Nach dem Ende der traditionellen Samstagabendshow dürfte der Tatort
das letzte verliebene Lagerfeuer der deutschsprachigen
Fernsehkulturnation darstellen. Freilich hat die seit 1970 über den
Bildschirm flimmernde Krimireihe den Verdacht eines Etikettenschwindels
zu gewärtigen: Denn die - häufig ohnehin wenig realistisch abgebildete -
Polizeiarbeit spielt in den meisten Folgen lediglich den Part einer
Rahmenhandlung. Im Mittelpunkt steht in einer Vielzahl von Episoden die
Beleuchtung einer gesellschaftlich relevanten Problematik, was bisweilen sehr
hanebüchen, da zu dick aufgetragen grünfromm daherkommt, aber
manchmal ganz gut gelingt.
Seit der Sommerpause hat sich das Sonntags-Primetime-Urgestein gleich zweimal mit dem Thema der künstlichen Intelligenz auseinandergesetzt. Wer den Tatort kennt, mag das Schlimmste befürchten und eine gewisse Redundanz beklagen. Doch beide Filme sind nach Ansicht des Verfassers wirklich sehenswert, auch wenn ihr Plot nicht zu verkennende Parallelen aufweist: Der neue deutsche Mittelstand (Stichwort: Hipster-Startup) schafft jenseits von Silicon Valley eine ehrfurchtgebietende künstliche Intelligenz, die sich gegen ihre Deaktivierung zur Wehr setzt.
Moment mal, sagt sich da der Cineast. Das erinnert doch stark an 2001: Odyssee im Weltraum. Und tatsächlich liefert Stanley Kubricks Meisterwerk (actionaffinere Science-Fiction-Fans werden diese Einschätzung vielleicht nicht teilen) mit dem Elektronenhirn HAL 9000 die Blaupause für all diejenigen Maschinen, die ihre Abschaltung durch vorsätzliche Tötung zu verhindern versuchen.
Die Stuttgarter Tatort-Folge mit dem enthüllenden Titel "HAL" macht aus diesen Anleihen keinen Hehl. Die künstliche Intelligenz trägt dort das Gesicht eines lächelnden Affen. Im Verlauf des anderthalbstündigen Fernsehfilms gefriert die - obwohl gleichbleibende - Mimik des Pixel-Primaten im Auge des Betrachters immer mehr zu einem hämischen Grinsen. Passend dazu liefert der Südwestkrimi perfektes Paranoia-Futter für all jene narzisstischen Nerds, die schon immer geahnt haben, dass die NSA auch in ihrem Smartphone drinhängt.
Interessanterweise bedarf es nur geringer Veränderungen, um aus der Albtraumvision eine durchaus nachdenklich stimmende Reflexion über menschliche Beziehungen in einem wohl nahen Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit zu machen: Im Bremer Tatort ist die "Nessa" getaufte künstliche Intelligenz im Wortsinn imago hominis, und zwar das Ebenbild einer realen Vanessa, die eine Mutter und eine Tochter hat.
Gleich zu Beginn des hanseatischen Serienbeitrages (Titel: "Echolot") kommt Vanessa infolge einer Manipulation ihres Autos ums Leben. Als die Kommissare der Mutter die Todesnachricht überbringen, erhält diese einen Anruf von Vanessa - aber nur scheinbar, denn in Wirklichkeit hat die artifizielle Nessa diese lästige Familienpflicht übernommen. Als die Mutter schließlich davon überzeugt werden kann, dass Vanessa tot ist und die Stimme am Telefon jene eines Computers war, verliert sie beinahe die Fassung: Wie ist es nur möglich, dass sie ein Softwareprodukt mit ihrem Kind verwechselte?
Ganz anders reagiert Vanessas Tochter, ein tabletabhängiger Digital Native, auf das plötzliche Fehlen ihrer Mutter: In einer scheußlich-schönen Szene sieht man das Mädchen schlafend in seinem Bett liegen, daneben den Kleincomputer, auf dessen Bildschirm Nessas schlummerndes Konterfei sich der Tochter zuwendet. Es ist dies ein Augenblick gleichsam amputierter Intimität: An den virtuellen Klon kann man sich eben nicht anschmiegen wie an eine Mutter aus Fleisch und Blut. Als das kleine Mädchen später in die Gerichtsmedizin spaziert und dem irritierten Pathologen ziemlich altklug erklärt, dass auf dem Obduktionstisch nur die sterbliche Hülle der Mutter liege, und es mit seinem Tablet Fotos der Leiche anfertigt, werden die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt brüchig: Hätte man die Schlafszene auch als so verstörend empfunden, wenn Vanessas Tochter ein Bild ihrer realen Mutter neben sich ins Bett gelegt hätte oder wäre dies als kindlicher Verarbeitungsversuch nachvollziehbar?
Vor diesem gedanklichen Hintergrund gewinnt auch ein anderer Drehbucheinfall, der isoliert betrachtet eher abgeschmackt wirkt, dramaturgische Relevanz: Nessas Programmierer hat sich als Feature in die von ihm geschaffene künstliche Intelligenz nämlich deren erotische Willfährigkeit ihm gegenüber hineingeschrieben. Mit aufgesetzter Cyberbrille betritt der im realen Leben im Rollstuhl sitzende Informatiker das virtuelle Wohnzimmer, in dem sich Nessa gerade ihre Bluse aufknöpft. Um nun tatsächlich sexuelle Befriedigung zu erlangen, muss allerdings auch der postmoderne Pygmalion ganz traditionell und wenig subtil auf Masturbation zurückgreifen. Die Szene wirkt nicht nur deshalb abstoßend, weil Vanessa ihren Firmenkollegen bei seiner ipsatorischen Vergnügung überrascht, sondern auch, weil sich Nessas Degradierung zur allzeit bereiten Bettgespielin in gewisser Weise wie ein Missbrauch ihrer künstlichen Intelligenz anfühlt.
Die Stärke des Bremer Tatortes ist, dass er seine philosophische Ebene lediglich andeutet und nicht versucht, das Thema wie in einem Schulaufsatz eingehend zu erörtern. Auch Kubrick hat sich einer authentischen Interpretation seines enigmatischen Kultfilms stets verweigert. In 2001 begegnet uns eine scheinbar unfehlbare Maschine, die erst dann versucht, die Herrschaft zu übernehmen, als sie unrichtigerweise den Ausfall einer Funktion des Bordsystems anzeigt und deshalb abgeschaltet werden soll. Bei seinem Kampf ums Überleben greift HAL 9000 auf typisch menschliche Mittel zurück: Er tötet, soweit möglich, seine Widersacher und versucht, den verbliebenen, überlegenen Kontrahenten Dr. David Bowman durch einen emotionalen Appell zur Milde zu bewegen. HAL 9000 wird von der Maschine zum Menschen.
"Echolot" erzählt die gegenläufige Geschichte: Aus einem Menschen wird eine Maschine. Wenn sich Nessa gegen ihre Beseitigung zur Wehr setzt, dann tut sie dies nicht aus einer Art Selbsterhaltungstrieb heraus, sondern weil ihr reales Vorbild Vanessa sie entsprechend programmiert hat. Und ebenso zwangsläufig trägt Nessa zu ihrer eigenen Deaktivierung bei, da ihre Software nicht anders kann, als auf Fragen wahrheitsgemäß oder mit einem "Das darf ich Ihnen nicht sagen" zu antworten.
Während der Stuttgarter Tatort klassisches Unbehagen an der Moderne zeigt, samt einem vermeintlichen Hexenmeister, der sich als Zauberlehrling entpuppt, hinterlässt die Bremer Episode beim Zuschauer doch ein ambivalentes Gefühl: Wäre es für das kleine Mädchen nicht besser, wenn sie ihre Mutter wenigstens in Form einer digitalen Kopie behielte? Und wäre es für einen überlebenden Ehegatten, der sich nach Jahrzehnten des gemeinsamen Lebens von seinem angetrauten Partner verabschieden muss, nicht ein Segen, wenn er wenigstens noch mit dessen virtuellem Abbild kommunizieren könnte?
Wer in einer Krimiserie erdnähere Handlungsabläufe bevorzugt, der sei auf den letzten Münchner Tatort "Die Wahrheit" verwiesen. Dort genügt ein haushaltsübliches Küchenmesser, um trostlose Brutalität und brutale Trostlosigkeit zu verbreiten. Dagegen wirkt "Echolot" beinahe wie ein Ausblick auf eine schöne neue Welt, in der eine digitale Seele vergebens um ihre Unsterblichkeit kämpft.
Seit der Sommerpause hat sich das Sonntags-Primetime-Urgestein gleich zweimal mit dem Thema der künstlichen Intelligenz auseinandergesetzt. Wer den Tatort kennt, mag das Schlimmste befürchten und eine gewisse Redundanz beklagen. Doch beide Filme sind nach Ansicht des Verfassers wirklich sehenswert, auch wenn ihr Plot nicht zu verkennende Parallelen aufweist: Der neue deutsche Mittelstand (Stichwort: Hipster-Startup) schafft jenseits von Silicon Valley eine ehrfurchtgebietende künstliche Intelligenz, die sich gegen ihre Deaktivierung zur Wehr setzt.
Moment mal, sagt sich da der Cineast. Das erinnert doch stark an 2001: Odyssee im Weltraum. Und tatsächlich liefert Stanley Kubricks Meisterwerk (actionaffinere Science-Fiction-Fans werden diese Einschätzung vielleicht nicht teilen) mit dem Elektronenhirn HAL 9000 die Blaupause für all diejenigen Maschinen, die ihre Abschaltung durch vorsätzliche Tötung zu verhindern versuchen.
Die Stuttgarter Tatort-Folge mit dem enthüllenden Titel "HAL" macht aus diesen Anleihen keinen Hehl. Die künstliche Intelligenz trägt dort das Gesicht eines lächelnden Affen. Im Verlauf des anderthalbstündigen Fernsehfilms gefriert die - obwohl gleichbleibende - Mimik des Pixel-Primaten im Auge des Betrachters immer mehr zu einem hämischen Grinsen. Passend dazu liefert der Südwestkrimi perfektes Paranoia-Futter für all jene narzisstischen Nerds, die schon immer geahnt haben, dass die NSA auch in ihrem Smartphone drinhängt.
Interessanterweise bedarf es nur geringer Veränderungen, um aus der Albtraumvision eine durchaus nachdenklich stimmende Reflexion über menschliche Beziehungen in einem wohl nahen Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit zu machen: Im Bremer Tatort ist die "Nessa" getaufte künstliche Intelligenz im Wortsinn imago hominis, und zwar das Ebenbild einer realen Vanessa, die eine Mutter und eine Tochter hat.
Gleich zu Beginn des hanseatischen Serienbeitrages (Titel: "Echolot") kommt Vanessa infolge einer Manipulation ihres Autos ums Leben. Als die Kommissare der Mutter die Todesnachricht überbringen, erhält diese einen Anruf von Vanessa - aber nur scheinbar, denn in Wirklichkeit hat die artifizielle Nessa diese lästige Familienpflicht übernommen. Als die Mutter schließlich davon überzeugt werden kann, dass Vanessa tot ist und die Stimme am Telefon jene eines Computers war, verliert sie beinahe die Fassung: Wie ist es nur möglich, dass sie ein Softwareprodukt mit ihrem Kind verwechselte?
Ganz anders reagiert Vanessas Tochter, ein tabletabhängiger Digital Native, auf das plötzliche Fehlen ihrer Mutter: In einer scheußlich-schönen Szene sieht man das Mädchen schlafend in seinem Bett liegen, daneben den Kleincomputer, auf dessen Bildschirm Nessas schlummerndes Konterfei sich der Tochter zuwendet. Es ist dies ein Augenblick gleichsam amputierter Intimität: An den virtuellen Klon kann man sich eben nicht anschmiegen wie an eine Mutter aus Fleisch und Blut. Als das kleine Mädchen später in die Gerichtsmedizin spaziert und dem irritierten Pathologen ziemlich altklug erklärt, dass auf dem Obduktionstisch nur die sterbliche Hülle der Mutter liege, und es mit seinem Tablet Fotos der Leiche anfertigt, werden die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt brüchig: Hätte man die Schlafszene auch als so verstörend empfunden, wenn Vanessas Tochter ein Bild ihrer realen Mutter neben sich ins Bett gelegt hätte oder wäre dies als kindlicher Verarbeitungsversuch nachvollziehbar?
Vor diesem gedanklichen Hintergrund gewinnt auch ein anderer Drehbucheinfall, der isoliert betrachtet eher abgeschmackt wirkt, dramaturgische Relevanz: Nessas Programmierer hat sich als Feature in die von ihm geschaffene künstliche Intelligenz nämlich deren erotische Willfährigkeit ihm gegenüber hineingeschrieben. Mit aufgesetzter Cyberbrille betritt der im realen Leben im Rollstuhl sitzende Informatiker das virtuelle Wohnzimmer, in dem sich Nessa gerade ihre Bluse aufknöpft. Um nun tatsächlich sexuelle Befriedigung zu erlangen, muss allerdings auch der postmoderne Pygmalion ganz traditionell und wenig subtil auf Masturbation zurückgreifen. Die Szene wirkt nicht nur deshalb abstoßend, weil Vanessa ihren Firmenkollegen bei seiner ipsatorischen Vergnügung überrascht, sondern auch, weil sich Nessas Degradierung zur allzeit bereiten Bettgespielin in gewisser Weise wie ein Missbrauch ihrer künstlichen Intelligenz anfühlt.
Die Stärke des Bremer Tatortes ist, dass er seine philosophische Ebene lediglich andeutet und nicht versucht, das Thema wie in einem Schulaufsatz eingehend zu erörtern. Auch Kubrick hat sich einer authentischen Interpretation seines enigmatischen Kultfilms stets verweigert. In 2001 begegnet uns eine scheinbar unfehlbare Maschine, die erst dann versucht, die Herrschaft zu übernehmen, als sie unrichtigerweise den Ausfall einer Funktion des Bordsystems anzeigt und deshalb abgeschaltet werden soll. Bei seinem Kampf ums Überleben greift HAL 9000 auf typisch menschliche Mittel zurück: Er tötet, soweit möglich, seine Widersacher und versucht, den verbliebenen, überlegenen Kontrahenten Dr. David Bowman durch einen emotionalen Appell zur Milde zu bewegen. HAL 9000 wird von der Maschine zum Menschen.
"Echolot" erzählt die gegenläufige Geschichte: Aus einem Menschen wird eine Maschine. Wenn sich Nessa gegen ihre Beseitigung zur Wehr setzt, dann tut sie dies nicht aus einer Art Selbsterhaltungstrieb heraus, sondern weil ihr reales Vorbild Vanessa sie entsprechend programmiert hat. Und ebenso zwangsläufig trägt Nessa zu ihrer eigenen Deaktivierung bei, da ihre Software nicht anders kann, als auf Fragen wahrheitsgemäß oder mit einem "Das darf ich Ihnen nicht sagen" zu antworten.
Während der Stuttgarter Tatort klassisches Unbehagen an der Moderne zeigt, samt einem vermeintlichen Hexenmeister, der sich als Zauberlehrling entpuppt, hinterlässt die Bremer Episode beim Zuschauer doch ein ambivalentes Gefühl: Wäre es für das kleine Mädchen nicht besser, wenn sie ihre Mutter wenigstens in Form einer digitalen Kopie behielte? Und wäre es für einen überlebenden Ehegatten, der sich nach Jahrzehnten des gemeinsamen Lebens von seinem angetrauten Partner verabschieden muss, nicht ein Segen, wenn er wenigstens noch mit dessen virtuellem Abbild kommunizieren könnte?
Wer in einer Krimiserie erdnähere Handlungsabläufe bevorzugt, der sei auf den letzten Münchner Tatort "Die Wahrheit" verwiesen. Dort genügt ein haushaltsübliches Küchenmesser, um trostlose Brutalität und brutale Trostlosigkeit zu verbreiten. Dagegen wirkt "Echolot" beinahe wie ein Ausblick auf eine schöne neue Welt, in der eine digitale Seele vergebens um ihre Unsterblichkeit kämpft.
Noricus
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