12. November 2017

Der Mensch, das Werk und die Einsamkeit am Pranger

Eine Todsünde kann nach römisch-katholischer Lehre durch das im Rahmen der Beichte gespendete Sakrament der Versöhnung (auch Buße genannt) getilgt werden. In der säkularen Religion unserer Tage genügt hingegen schon der Verdacht einer schweren Verfehlung, um einen Menschen dem ewigen Höllenfeuer zu überantworten. Kevin Spacey, durch seine Rolle in dem Film Sieben mit den Todsünden (oder richtig: Hauptsünden) jedenfalls in hollywoodesker Drehbuchtiefe vertraut, erlebt in diesen Tagen den ungebremsten Rigorismus einer unbarmherzigen (als Katholik ist man versucht zu sagen: sehr protestantischen) Moral.

Ob die Vorwürfe nun zutreffen oder nicht: An Spaceys Werk ändert das nichts. Wer ihn zuvor für einen großen Sohn der Melpomene (oder, je nach Ansicht, der Thalia) hielt, sollte davon jetzt nicht abrücken. Anders formuliert: Spaceys schauspielerische Leistungen sind völlig unabhängig davon, ob er – um in der Religions-Isotopie zu bleiben und es leicht flapsig zu formulieren – einen heiligmäßigen Lebenswandel führt.

Dass menschliche und künstlerische Qualitäten nicht unbedingt in kommunizierende Gefäße gegossen sind, ist aus berühmten Beispielen nur allzu gut bekannt: Goethe soll nicht der angenehmste aller Zeitgenossen gewesen sein. Und sein erotisches Interesse im kaum mehr zarten Alter von 72 Lenzen an der um 55 Jahre jüngeren Ulrike von Levetzow würde heute wohl zu seiner sozialmedialen Verdammung als ekelhafter alter Mann führen. Dessen ungeachtet verdient das Œuvre des Großschriftstellers seinen Platz im Olymp der Weltliteraturgeschichte zu Recht. Allein schon der Faust hätte für diese Lorbeeren der Unsterblichkeit genügt. Goethes Werk aus moralischem Unbehagen seinem Autor gegenüber zu ächten wäre ein Akt der Tugendbarbarei.

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So wie es scheint, wird Spacey von Regisseuren und Produzenten nunmehr als Kassengift eingeschätzt. Bei zynischer Betrachtung könnte man als besondere Pointe ausmachen, dass der zweifache Oscar-Preisträger aus einem bereits fertigen Film herausgeschnitten wird, der den Titel „All the Money in the World“ („Alles Geld der Welt“) trägt: Die Neufassung, in der Christopher Plummer Spaceys Part übernimmt, und die Adaption der flankierenden Werbemaßnahmen verursachen einen Aufwand zwar nicht in Höhe der titelgebenden Summe, aber nach einer in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlichten Schätzung immerhin im Ausmaß von zumindest 10 Millionen Dollar. Es ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen genau nachgerechnet und diese doch nicht ganz unwesentlichen Mehrkosten als das kleinere Übel gegenüber einem eventuellen Boykott von Kinoaufführungen und Datenträgerverkäufen ermittelt haben.

Inwieweit dieser Schritt juristisch haltbar ist, wird nach dem zwischen dem Filmproduzenten und Kevin Spacey geschlossenen Vertrag zu bestimmen sein. Solange die finanziellen Erwägungen nicht mit dem Prunkgewand der Hochmoral verbrämt werden, mag man für die offenbar vom Regisseur Ridley Scott ausgehende Entscheidung, alle Spacey-Bezüge aus dem Film zu entfernen und dadurch die Erfolgschancen des Lichtspiel-Opus angesichts einer von Bigotterie und Doppelstandards getragenen öffentlichen Atmosphäre nicht zu kompromittieren, auch ein gewisses Verständnis haben.

Aber das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille. Denn natürlich kann man es als zivilisatorisch bedenklich empfinden, wenn der bloße Verdacht einer sittlichen Entgleisung genügt, die Karriere eines Mannes zu beenden oder doch zumindest arg zu beeinträchtigen, wenn Anklage und Urteil im gesellschaftlichen Diskurs uno actu verkündet werden und jede Stellungnahme des Bezichtigten die Sache nur noch schlimmer macht, weil man ihm ja ohnehin nicht glaubt, sollte er die Vorwürfe nicht vollumfänglich als richtig einräumen. Mit ihrer Trennung von Spacey tragen Hollywood und Netflix selbstverständlich zu dem kafkaesken Klima bei, in dem die Erwähnung eines Namens auf einer Proskriptionsliste für die soziale Verstümmelung eines Menschen ausreicht.

Dissonant sind auch – worauf Thomas Fischer zu Beginn eines Beitrags für ZEIT-Online hinweist – die von den lautesten Kolporteuren herausposaunte Branchenbekanntheit des Weinstein, Spacey und Co. zur Last gelegten Verhaltens und der Zeitpunkt des Anlaufens der Empörungsmaschinerie. Solange es keinen Shitstorm gab und die etablierten Medien nicht berichteten, breitete das System Hollywood den Mantel des Schweigens über die behaupteten babylonischen Zustände, was man natürlich mit der despotischen Macht der nunmehr an den Pranger Gestellten erklären kann, aber auch damit, dass die Besetzungscouch mit ihrem Win-win-Prinzip in den beteiligten Kreisen größere Akzeptanz erfuhr, als man sich dies nun eingestehen möchte, und der eine oder andere, der nun auf der Entrüstungswelle mitsurft, aus opportunistischen Gründen lieber den Mund hielt, weil man es sich mit den nunmehr Beschuldigten im Hinblick auf deren allfällige Fürsprache halt doch nicht ganz verscherzen wollte oder man ganz konkreten Nutzen aus dem Kontakt mit den nunmehr in die Verbannung Geschickten zog.

In diesem Zusammenhang interessant ist auch, was Thea Dorn in einem mit Deutschlandradio Kultur geführten Interview, dessen Transkript der Verfasser dieser Zeilen zur Lektüre empfiehlt, zum in Rede stehenden Thema gesagt hat: Als 19-jährige Hospitantin habe ihr ein Opernregisseur sexuelle Avancen gemacht, und – so Dorn –
dennoch habe ich es natürlich jeden Abend wieder darauf angelegt, […] dass ich die Letzte war, die wieder mit ihm alleine übrig blieb, obwohl ich nicht mit ihm ins Bett wollte, aber natürlich in meiner bekloppten Jugendlichkeit es wahnsinnig schmeichelhaft fand, dass dieser berühmte wichtige ältere Regisseur sich für mich offensichtlich auch erotisch interessiert.
Bei solchen Bekenntnissen ahnt man, dass manche der Geschichten über sexuell übergriffige Männer aus dem Kultur- und Politikbetrieb doch ein bisschen komplexer sein könnten, als es die zur unbedingten Solidarität aufrufenden Herrscherinnen über den Hashtag gestatten möchten.

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Die hier vertretene Meinung, Mensch und Werk konsequent voneinander zu trennen, findet natürlich auch Gegenstimmen. So ist Johanna Dürrholz auf FAZ.net der Ansicht, ein Komiker dürfe nur dann frauenfeindliche Witze reißen, „wenn er sonst im Leben eine völlig reine Weste“ habe. War es zum Beispiel bei Benny Hill oder Harald Schmidt nicht gerade die Abwesenheit eines Disclaimers, die den politisch inkorrekten Gags ihre subversive Würze gab, eben weil der Vortragende gerade nicht signalisierte, der an und für sich systemtreue Hofnarr zu sein, der durch seine Stellenbeschreibung gezwungen ist, unsere moralischen Gewissheiten humoristisch zu erschüttern, wiewohl er diese ja eigentlich vollumfänglich teilt?

Noricus

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