23. Juli 2016

Zum mutmaßlichen* Amoklauf von München

Einschließlich des Täters sind gestern in München 10 Menschen ums Leben gekommen; 16 weitere wurden verletzt. Mir scheint angemessen, an diesem Punkt kurz innezuhalten. Neun Menschen, deren Lebenslauf jäh endete, ohne ihr Zutun. Menschen, die gestern Morgen wie Sie und ich aufgestanden und ihren täglichen Verrichtungen nachgegangen sind. 10 Menschen, deren Angehörige wohl nie wieder in die gewohnten Lebenskreise zurückfinden werden, denen sie gestern entrissen worden sind, und die noch versuchen werden, das geschehene zu bewältigen lange nachdem die mediale (und Blogger-) Karawane weitergezogen sein wird. 
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Nach allem was bisher zu lesen war, handelte es sich bei dem Täter um einen 18 Jahre alten Deutsch-Iraner, und insbesondere dieses Video läßt vermuten, daß es sich bei der Tat um einen Amoklauf gehandelt hat. Die offensichtliche Unentschlossenheit des Täters, insbesondere aber seine Versuche, die Tat zu rechtfertigen bieten sich gewissermaßen als Lehrstück an, um die Unterschiede zu islamistischen Attentätern sichtbar zu machen. Keinerlei erkennbarer ideologischer Überbau, keine "Parolen" keine Selbstanfeuerungen oder dergleichen. Er sei in der Vergangenheit "gemobbt" worden und habe "Behandlungen" gemacht. Die Tat ist wohl in die Reihe von Amokläufen, wie denen in Erfurt oder Winnenden, einzuordnen. Sollte sich hieraus eine Stigmatisierung psychisch Kranker ergeben, so ist sie in diesem Fall wohl weniger den Medien anzulasten als der gelegentlich grausamen Wirklichkeit, wie auch im Falle von Andreas Lubitz.

Mein eigentlicher Punkt ist aber der folgende. Gegen 20.00 Uhr kamen gestern Abend erste Gerüchte auf, daß es sich bei der Tat um einen rechtsextremen Terrorhintergrund gehandelt haben könnte. Auch mir erschien diese Möglichkeit, wenn nicht sehr wahrscheinlich, so doch zumindest denkbar. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Massenmord durch den norwegischen Rechtsextremen Anders Breivik hätte eine solche Tat in rechtsextremen Kreisen vermutlich enorme Symbolkraft entfaltet. Es ist auch überhaupt nicht auszuschließen, daß sich in den letzten Monaten, angesichts des Zuzugs von 1,2 Millionen Ausländern, Rechtsextreme im verborgenen radikalisiert haben, wenngleich das wahllose Erschießen von Passanten vermutlich nicht zu deren bevorzugten Strategien gehörte.

Welche Auswirkungen hätte ein rechtsextremer Anschlag auf die Zivilgesellschaft gehabt? Mit welcher medialen Reaktion wäre zu rechnen gewesen? Wie viele Aufrufe zur "Besonnenheit" hätte es in einem solchen Fall gegeben? Was hätte dies für die Entwicklung der zweifelhaften "No Hatespeech"-Kampagne bedeutet? Wie viel Einfluß verschaffte eine solche Tat Figuren wie Anetta Kahane, die es geschafft hat, in zwei völlig unterschiedlichen politisch-ideologischen Systemen das exakt gleiche zu tun (bemerkenswerterweise in der DDR jedoch heimlich und im verborgenen; heute dagegen offen und als mutmaßliche  Anwärterin auf das Bundesverdienstkreuz). Wie viel Oberwasser, wie viel Gelegenheit zur Ausweitung und Vertiefung bekämen die Initiativen eines Heiko Maas oder einer Manuela Schwesig???? Fragen!

Es mag zynisch klingen. Ich bin sicher, daß die Zivilgesellschaft den gestrigen Amoklauf ertragen und letztlich wegstecken wird. Sie wird sogar weitere und schwerere islamistische Anschläge als den von Würzburg ertragen und unter Abspulen jenes Rituals wegstecken; in gewisser Hinsicht sind diese bereits "eingepreist", weil prognostiziert und gleichsam in der Luft liegend. Die erwartbaren Auswirkungen, die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen eines großen rechtsextremen Anschlags dagegen müssen erschauern lassen. Vermutlich gibt es kein Land, in dem rechter Terror so erfolgreich wäre, im Sinne des Herbeiführens gesellschaftlicher Veränderungen zum Nachteil der Freiheit, wie in Deutschland.

* Zum Zeitpunkt der Verfassens dieses Artikels waren die Erkenntnisse noch nicht so weit gediehen wie seit der PK der Münchener Polizei vom 23.7. Zu diesem Zeitpunkt erschien auch ein politisch-terroristisch motivierter Angriff noch möglich; hierauf bezieht sich das "mutmaßlich".



Andreas Döding

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