17. Juli 2016

Zwei Urteile

Richterschelte hat immer etwas billiges, weil natürlich der komplette Sachverhalt einer Tat, die Komplexität des Rechtes wie auch die Erwägungen, die ein Richter durchführt, sich kaum in dem einfachen Zahlenwertes eines Urteils ausdrücken können. Urteile, die auf den ersten Blick zumindest etwas Stirnrunzeln verursachen, sind bei näherer Betrachtung der Fakten oftmals vielleicht nicht perfekt verständlich, aber dann doch zumindest so weit in der Bewertung verschoben, dass man nicht mehr mit beiden Augen seltsam dreinschaut. Dennoch müssen alle Urteile natürlich irgenwie in einer Konstellation zusammen liegen, bzw. untereinander eine gewisse Konsistenz haben.
Zwei Gerichte in NRW haben Anfang des Monats Urteile gefällt, die zumindest in ihrer Konsistenz mir ein wenig seltsam anmuten. Doch der Reihe nach:
Das erste Urteil, ein sehr erfreuliches, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf am 1. Juli, getroffen, als es den Attentäter Frank S., der versucht hatte die damalige Oberbürgermeisterkandidatin (heute Oberbürgermeister) Reker zu ermorden. Er erhielt 14 Jahre. Nach meinem Dafürhalten im Ergebnis ein sehr gutes Urteil, prinzipiell könnte ich durchaus damit leben, dass verhinderte Attentäter auch für den Rest ihres Lebens verschwinden (denn es ist kaum die "Leistung" des Attentäters, dass er unfähig war). Dennoch muss man festhalten, dass Frank S. nur wegen versuchten Mordes verurteilt werden konnte und dafür besagte 14 Jahre erhielt. Ebenso ist anzumerken, dass die Höhe für versuchten Mord deutlichst am oberen Rand des zu erwartenden Strafmaßes liegt (um genau zu sein, es definiert eher den oberen Rand, es ist mir trotz einiger Suche nicht gelungen auch nur einen versuchten Mord zu finden, der in selbiger Höhe geahndet wurde, normal sind eher 6-10 Jahre). Aber, wie schon gesagt, im Ergebnis sicher ein positives Urteil.
Das zweite Urteil ist aus meiner Sicht leider weniger erfreulich. Am 7. Juli verurteilte ein Kölner Amtsgericht zwei der "Sylvester-Grabscher" (™ Augstein) zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr. Die Details der Tat kann man hier nachlesen. Um es kurz zu machen, es handelt sich um eine ziemlich widerliche Tat. Und auch wenn die Täter nicht zu einer Penetration (doofes Wort) gelangt sind, so dürfte die Gewalterfahrung, die diese beiden Frauen ertragen haben, eine nicht nur kleine Traumatisierung hinterlassen haben. Auch der Halbsatz "give the girls sonst Tod" dürfte seine Wirkung nicht verhehlt haben und zeigt ziemlich gut die innere Verfassung der Täter. Das ist dann also ein Jahr. Auf Bewährung. Nach Leserart des Gerichtes wohl immerhin besser als eine Geldstrafe. Nun denn.
Warum nun diese beiden Urteile zusammen beleuchten? Versuchter Mord ist immer noch etwas anderes als eine Frau in einer Menschenmenge sexuell zu nötigen oder andere verbal mit dem Tod zu bedrohen. Das stimmt. Es ist sicher nicht vergleichbar. Es liegt natürlich in einer anderen Dimension. Aber etwas anderes fällt auf:
Im zweiten Urteil wurden die üblichen Milderungsgründe, die man viel zu häufig liest, voll berücksichtigt: Haupttäter war 21, damit quasi automatisch "entwicklungsverzögert", also Jugendstrafrecht. Tat war spontan und ungeplant. Jüngerer Angeklagter geständig (was wohl damit zusammenhängen dürfte, dass er auf den Fotos der Handys klar zu erkennen war).
Frank S. dagegen hatte weniger "Glück". Jugendliches Alter konnte er mit 45 wohl nicht mehr geltend machen. Aber eine schwere Kindeheit hatte er wohl schon (Ausgesetzt, Pflegefamilie, Gewalt, das ganze Programm). Irrelevant. Ebenso wurde bei ihm eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Auch irrelevant, weil eben auch voll schuldfähig. Geständig war er wohl auch (was natürlich etwas witzlos ist, wenn man mit der Waffe in der Hand festgenommen wird). 
Was mir negativ auffällt ist nicht, dass Frank S. hart bestraft wird. Was auffällt ist, dass Milderungsgründe bei ihm keine Rolle spielen, Verschärfungsgründe aber problemlos gefunden wurden. Ganz im Gegensatz zu Urteil zwei.
Sieht man sich nur Urteil eins an, dann kriegt man den Eindruck, dass Justitia absolut nicht blind ist, sie sieht auf dem rechten Auge sehr, sehr gut (und das ist auch sehr gut so). Auf dem anderen Auge aber scheint sie nicht ganz so scharf sehen zu wollen. Zumindest kneift sie das eher mal zu.
Ich halte Urteil zwei daher aus zwei Gründen für verhehrend. Zum einen suggeriert es, dass es tatsächlich Unterschiede zwischen Tätern je nach Gesinnung gibt. Die anderen Frank S. da draussen, die es mit Sicherheit auch gibt, werden sich weniger abgeschreckt als bestätigt fühlen in dem was sie denken. Das Urteil eins wird durch zwei doch recht deutlich entwertet, zumindest wenn man den Eindruck erwecken will, Justitia mache keinen Unterschied zwischen der Gesinnung von Tätern. Aber auch für sich ist Urteil zwei bedenklich. Nicht nur, dass es die Opfer noch einmal kräftig vor den Kopf stößt, man darf sich auch fragen welche Wirkung solche Urteile auf "unsere" 1,x Millionen Neubürger wohl haben dürfte. Man kann sich darüber streiten, ob die Yellow-Press so ein besonders gutes Informationsmittel ist, aber ich würde dazu einladen, mal folgendes Bild zu betrachten, dass den einen Täter nach dem Urteil zeigt. Falls eine erzieherische Wirkung durch Urteile erreicht werden soll, dann muss man hier wohl zu dem Ergebnis kommen: Ziel verfehlt. Und zwar vollständig. Ich denke das Gegenteil wurde erreicht.
Wenn wir also demnächst das eine oder andere Köln erleben werden (und das wird passieren), dann hat das auch seine Ursache in solchen Urteilen. Glaubt man ernsthaft an eine Abschreckungs- oder Erziehungswirkungen bei solchen Strafen?
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Llarian

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