22. Dezember 2016

Der Riss. Ein kleiner Brief an den Bundespräsidenten.


Vielfach ist derzeit in Politik und Medien die Rede davon, dass wir uns jetzt nicht spalten lassen dürfen. Wir sollen zusammenstehen, niemanden ausschliessen (am besten noch Kumbaya singen) weil ansonsten "die Terroristen ihr Ziel erreicht haben". Den vordersten aller Vereiniger macht unser Bundespräsident und führte aus: "Unser Deutschland bleibt ein Land der Freiheit, des Zusammenhalts und des inneren Friedens"­. Deshalb habe ich ein paar Zeilen an ihn.


Lieber Herr Gauck, auch wenn das für Sie jetzt ganz bitter sein mag: Wie sind keine geschlossene Gesellschaft die zusammensteht. Wir sind auch kein Land der Freiheit. Und mit dem inneren Frieden ist es so weit bald auch nicht mehr her. Das alles sind wir schon lange nicht mehr. Und dafür sind, bei aller Rücksichtnahme auf ihre Weltsicht, nicht die Terroristen verantwortlich sondern eher eine Gruppe verantwortungsloser Politiker und Journalisten. Und Sie höchstpersönlich, lieber Herr Gauck, haben zumindest bei ersterem und letzterem einen ganz ordentlichen Anteil daran. Unser Land war seit dem zweiten Weltkrieg, mit Ausnahme einer Phase in den siebziger Jahren, eine ziemliche Konsensdemokratie. Selbst wenn man nicht einer Meinung war (und die Meinungen waren trotz allem immer vergleichsweise ähnlich), dann hat man den anderen vielleicht beschimpft (man erinnere sich an Franz Josef Strauss), aber immer noch als Gegenüber und Andersmeinenden respektiert. Ein Respekt den Sie(!), und eine Menge Leute, die denken wie Sie, inzwischen einem guten Teil der Bevölkerung rundheraus absprechen. Sie selber sprachen von Dunkeldeutschland, während ihr Kollege Gabriel das "Pack" auspackte, derweil sein Mann fürs Grobe auch schonmal ganzen Bevölkerungsanteilen den Anstand und die Demokratiebefähigung absprach. Der amtiere Justizminister bemüht sich Zensurgesetze aus der Wiege zu heben, die eben auf jenes "Pack" gezielt sind, während seine Kollegin aus dem Familienministerium linke Schlägerkommandos finanziert, die gegen alles losrollen was sie für "rechts" halten. Und Sie wagen es davon zu sprechen, dass man sich jetzt nicht spalten lassen darf.

Dieses Land wurde gespalten als im Jahr 2015 eine verheerende, geradezu vernichtende politische Fehlentscheidung getroffen wurde. Vermutlich die größte Fehlentscheidung seit Existenz der Bundesrepublik. Nun, das alleine würde die Spaltung nicht erklären, aber im Zuge dieser Fehlentscheidung wurden von Ihnen, lieber Herr Bundespräsident, wie auch von großen Anteilen von Politik und Medien, jeder, der es auch nur wagte diese Fehlentscheidung anzuzweifeln, mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Gewalt bis aufs Blut bekämpft und zwar nicht auf sachlicher sondern fast ausschließlich auf persönlicher Ebene. Statt sich mit dem Thema oder der Frage nach der Richtigkeit der Entscheidung auseinanderzusetzen, haben Sie mehr oder minder erfolgreich versucht diejenigen, die kritisiert haben, zu deligitimieren. Sei es, in dem sie ihnen die Demokratie abgesprochen haben, die Humanität, den Verstand oder sie schlicht als nicht satisfaktionsfähig ignoriert haben. Die Politik hat ganz erhebliche Anteile der Bevölkerung aus dem "Konsens" der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen, und Sie, ausgerechnet als Bundespräsident, haben diese Entwicklung nicht nur nicht bekämpft sondern aktiv befördert. Was Sie, das ist hier aber nur ein Nebenaspekt, in meinen Augen zu einem der schlechtesten Bundespräsidenten der letzten Jahrzehnte macht und zu jemandem, der bei seinem zentralen Auftrag als Bundespräsident, auf ganzer Linie versagt hat. Wie dem aber auch sei, es ist absurd zu meinen mit Apellen an die Gemeinsamkeit könnten Sie nun das, was Sie die letzten anderthalb Jahre angerichtet haben, mal eben so aus der Welt schaffen. 
Nehmen Sie es mir nicht zu krumm, ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass es Ihnen, und anderen, die jetzt den Zusammenhalt propagieren, wirklich um eben jenen geht. Wer in einem Atemzug den Zusammenhalt herbeiredet, um im nächsten Satz gleich schon wieder auf "das Pack" zu schimpfen, macht sich nicht besonders glaubwürdig, wenn es im Zusammenhalt geht. Man hat eher den Eindruck, es geht darum, nach wie vor den Gegenüber zu delegitimieren, doch statt ihm wie vorher einfach die Humanität oder den guten Willen abzusprechen, versucht man es jetzt damit den anderen zum Spalter zu stilisieren. Das hat dann schon was von "Haltet den Dieb!". 
Nein, lieber Herr Gauck, so wird das nicht funktionieren. Wenn die deutsche Gesellschaft ihren inneren Frieden wiederfinden soll, dann wird das nur funktionieren, wenn die Gesellschaft wieder gemeinsam zu einem Nenner findet. Es wäre zu hoffen das sich die Dinge im Laufe der nächsten Jahre normalisieren, der Flüchtlingsstrom zumindest in Teilen zurückgeführt wird und die Bevölkerung wieder die Kontrolle über das eigene Land fühlt. Das wird aber nicht mit Ihnen möglich sein, und auch nicht mit denjenigen, die heute versuchen eben jene Einigkeit herbeizureden (Gut, Sie sind dann ohnehin verschwunden, insofern ist zumindest diese Hypothek ausgelöst).
Ein Zusammenstehen kann und wird es erst wieder geben, wenn der Teil der politischen Führung, der Meinung und Tatsache nicht unterscheiden kann oder will, wieder von der Bildfläche verschwunden ist und wir wieder dahin kommen zu begreifen, dass eine Gesellschaft eben nicht nur aus einer politischen Strömung besteht.

Llarian

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