin, also "101"), Deutschen ("Manshonyagger") bis hin zum Koreanischen ("Chosen-mal") geborgt. Eine Überlegung wäre es wert, warum sein "orientalisierender" Stil - dem nach den heutigen Maßgaben der Political correctness eigentlich das Verdammungsurteil des "Othering", der "cultural appropriation", dem unerlaubten Wildern in kulturellen Tabuzonen, drohen sollte - heute ausgerechnet von drei Autoren mit südostasiatischem "Hintergrund" aufgegriffen worden ist und fortgeführt wird, die ihre Werke auf Englisch verfassen und mit je einem Bein in ihrer alten Kultur und der Phantastik westlicher Prägung verwurzelt sind: von Yoon Ha Lee (Korea), Aliette de Bodard (Tochter einer Vietnamesin und in Paris zuhause) und Cassandra Khaw, dem nom de plume der malayischen Autorin Zoe Khaw Joo Ee aus Kuala Lumpur.)

*   *   *
Es ist das Schicksal von Objekten in der niedrige Erdumlaufbahn, also in einer Höhe von weniger als sechshundert Kilometern, daß sie über kurz oder lang, abgebremst durch die zwar winzige, aber eben doch vorhandene Reibung der äußersten Ausläufer der Erdatmosphäre, abgebremst werden, an Bahnenergie verlieren und niedriger sinken: ein Prozeß, der sich mit laufend verstärkt - so daß im Betrieb befindliche Stationen alle paar Monate lang durch Zündung eines Triebwerks ihre Bahnhöhe anheben. (Die Internationale Raumstation verwendet zu diesem Zweck die Triebwerke und den Treibstoff der angedockten Progress-Transportkapseln; zum letzten Mal wurde die Station am 13. März durch 105 Sekunden Schub aus dem Transportschiff M-105 angehoben) Tiangong-1 ist nicht die erste Raumstation, die dieses Schicksal erleidet. Den meisten Lesern wird noch der Absturz der russischen Station "Mir" am 23. März 2001 in Erinnerung sein; Älteren wohl auch noch der der ersten amerikanischen Station "Skylab" am 11. Juli 1979; auch die sieben Salyut-Stationen der UdSSR zwischen 1971 und 1982. Bei Raumstationen wird die Verweildauer im Orbit durch die Größe verkürzt, weil der Luftwiderstand auf eine größere Fläche einwirken kann als bei kleineren Objekten. Es wird damit gerechnet, daß einige Bestandteile von Tiangong-1 den Eintritt in die Atmosphäre mit einer Orbitalgeschwindigkeit von 27.000 km/h überstehen werden und entweder auf der Erdoberfläche, oder: wahrscheinlicher, im Meer zwischen den Wendekreisen der Umlaufbahn von 43 Grad einschlagen werden. Bislang hat es keinerlei Schäden durch einschlagende Trümmer gegeben, obschon das Risiko, wenn auch vernachlässig klein, rechnerisch gegeben ist.


*   *   *

Zum Abschluß, wenn es sich auch hier um himmlischen Besucher handelt und nicht um menschengemachte Sternschnuppen, zwei Lieder zum Thema, die beide schon im Rahmen dieser sonntäglichen Musenanrufungen eingespielt worden sind, aus dem chinesischen Bereich, zum Thema "Meteore": zum einen von Hu Defu,  liúxīng ("Meteor") :

人生短促如朝露,聚沫幻灭
但人生总要留下一些美丽
就像带着光芒的流星
刹那划过黑暗的天空

Das Leben ist flüchtig wie der Tau, wie Seifenblasen
Aber immer läßt das Leben etwas Schönes zurück
Wie das Licht einer Sternschnuppe
Die unerwartet ihre Bahn über den Nachthimmel zieht.



und zum Zweiten, unter dem gleichen Titel 流星die Mandarin-Coverversion von Coldplays "Yellow", die 2001 鄭鈞, Zheng Yun, in China zum Star machte:




我想知道
流星能飛多久
它的美麗是否
值得去尋求
夜空的花
散落在你身後
幸福了我很久
值我去等候
於是我心狂奔
從黃昏到清晨
羽化成黑夜的彩虹
蛻變成月光的清風
成月光的清風

Ich frage mich:
Wie lange leuchtet ein Meteor?
Ist er schön?
Lohnt es sich
diese Blumen des Nachthimmels zu suchen
die du hinter dir zurückläßt?
Ich bin es zufrieden
Ich genieße die Wartezeit
Ich laufe, in Freiheit
von der Abendämmerung bis zum Morgenanbruch
Federn des Regenbogens der Nacht...
Ein Nachtwind, der sich in Mondlicht verwandelt...
Ein Mondschein aus Wind...


PS. 2. April, 00:45: Vor zwei Stunden ist auf dem Twitter-Account von DGS_Astronomie, auf dem laufend Aktualisierungen zum Thema gebracht werden, eine erste Berechnung des wahrscheinlichen Niedergangsorts im südlichen Pazifik veröffentlicht worden. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Höhe der Station noch 138 Kilometer; der steile Absturz beginnt bei einer Höhe von 100 Kilometern.



Nachtrag, 03:24: https://twitter.com/18SPCS/status/980614448745406465

18 SPCS
@18SPCS
UPDATE: #JFSCC confirmed #Tiangong1 reentered the atmosphere over the southern Pacific Ocean at ~5:16 p.m. (PST) April 1.  For details see (link: http://www.space-track.org) space-track.org @US_Stratcom @usairforce @AFSpaceCC @30thSpaceWing @PeteAFB @SpaceTrackOrg 
Eingebettet
3:14 vorm. · 2. Apr. 2018

Die offizielle Bestätigung der chinesischen Raumfahrtbehörde:

据中国载人航天工程办公室消息,经北京航天飞行控制中心和有关机构监测分析,2018年4月2日8时15分左右,天宫一号已再入大气层,再入落区位于南太平洋中部区域,绝大部分器件在再入大气层过程中烧蚀销毁。

Gemäß der Meldung der chinesischen Behörde für bemannte Raumfahrt und den Daten des Beijinger Raumflugzentrums trat Tiangong-1 um 08 Uhr 15 am 2. April 2018 in die Atmosphäre ein. Tiangong-1 ist in die Atmosphäre eingetreten; die Absturzzone befindet in der Mitte des Südpazifiks. Die meisten Teile wurden beim Absturz vernichtet und sind verglüht.

(http://www.cmse.gov.cn/art/2018/4/2/art_810_32427.html)

Sowie die Bestätigung der amerikanischen JSFCC in Vandenberg:





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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.