Der Gegensatz zwischen dem Lippenbekenntnis zur Meinungsfreiheit und der Schwierigkeit diese dann auch tatsächlich zu ertragen, ist schon früher einmal Thema in diesem Blog gewesen. Ein sehr markantes Beispiel hat sich in den vergangenen Tagen in NRW zugetragen.
Eine nicht näher bezeichnete Frau aus Bönen äußerte auf Facebook ihre Freude für den Amoklauf in München. Sie schrieb (Zitat):
„In München Terroranschlag? #gutso!!!!“ Deutschland finanziert die PKK. Deutschland will, dass Erdogan vernichtet wird. Deutschland will, dass die Türkei vernichtet wird. Ich soll jetzt Mitleid haben? Nein. Warte nur ab Merkel, es wird noch schlimmer kommen. #karma“.Soweit, so schlecht. Davon ab das das nicht nur ein bischen nach Verschwörungstheorie müffelt, so ist es mit Sicherheit auch ebenso geschmack- wie pietätlos. Was es aber vor allem ist, ist eins: Eine Meinungsäusserung. Das jemand einen Anschlag/Amoklauf für gut befindet ist nicht strafbar. Das jemand meint, die BRD finanziere die PKK ist nicht strafbar (allenfalls als Diffamierung und ob "Deutschland" mangels Konkretisierung überhaupt diffamierbar ist, bezweifele ich). Das jemand meint "Deutschland" möchte gerne Erdogan vernichten ist auch nicht strafbar (das wäre auch die einzige Aussage, die ich diskussionswürdig sehen würde). Das jemand kein Mitleid hat und das äussert? Nicht strafbar. Und das jemand Frau Merkel ankündigt, es werde noch schlimmer kommen? Auch nicht wirklich strafbar, man muss daraus schon mit sehr viel Gewalt und Verbiegung eine Drohung konstuieren. Alles in allem sicher geschmacklos, aber genau das ist es, was das Grundgesetz meint, wenn es darum geht, dass die Meinung frei ist. Es geht eben nicht um die Meinung, dass der FC Bayern doof ist, das die Renten viel zu niedrig sind und das Dieter Bohlen ins Dschungelcamp gehört. Es geht um Meinungen, die unbequem sind, die nicht mehrheitsfähig sind, die spinnert sind, die einen abstossen und die am Ende keiner ernst nehmen möchte. Meinungsfreiheit ist erst dann gegeben, wenn auch Spinner ihre Meinung kund tun können.
In einer Gesellschaft, die es mit besagter Freiheit ernst meinte, würde man also mit der Schulter zucken und die Spinnerin eine Spinnerin sein lassen. Allerdings ist die BRD 2016 keine Gesellschaft, die besagte Freiheit noch besonders ernst nimmt. So dauerte es nicht lange bis die Dame dann auch pflichtschuldigst denunziert wurde. Ein "User" namens Daniel S. stolperte über ihre Facebook Seite und fand den inkriminierenden Text. Allerdings übergab er diesen nicht der Polizei oder Staatsanwaltschaft sondern informierte stattdessen ihren Arbeitgeber. Und zeitgleich mit ihm taten das wohl auch diverse andere "User" mehr. Der Arbeitgeber reagierte auf die einzige Art wie ein kleines Unternehmen aus so etwas reagieren kann: Es entliess die Dame fristlos. Wirtschaftlich absolut nachvollziehbar, kein kleines Unternehmen kann sich einen Ansturm solcher "User" heute mehr aussetzen, ohne massive Einbrüche im Umsatz hinzunehmen.
Daniel S. (stellvertretend für sich und die anderen "User") ist der Meinung er habe "etwas gutes getan". Und ebenso, dass man "solche" Leute nicht mir Argumenten von irgendetwas überzeugen könne (auf die Diskussion habe er "keinen Bock"), sondern das man ihnen an die Existenz gehen müsse (seine Worte).
Dieser Autor glaubt das Leute wie Daniel S. ein weit größeres Problem sind als eine einzelne empathielose Spinnerin auf Facebook. Die Denunizianten aus einer dunklen Periode unseres Landes waren auch der Meinung etwas gutes zu tun. Ja, wirklich. Und auch die waren der Meinung man müsse an die Existenz der Andersdenkenden gehen, weil bei denen ja auch nichts zu retten ist. Das ist dann auch passiert. Und ich finde es beängstigend wie diese Denunziantenmentalität wieder einzieht und von der Presse auch noch behätschelt wird. Ich überlege was ich alles in den letzten 10 Jahren geschrieben habe, und was wohl passieren würde, wenn ein Daniel S. und seine Mannschaft das an meinen Arbeitgeber schicken. Kann ich in Zukunft noch schreiben, dass ich Angela Merkel für die größte politische Katastrophe der letzten 70 Jahre halte? Darf ich noch schreiben, dass ich die unkontrollierte Masseneinwanderung des letzten Jahres für verheerend halte und eine Bedrohung für den sozialen Frieden diesen Landes? Darf ich noch schreiben, dass Donald Trump, sollte er Präsident werden, kaum schlimmer als sein Vorgänger sein kann? Wie würde mein Arbeitgeber darauf reagieren? Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung. Ich will es aber eigentlich auch nicht wissen.
Ich habe mir den Kunstnamen "Llarian" vor fast 20 Jahren zugelegt, weil die dahinter liegende Bedeutung nur jemandem auffallen würde, der dieselben Bücher wie ich liest. Später war ich ganz froh drum, dabei geblieben zu sein, als ich die ersten Morddrohungen aus dem braunen Spektrum bekommen habe. Heute mache ich mir zunehmend Gedanken ob es nicht weit wichtiger ist vor den Daniels unserer Zeit sicher zu sein. Ist das noch Meinungsfreiheit ? Wenn ich nur dann noch meine Gedanken zu Papier bringen kann, wenn diese durch ein Pseudonym geschützt sind ?
Dem "Staat" auf den ich auch gerne und viel schimpfe, kann ich an der Stelle nicht einmal einen Vorwurf machen. Er hat die Dame nicht entlassen und ich bezweifele auch sehr, dass die Anzeige, die inzwischen gestellt wurde, zu irgend etwas führen wird. Aber was für eine Gesellschaft ist es, die es für normal hält die Existenz eines Menschen aufgrund einer Mindermeinung zu bedrohen und das auch noch "gut" findet?
Llarian
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