Der von der
römisch-katholischen Kirche weiland herausgegebene Index Librorum Prohibitorum
war eine paradoxe Angelegenheit. Denn es ist zu vermuten, dass er so manchem
Buch, dessen Lektüre durch die Aufnahme in die schwarze Liste eigentlich
verhindert werden sollte, zu neuen Lesern verhalf, die andernfalls nie von dem unter
das Bannedikt gestellten Titel erfahren hätten.
Den beschriebenen Effekt
erlebte das Publikum in Deutschland in jüngerer Zeit in der Auseinandersetzung
um die Schrift „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. In einer bis
dahin beispiellosen, von Journalisten, Lobbyisten und Politikern betriebenen
Verdammungszeremonie wurden Werk und Autor zu diskreditieren versucht. Die durch
die medialen Erregungen entfachte Neugier der Bürger dürfte zum
wirtschaftlichen Erfolg der Sachbuchveröffentlichung nicht unwesentlich
beigetragen haben.
Man sollte also meinen, dass sich die Methode „Index“ im Umgang mit nicht hilfreichen Werken keineswegs als Mittel der Wahl erwiesen hat. Gleichwohl gelangt sie noch zur Anwendung. So auch in der Debatte um das Buch „Finis Germania“ des im letzten Jahr aus dem Leben geschiedenen Historikers Rolf Peter Sieferle.
Die Ironie an der Causa
Sieferle liegt nun darin, dass diese von einer Platzierung des genannten Titels
auf einer Liste ihren Ausgang nahm; freilich nicht auf einem Verbotsindex,
sondern einem von einer Jury erstellten Empfehlungsclassement. Die Änderung des
Vorzeichens von Plus auf Minus ging mit dem erwartbaren medialen Getöse einher –
und dem daraus folgenden Effekt, dass die Verkaufszahlen von „Finis Germania“
in die Höhe geschnellt sind.
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Wäre es, um die
Aufmerksamkeitsverstärkung durch die Indizierung hintanzuhalten, seitens der
Bann-Aspiranten nicht vorzuziehen, über ein als toxisch erachtetes Werk den
Mantel ungnädigen Schweigens zu breiten? Nicht unbedingt. Denn wenn das Opus
trotz seiner diskursiven Eskamotierung in der Öffentlichkeit Verbreitung
findet, fehlt dem Publikum die Handreichung, wie es das Geschaffene zu
interpretieren hat.
Genau dies war der Fall bei
der Antisemitismus-Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf
Juden in Europa“ (die übrigens noch bis Mittwoch in der ARD-Mediathek abgerufen werden kann). Nach der anfänglichen Weigerung von ARTE und dem WDR, das
inkriminierte Stück auf die Mattscheibe zu bringen, ergriff BILD die Gelegenheit und stellte den Film 24 Stunden lang ins Netz. Dadurch unter Druck gesetzt,
wurde es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen plötzlich möglich, die
Dokumentation redaktionell zu bearbeiten, wenn auch in einer die Urheber
gezielt desavouierenden Form. Aber: Viele Interessierte hatten den Beitrag zu
diesem Zeitpunkt wohl schon auf der Web-Präsenz der BILD oder in anderen
Bereichen des Internets gesehen, dies ganz ohne höchstobrigkeitliche Vorgabe,
wie man das alles denn aufzufassen habe.
Genau an dieser Stelle zeigt sich die faktische Überlegenheit des „Index“-Ansatzes. Denn dieser bewirkt, dass ein Teil des Publikums auf eine eigene Rezption des angeprangerten Werkes von vornherein verzichtet, weil es sich einer bereits vorgefertigten Meinung anschließen kann (so wie die Bundeskanzlerin, die Sarrazins Buch – den Autoritäten folgend – als „diffamierend“ und „nicht hilfreich“ kritisierte) oder sich dem Opus bereits mit einer Voreingenommenheit, einem bias, annähert.
Genau an dieser Stelle zeigt sich die faktische Überlegenheit des „Index“-Ansatzes. Denn dieser bewirkt, dass ein Teil des Publikums auf eine eigene Rezption des angeprangerten Werkes von vornherein verzichtet, weil es sich einer bereits vorgefertigten Meinung anschließen kann (so wie die Bundeskanzlerin, die Sarrazins Buch – den Autoritäten folgend – als „diffamierend“ und „nicht hilfreich“ kritisierte) oder sich dem Opus bereits mit einer Voreingenommenheit, einem bias, annähert.
Noricus
© Noricus. Mit Dank an Manfred Sachs, nocheiner und R.A. für Link-Hinweise. Für Kommentare bitte hier klicken.