Eine Todsünde kann nach
römisch-katholischer Lehre durch das im Rahmen der Beichte gespendete Sakrament
der Versöhnung (auch Buße genannt) getilgt werden. In der säkularen Religion
unserer Tage genügt hingegen schon der Verdacht einer schweren Verfehlung, um
einen Menschen dem ewigen Höllenfeuer zu überantworten. Kevin Spacey, durch
seine Rolle in dem Film Sieben mit
den Todsünden (oder richtig: Hauptsünden) jedenfalls in hollywoodesker
Drehbuchtiefe vertraut, erlebt in diesen Tagen den ungebremsten Rigorismus
einer unbarmherzigen (als Katholik ist man versucht zu sagen: sehr protestantischen) Moral.
Ob die Vorwürfe nun
zutreffen oder nicht: An Spaceys Werk ändert das nichts. Wer ihn zuvor für
einen großen Sohn der Melpomene (oder, je nach Ansicht, der Thalia) hielt,
sollte davon jetzt nicht abrücken. Anders formuliert: Spaceys schauspielerische
Leistungen sind völlig unabhängig davon, ob er – um in der Religions-Isotopie
zu bleiben und es leicht flapsig zu formulieren – einen heiligmäßigen
Lebenswandel führt.
Dass menschliche und künstlerische Qualitäten nicht unbedingt in kommunizierende Gefäße gegossen sind, ist aus berühmten Beispielen nur allzu gut bekannt: Goethe soll nicht der angenehmste aller Zeitgenossen gewesen sein. Und sein erotisches Interesse im kaum mehr zarten Alter von 72 Lenzen an der um 55 Jahre jüngeren Ulrike von Levetzow würde heute wohl zu seiner sozialmedialen Verdammung als ekelhafter alter Mann führen. Dessen ungeachtet verdient das Œuvre des Großschriftstellers seinen Platz im Olymp der Weltliteraturgeschichte zu Recht. Allein schon der Faust hätte für diese Lorbeeren der Unsterblichkeit genügt. Goethes Werk aus moralischem Unbehagen seinem Autor gegenüber zu ächten wäre ein Akt der Tugendbarbarei.
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So wie es scheint, wird
Spacey von Regisseuren und Produzenten nunmehr als Kassengift eingeschätzt. Bei
zynischer Betrachtung könnte man als besondere Pointe ausmachen, dass der
zweifache Oscar-Preisträger aus einem bereits fertigen Film herausgeschnitten
wird, der den Titel „All the Money in the World“ („Alles Geld der Welt“) trägt:
Die Neufassung, in der Christopher Plummer Spaceys Part übernimmt, und die
Adaption der flankierenden Werbemaßnahmen verursachen einen Aufwand zwar nicht
in Höhe der titelgebenden Summe, aber nach einer in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlichten Schätzung immerhin im
Ausmaß von zumindest 10 Millionen Dollar. Es ist davon auszugehen, dass die
Verantwortlichen genau nachgerechnet und diese doch nicht ganz unwesentlichen
Mehrkosten als das kleinere Übel gegenüber einem eventuellen Boykott von
Kinoaufführungen und Datenträgerverkäufen ermittelt haben.
Inwieweit dieser Schritt
juristisch haltbar ist, wird nach dem zwischen dem Filmproduzenten und Kevin
Spacey geschlossenen Vertrag zu bestimmen sein. Solange die finanziellen
Erwägungen nicht mit dem Prunkgewand der Hochmoral verbrämt werden, mag man für
die offenbar vom Regisseur Ridley Scott ausgehende Entscheidung, alle Spacey-Bezüge
aus dem Film zu entfernen und dadurch die Erfolgschancen des Lichtspiel-Opus angesichts einer
von Bigotterie und Doppelstandards getragenen öffentlichen Atmosphäre nicht zu
kompromittieren, auch ein gewisses Verständnis haben.
Aber das ist natürlich
nur die eine Seite der Medaille. Denn natürlich kann man es als zivilisatorisch bedenklich empfinden, wenn der bloße Verdacht einer sittlichen Entgleisung
genügt, die Karriere eines Mannes zu beenden oder doch zumindest arg zu
beeinträchtigen, wenn Anklage und Urteil im gesellschaftlichen Diskurs uno actu
verkündet werden und jede Stellungnahme des Bezichtigten die Sache nur noch
schlimmer macht, weil man ihm ja ohnehin nicht glaubt, sollte er die Vorwürfe
nicht vollumfänglich als richtig einräumen. Mit ihrer Trennung von Spacey
tragen Hollywood und Netflix selbstverständlich zu dem kafkaesken Klima bei, in
dem die Erwähnung eines Namens auf einer Proskriptionsliste für die soziale
Verstümmelung eines Menschen ausreicht.
Dissonant sind auch –
worauf Thomas Fischer zu Beginn eines Beitrags für ZEIT-Online hinweist – die
von den lautesten Kolporteuren herausposaunte Branchenbekanntheit des
Weinstein, Spacey und Co. zur Last gelegten Verhaltens und der Zeitpunkt des
Anlaufens der Empörungsmaschinerie. Solange es keinen Shitstorm gab und die
etablierten Medien nicht berichteten, breitete das System Hollywood den Mantel
des Schweigens über die behaupteten babylonischen Zustände, was man natürlich
mit der despotischen Macht der nunmehr an den Pranger Gestellten erklären kann,
aber auch damit, dass die Besetzungscouch mit ihrem Win-win-Prinzip in den
beteiligten Kreisen größere Akzeptanz erfuhr, als man sich dies nun eingestehen
möchte, und der eine oder andere, der nun auf der Entrüstungswelle mitsurft,
aus opportunistischen Gründen lieber den Mund hielt, weil man es sich mit den
nunmehr Beschuldigten im Hinblick auf deren allfällige Fürsprache halt doch
nicht ganz verscherzen wollte oder man ganz konkreten Nutzen aus dem Kontakt mit den nunmehr in die Verbannung Geschickten zog.
In diesem Zusammenhang
interessant ist auch, was Thea Dorn in einem mit Deutschlandradio Kultur geführten Interview, dessen Transkript der
Verfasser dieser Zeilen zur Lektüre empfiehlt, zum in Rede stehenden Thema
gesagt hat: Als 19-jährige Hospitantin habe ihr ein Opernregisseur sexuelle
Avancen gemacht, und – so Dorn –
dennoch habe ich es natürlich jeden Abend wieder darauf angelegt, […] dass ich die Letzte war, die wieder mit ihm alleine übrig blieb, obwohl ich nicht mit ihm ins Bett wollte, aber natürlich in meiner bekloppten Jugendlichkeit es wahnsinnig schmeichelhaft fand, dass dieser berühmte wichtige ältere Regisseur sich für mich offensichtlich auch erotisch interessiert.
Bei solchen Bekenntnissen
ahnt man, dass manche der Geschichten über sexuell übergriffige Männer aus dem
Kultur- und Politikbetrieb doch ein bisschen komplexer sein könnten, als es die
zur unbedingten Solidarität aufrufenden Herrscherinnen über den Hashtag
gestatten möchten.
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Die hier vertretene
Meinung, Mensch und Werk konsequent voneinander zu trennen, findet natürlich
auch Gegenstimmen. So ist Johanna Dürrholz auf FAZ.net der Ansicht, ein Komiker
dürfe nur dann frauenfeindliche Witze reißen, „wenn er sonst im Leben eine
völlig reine Weste“ habe. War es zum Beispiel bei Benny Hill oder Harald
Schmidt nicht gerade die Abwesenheit eines Disclaimers, die den politisch
inkorrekten Gags ihre subversive Würze gab, eben weil der Vortragende gerade
nicht signalisierte, der an und für sich systemtreue Hofnarr zu sein, der durch seine
Stellenbeschreibung gezwungen ist, unsere moralischen
Gewissheiten humoristisch zu erschüttern, wiewohl er diese ja eigentlich vollumfänglich teilt?
Noricus
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