29. April 2018

Eine unehrliche Frage und eine noch unehrlichere Anzeige

Eines der normalerweise schönsten Instrumente, um eine deutsche Regierung zu ärgern, ist die Methode der "kleinen Anfrage". Kleine Anfragen können von jeder Fraktion gestellt werden, dienen zwar (hoffentlich) meist der Informationsgewinnung, sind aber auch ein adäquates Mittel um ein bischen gegen die Regierung zu stänkern.
Da die Rolle des Oberstänkerers derzeit der AfD nahezu natürlich zufällt, ist es auch kein Zufall das sie in der ja noch nicht allzu langen Legislaturperiode schon bald die 200 voll haben wird. Die meisten Anfragen gehen genau so sang und klanglos unter wie der Name schon vermuten lässt, aber einzelne bieten dann doch ein mehr oder minder großes Erregungspotential.
So fragte die AfD in einer Anfrage vom 22.03. diesen Jahres eine Reihe von Fragen zum Thema der Entwicklung der Zahlen von Schwerbehinderungen, insbesondere im Hinblick auf Verwandtenehen und wieviele dieser Verwandtenehen einen Migrationshintergrund haben. Die Bundesregierung beantwortete dann am 10.04. auch die meisten Fragen, gab aber auch an, dass Behinderungen aus Verwandtenehen nicht erfasst würden, entsprechend auch nicht der Migrationshintergrund solcher Ehen. Beantworten konnte man nur wieviele Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland eine Behinderung aufweisen.

Soweit die Bundesregierung. Und eigentlich hätte die ganze Geschichte an der Stelle auch einschlafen können. Tat sie aber nicht. Am 22.04., also knappe zwei Wochen später (die Errerungsindustrie braucht einen gewissen Vorlauf), erschien dann in der Sonntagsausgabe der FAZ eine halbseitige Anzeige einiger deutscher Sozialverbände, unter Federführung des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die die AfD massiv angriff und der AfD vorwarf sie suggeriere einen "abwegigen Zusammenhang zwischen Inzucht, behinderten Kindern und Migranten". Anschließend wurde noch festgestellt dass solche Anfragen an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte erinnerten, in der man Behinderten das Lebensrecht aberkannte und sie zu Huntertausenden Opfer des Nationalsozialismus wurden. Diese Anzeige zog wiederum ein ordentliches Echo nach sich und die kleine Anfrage entwickelte sich zu einem kleinen Politikum.
Das ist dann ungefähr das, was man diversen Artikeln der letzten Tage entnehmen kann. Weiterführende Informationen werden in aller Regel nicht angeboten.

Nun, wenigstens zwei Fakten würde ich in diesem Kontext vermissen. Der erste ist: Der Zusammenhang ist keinesfalls abwegig. Sondern ziemlich trivial vorhanden. Es wäre nicht nur ein bischen verwunderlich sondern geradezu grotesk abwegig, wenn dieser Zusammenhang nicht existierte und das ist nicht einmal besonders schwer zu zeigen.
Zunächst: Unter Verwandtenehen vertsteht man im Allgemeinen eine Verbindung zwischen Verwandten ersten, zweiten oder dritten Grades. Erster und zweiter Grad (Eltern und Geschwister) sind in den allermeisten Ländern verboten und tatsächlich eher eine Randerscheinung. Ehen unter Verwandten dritten Grades sind es nicht. Laut Statistik liegt der Anteil von Verwandtenehen (Cousin, bzw. Cousine) in nahezu allen mehrheitlich islamischen Ländern bei 20-80%, je nach Land und Landstrich. Selbst in der Türkei ist das kein Randphänomen, in Saudi Arabien ist es eher der Regel als der Ausnahmefall. Und zwar landesweit. Ebenso bekannt ist, dass die genetische Missbildungswahrscheinlichkeit beim Nachwuchs bei der Verbindung von zwei Partnern, deren Gene zu einem Achtel vom gleichen Vorfahren (das ist bei Cousin/e 1. Grades der Fall) stammen, etwa einen Faktor 2-3 über dem von nicht verwandten Partnern liegt. Da nun die meiste Wanderung nach Deutschland, insbesondere der letzten Jahre, aus muslimischen Ländern stammt, ist der Zusammenhang trivial(!) vorhanden.
Der zweite Fakt betrifft den paritätischen Wohlfahrtsverband selber, der sich hier als Anwalt der Menschlichkeit geriert und für die Rechte von Behinderten auftritt. Ganz neutral selbstverständlich. Und wer wird schon groß nachfragen bei einem Wohlfahrtsverband? Wie wäre es wohl angekommen, wenn statt einem "Wohlfahrtsverband" die Anzeige mit der SED unterzeichnet wäre? Denn um nichts anderes handelt es sich, der paritätische Wohlfahrtsverband, dessen Chef nicht nur der eigentliche Initiator der Anzeige, sondern zufällig überzeugtes SED Mitglied ist, ist im Wesentlichen nichts weiter als ein Sprachrohr selbiger Partei. Er betätigt sich seit Jahren mit nicht nur fragwürdigem Zahlenmaterial als reiner Stichwortgeber der SED, um einen Gesellschaftszustand vorzutäuschen, wie ihn die Linken gerne hätten, der aber von der Realität nicht getragen wird. Allerdings finanziert vom Steuerzahler. Der zum Standard-Repertoire der heutigen Linken gehörende Nazivorwurf ist dann auch nur folgerichtig und nicht wirklich überraschend.

Erstaunlicherweise haben diese beiden Fakten in keinem der ganzen Berichte gestanden, die ich gelesen habe. Naja, zuviel Information schadet nur, und so kann jeder aus den Berichten mitnehmen was er will.

Dennoch möchte ich mich -natürlich- nicht der Bewertung des Ganzen entziehen. Denn wenn den ganzen Vorgang etwas auszeichnet ist es eine ziemlich abstossende Unehrlichkeit. Und zwar bei allen Beteiligten. Das fängt bei der AfD an. Denn natürlich wissen die Abgeordneten sehr genau um die Zusammenhänge (das kann jeder, wenn er es nicht von vorneherein mal gelernt hat, in weniger als einer Stunde mit Google herausfinden). Nur sind diese, rein politisch betrachtet, vergleichsweise nebensächlich. Ja, es ist zunächst richtig, dass Migranten aus dem islamischen Kulturkreis unter bestimmten, gleichgehaltenen Bedingungen (dazu gleich mehr), eine größere Wahrscheinlichkeit haben, dass ihr Nachwuchs eine schwere Behinderung aufweist (nicht im Einzelnen, aber im Gruppendurchschnitt). Es gibt aber diverse "aber". Zum ersten ist die Gesamtrate solcher Behinderungen damit immer noch nicht sehr groß. Schwere Behinderungen bei Geburt sind selten und selbst unter denen die vorkommen sind 2/3 nicht genetisch sondern durch die Schwangerschaft bedingt (schönen Gruß von Alkohol, Tabak und bunten Pillen (Alkohol und Tabakkonsum sind unter Musliminnen nebenbei deutlich seltener)). Zweitens: Über 90% aller Behinderungen entstehen(!) im Laufe des späteren Lebens, nicht bei Geburt, in erster Linie durch das Alter. Drittens: Die häufigste (schwere) genetische Fehlbildung unter Neugeborenen ist Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fötus die Trisomie 21 aufweist steigt mit dem Alter der Mutter exponentiell an. Eine 40-jährige Mutter hat ein vielfaches(!) Risiko für diese Fehlbildung im Vergleich zu einer 30 oder gar 20-jährigen. Fragt die AfD auch nach diesen Eltern? Ich würde davon ausgehen, dass ein guter Teil der Disposition durch Verwandtschaftsehen durch das höhere Alter und die Lebensweise von "biodeutschen" Vergleichsmüttern wieder ausgeglichen wird. Wer also Migranten den mehr oder minder implizierten Vorwurf der Inzucht machen wollte, der müsste auch gleichzeitig alle älteren Mütter unter Anklage stellen. Anders gesagt: Das ist unterm Strich billigste Stimmungsmache mit der geraunten Idee "Die Moslems treiben Inzucht und da kommen ganz viele behinderte Kinder raus (die ja auch jemand versorgen muss)." Was bei Licht betrachtet unsinnig ist.

Die "Antwort/Anzeige" des Wohlfahrtsverbandes (oder eher der SED) ist allerdings nicht ein bischen ehrlicher. Zum einen wird ein trivial simpler Zusammenhang schlicht geleugnet und verlächerlicht ("abwegig"), zum anderen findet ein völlig unpassender Nazi-Vergleich statt und zum dritten passiert das Ganze noch unter falscher Flagge. Es ist offenkundig das die AfD hier keine Stimmung gegen Behinderungen machen wollte (das wäre angesichts von 7 Millionen Behinderten in Deutschland auch nicht allzu clever), sondern gegen eine bestimmte Migrantengruppe. Die SED möchte allerdings diese Diskussion nicht führen sondern führt bewusst eine andere Opfergruppe ins Feld, die im Unterschied kaum angreifbar ist. 

Das schlimme daran ist, dass die eigentlich Thematik, die die AfD unterschwellig anspricht, durchaus der Debatte bedürfte. Nämlich die Frage wie man als Gesellschaft mit Behinderungen, bzw. der Inkaufnahme von Behinderungen umgeht. Die SED, in Form des paritätischen Verbandes, möchte uns gerne erzählen das Behinderungen etwas völlig wertneutrales sind, da man Behinderte nicht diskriminieren will. Während man mit letzterem problemlos konform gehen kann (und sollte), ist ersteres vollkommen widersprüchlich.Warum halten wir Schwangere vom Rauchen ab? Warum vom Trinken? Warum nehmen Schwangere Folsäure und geben ein Vermögen für pränatale Diagnostik aus? Oder noch simpler: Warum wurde Contagan vom Markt genommen? Ein Mensch ist nicht weniger Mensch weil er eine Behinderung hat, aber dennoch wollen wir alle keine Behinderung haben. Wir versuchen an vielen Ecken Behinderungen zu vermeiden, bzw. das Risiko für solche zu mindern. Wenn es alles egal wäre, wie der Wohlfahrtsverband impliziert, dann müsste man all das nicht tun. Wir tuns aber. Und nicht deshalb weil wir alles verkappte Nazis sind.

Die Debatte um das Risiko ist in Deutschland schwierig. Eben wegen des dritten Reiches. Das ist aber keine Begründung die Leute in Dummheit zu halten oder die Wissenschaft zu ignorieren. Von einem Bergbauern in Pakistan kann man nicht erwarten, dass er sich mit Genetik auskennt. In Deutschland dagegen würde ich erwarten, dass man die Leute aufklärt. Übrigens auch darüber, dass es rein genetisch keine so richtig dolle Idee ist die Kinder erst mit 40 zu bekommen. Es gibt in Deutschland einzelne Mutige, die versuchen den Kampf der Aufklärung zu führen und sie bedürften unserer Unterstützung. Aber nicht die durch einen Wohlfahrtsverband oder eine Partei, denen es um etwas ganz anderes geht.

Auch wenn der Artikel jetzt etwas länger geworden ist,erlauben Sie mir noch einen Seitenhieb, lieber Leser. Wolfgang Schäuble verstieg sich 2016 zu der sehr interessantes Aussage, dass wir Einwanderung in dieses Land brauchen, weil uns sonst die Inzucht kaputt machen würde. Er macht sich also Sorgen, dass ein Genpool von 80 Millionen Menschen inzestiös ist. Das die Zuwanderung, die er sich so wünscht, vielfach aus Gegenden kommt, wo tatsächlich Inzucht betrieben wird, scheint ihm da nicht so recht bekannt gewesen zu sein.

Llarian

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