16. Februar 2018

Das Dilemma der SPD

­Meine zwei geschätzten Blogger Kollegen Noricus und der Werwohlf haben den Niedergang der SPD in sehr guten Texten beweint und beleuchtet. Ich persönlich bin mir nicht sicher, ob man die SPD braucht oder nicht. Das hängt im Wesentlichen von ihrer Verfassung ab, in der sie sich in nächster Zeit präsentieren wird. Eine zu starke Verklärung der Vergangenheit, in der zugegebenermaßen von der SPD und ihren führenden Politikern vieles auch richtig gemacht wurde, birgt immer die Gefahr den klaren Blick für die Zukunft zu verlieren und Dinge im hier und jetzt nicht mehr korrekt einzuwerten. Die Frage die ich mir stelle ist, warum die SPD in die Situation kam, in welcher sie sich heute befindet. Dazu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Diese Gedanken liegen abseits von Personalien und versuchen eher am Grundsätzlichen zu rühren.


Man hört oft, dass sich die CDU sozialdemokratisiert und damit die Wählerbasis der SPD angegriffen hätte. Diese Beobachtung ist zwar meines Ermessens nicht falsch aber viel zu kurz gesprungen. Was in meinen Augen geschehen ist, ist vielmehr eine Ergrünung der SPD und damit einhergehend auch der CDU, was in der Folge zu einer Verengung der politischen Alternativen in Deutschland führte. Die SPD wird dabei immer mehr zwischen den beiden Polen CDU und Grün aufgerieben. Wie konnte es aber dazu kommen?

Die Entstehung der Grünen leitete sich im Kern aus dem Thema Umweltschutz und dem Lebensgefühl einer Generation ab. Es war dabei eine sich links verortende Partei. Letzteres mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass in der Folge zunächst vor allem die SPD viele Themen der Grünen aufgriff. Zu nennen wären zum Beispiel Ökologie, Feminismus oder Gleichberechtigung. Dies geschah, so vermute ich, in der Absicht, den Grünen Alleinstellungsmerkmale zu nehmen, welche eine Wählerabwanderung aus der SPD zu den Grünen hätten nach sich ziehen können. In der Folge nun wurde aus dem reinen Aufgreifen dieser Themen immer mehr ein Fokussieren auf ebendiese. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren, habe aber keine wirkliche Erklärung. Meine Vermutung ist, dass die Sehnsucht nach moralischer Integrität (mit der grüne Positionen bis heute oft konnotiert sind) im Nachkriegsdeutschland so hoch war, dass solche Positionen große Zustimmung in der Gesellschaft hatten und zu Zustimmung durch den Wähler führten. Der dadurch bedingte Erfolg der Partei beim Wähler führte, damit einhergehend, immer mehr zu einer Fokussierung der SPD auf die entsprechenden Themen.

Auch die CDU erkannte diesen Sachverhalt. Unter Kohl wurde zum Beispiel bereits der Grundstein für die spätere Energiewende gelegt. Unter dem Parteivorsitz von Merkel allerdings nahm diese Entwicklung erst richtig Fahrt auf. Die CDU besetzte immer mehr rot/grüne Themen. Da die SPD programmatisch aber bereits sehr nah an die Grünen herangerückt war, besetzte sie damit zwangsläufig originär grüne Themen. Das führte in der Folge zum heute beobachtbaren Zustand, dass man eine ergrünte CDU konstatieren kann, welche in den Grünen ihren natürlichen Koalitionspartner sieht. Begünstigt wird das sicherlich auch durch den Umstand, dass sich die Grünen heute mehr als eine konservative (bewahrende), bürgerliche Milieupartei, denn als eine linke Partei gerieren, so dass die Affinität zur CDU über die Zeit deutlich größer geworden ist als diejenige zur SPD.

Die SPD hat im Zuge dieser Entwicklung ihre Kernwählerschaft, die klassischen Arbeitnehmer, immer mehr aus den Augen verloren. Sie hat, wenn man es so betrachtet, in dem ursprünglichen Bestreben, dem politischen Gegner Alleinstellungsmerkmale zu nehmen, alle eigenen Alleinstellungsmerkmale aufgegeben, weil man sich zu sehr am Erfolg der neuen Positionen berauschte.

Um das Bild nun rund zu machen, ist es meines Ermessens ebenfalls notwendig, einen wichtigen Teilaspekt des Erfolges der AfD zu begreifen. Diese besitzt, in dem aus der eben beschriebenen Entwicklung heraus entstandenen, aktuellen politischen Umfeld, Alleinstellungsmerkmale (wie damals auch die Grünen), welche Wähler binden können. Vor allem zu nennen sind die Themenfelder Energie-, Zuwanderungs-  und Europa Politik. Interessant ist in meinen Augen dabei zweierlei:
- Erstens sind diese Alleinstellungsmerkmale der AfD im Kern klassische Merkmale einer Arbeitnehmerpartei wie der SPD. Verfügbarkeit billiger Energie, Regelung / Beschränkung von Zuwanderung und Zurückhaltung bei einem kostspieligen, elitären Projekt wie der EU sind durchaus Forderungen, die man originär bei der SPD suchen würde, liegen sie doch im Interesse des klassischen Arbeitnehmers.
- Zweitens scheut sich die SPD diese Positionen wieder zu besetzen und genau hier liegt in meinen Augen das wesentliche Dilemma der SPD:
Die SPD hat ihre originären Positionen vergessen. Eine neue Partei, die AfD, hat sie aufgenommen und die SPD scheut sich aus einem Wirrwarr unterschiedlichster Gründe, diese Positionen zurück zu erobern. Warum ist das so?

Zum einen spielt sicherlich das in Teilen unappetitliche Personal der AfD eine Rolle. Man hat Angst mit ihm in einen Topf geworfen zu werden. Ein in meinen Augen unsinniges Argument (inhaltlich tragbar, bleibt inhaltlich tragbar, gleich wer es sagt), welches aber einige Zugkraft besitzt.
Zum anderen fällt der SPD selbst mitproduzierte Agitprop auf die Füße: Schon zu Luckes Zeiten wurde die AFD und ihre (damals gemäßigten) Positionen als rechts denunziert und in der öffentlichen Wahrnehmung auch so etabliert. Dieser Umstand hat den Rückweg auf solche Positionen, der mir nun notwendig erscheint, sehr erschwert, wenn nicht verbaut. "Rechts zu sein" ist im politischen Deutschland 2018 mehr denn je ein "No Go".
Als letztes spielt auch die neu eingenommene Moralität der SPD eine Rolle, welche sich aus der Ergrünung der eigenen Positionen ergab. Sie steht der Rückkehr zu alten Positionen maßgeblich im Weg.

In meinen Augen wird sich das Schicksal der SPD dadurch entscheiden, ob sie den Mut findet die alten Positionen trotz alledem wieder zu besetzen. Nahles wie auch Gabriel deuteten solche Gedanken in der Vergangenheit – im Hinblick auf die Zuwanderung durchaus an. Diese Gedanken wurden aber immer wieder schneller einkassiert, als sie ausgesprochen waren und so verfolgt man im aktuellen Koalitionsvertragsentwurf in dieser Frage (Stichwort Familiennachzug) auch wieder eine deutlich grüne Linie. Die Zukunft für die SPD sieht daher, meines Ermessens, alles andere als rosig aus.

Ein Hoffnungsschimmer würde ich persönlich für die SPD in der Abstimmung zum Koalitionsvertrag sehen. Eine Ablehnung des Koalitionsvertrages durch die Mitglieder könnte die aktuell verfolgte Politikrichtung der SPD beenden und in einem möglichen (unbelasteten) Neuanfang wieder zu ihren Wurzeln zurückführen. Das wäre ein schmerzhafter aber in meinen Augen erfolgversprechender Weg.

Wenn ich eine mutige Prognose abgeben darf, erwarte ich daher ein "Nein" der Basis zum Koalitionsvertrag. Viele Mitglieder der SPD spüren inhärent das beschriebene Dilemma ihrer Partei und die Notwendigkeit eines Endes mit Schrecken, um nicht im Schrecken ohne Ende unterzugehen und ich vermute sie spüren ebenfalls, dass diese Entscheidung zum Koalitionsvertrag eine, vielleicht die letzte Ausfahrt auf der Fahrt in "Richtung Untergang" ist.

Interessant in diesem Zusammenhang ist übrigens, dass die FDP bei der letzten Bundestagswahl damit erstaunliche Erfolge erzielte, dass sie sich Alleinstellungsmerkmale (unter den etablierten Parteien) neu aneignete: Zum Beispiel die Opposition zum Netzwerkdurchwirkungsgesetz oder die prononcierte Forderung nach Regelung der Zuwanderung und Rückkehr zu mehr Rechtsstaatlichkeit. Dass man sich dabei streng genommen Positionen der AfD annäherte oder gar zu eigen machte, spielte überhaupt keine Rolle. Was auch nicht überraschen sollte, da nicht alle Forderungen der AfD unappetitlich sind, auch wenn sie mitunter durch unappetitliches Personal unappetitlich vertreten werden.

Bleibt die Frage, ob die SPD ebenfalls den Mut zu einem solchen Schritt findet. Obschon ich mit meinem Blick auf die Welt kein besonders SPD affiner Mensch bin, wünsche ich ihr den Mut zu diesem Schritt. Dem Parlamentarismus in Deutschland täte er sehr gut.


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