9. Juli 2016

Rechtsstaat und Vernuft. Ein Gedankensplitter.

Stellen Sie sich folgende Situation vor, lieber Leser, und achten Sie auf jedes Details: In einem Wohngebiet, irgendwo in Deutschland, kommt es zu einem Überfall. Der Täter verletzt sein Opfer schwer, hinterlässt aber unfreiwillig ein paar Tropfen Blut. Das Opfer hat das Gesicht nicht gesehen, konnte aber eine blonde Haarfarbe erkennen. Das Wohngebiet wird abgesperrt und durchsucht. Mit Einwohnern werden in dem betreffenden Wohngebiet etwa 2000 Personen gezählt. Die Staatsanwaltschaft entscheidet sich zu einem Massengentest und bittet alle blonden, männlichen Bewohner des Gebietes zwischen 15 und 65 Jahren zum Gentest, das sind in diesem Fall 200 Männer (und Jugendliche). 

Soweit, so harmlos, so gewöhnlich. Aber: Es ist auch eine Geschichte von Diskriminierung. Warum ? Weil hier drei diskriminierende Eigenschaften über den Täter zusammenkommen, aber nur eine davon aus den Fakten begründet ist. Richtig ist, dass das Opfer blondes Haar gesehen hat. Das Opfer hat aber weder das Alter noch das Geschlecht identifiziert. Allerdings lehrt die kriminalistische Erfahrung (der Begriff wird im Weiteren noch wichtig werden), dass Überfälle in aller Regel von Männern begangen werden und diese Männer ebenso in aller Regel älter als 15 und jünger als 65 sind. Warum das so ist, ist an der Stelle nicht von Bedeutung, entscheidend ist die Statistik. Was noch lange nicht heißt, dass diese immer Recht hat. Räuber können jünger oder älter sein und ja, es gibt auch weibliche Räuber, nur eben vergleichsweise selten.
Natürlich könnte der Staatsanwalt auch hingehen und versuchen 2000 Gentests zu bekommen, oder zumindest 1000 für alle Männer (wenn der Bluttest das XY Pärchen gefunden haben dürfte). Aber er wird das in aller Regel nicht tun, weil die kriminalistische Erfahrung dem eben entgegensteht und auch Staatsanwälte an Kosten und Verhältnismäßigkeit denken müssen. 
Würde man es total durchspinnen, müsste man tatsächlich auch alle Frauen testen, denn wer kann schon sagen, ob der Täter keine Chimäre sein könnte oder es sich um einen seit Jahren verkleidet lebenden Mann handeln könne. Soweit ist das Ganze natürlich auch noch harmlos und problemlos lösbar. In der Praxis ist es das leider nicht mehr der Fall. 
Seit einigen Jahren (realistisch eher seit Jahrzehnten) gibt es den Begriff des racial profiling. Das läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass Polizisten Menschen dunkler Hautfarbe (schwarz darf man wohl nicht mehr sagen) in bestimmten Situationen eher einer Straftat verdächtigen. Es gibt mehrere Beispiele dafür, aber ein typisches ist der Verdacht auf illegalen Aufenthalt in Deutschland. So kontrollieren Bundespolizisten gerne bestimme Züge auf Illegale. Und wenn sie Personen überprüfen, dann prüfen sie deutlich öfter Personen dunkler Hautfarbe als Personen heller Hautfarbe. Diese Praxis ist inzwischen von mehreren Gerichten als illegal verworfen worden. Vor gar nicht so langer Zeit ist ein solches Urteil im Lawblog kommentiert worden und die sich darunter entspinnende Diskussion (oder eher Debatte) fasst die wesentlichen Argumente ganz gut zusammen. 

Jetzt will ich nicht die Niveaulosigkeit von Herrn Vetters Forentrollen hier einbringen, aber eine Frage sticht besonders heraus:Wie soll die Polizei (oder ganz allgemein die Strafverfolgung) damit umgehen, wenn Diskriminierungsverbote im krassen Gegensatz zur tatsächlichen (nicht gefühlten) kriminalistischen Erfahrung stehen ? Geht es nach Herrn Vetters Forentrollen so ist die Antwort zweiteilig: Gar nicht kontrollieren oder per Zufall. Nun, ersteres ist für eine Strafverfolgungsbehörde nicht wirklich eine Antwort. Ein Staat der nicht einmal mehr versucht seine Gesetze durchzusetzen, kann nicht bestehen. Der zweite Ansatz wäre dagegen durchführbar, hat aber auch seine Tücken. Nämlich die von vollkommen sinnlosen staatlichen Eingriffen. Eine (mehr oder weniger) aufwändige Maßnahme durchzuführen, weil jemand anders diese auch erdulden muss, obschon ich weiß, dass diese Maßnahme sinnlos ist, ist nichts weiter als staatliche Gängelei. Wenn ich auf das Eingangsbeispiel zurückkomme, dann ist es kaum zu rechtfertigen einem 75 jährigen Opa mit einer Nadel zu traktieren, von der ich genau weiß, dass sie mit extremer Wahrscheinlichkeit sinnlos ist. 

Umgekehrt ist es auch nicht hinzunehmen, dass ein gesetzestreuer Bürger dunkler Hautfarbe permanent eine „Sonderbehandlung“ erfährt, weil Personen, die mit ihm bestimmte Merkmale teilen (in diesem Fall eben die Hautfarbe), statistisch öfter als Straftäter auffallen. Wohin dies im Extremfall führt, sehen wir gerade in den Staaten und es ist reichlichst hässlich was da vor sich geht. Ich kann es mir aus meiner Perspektive nicht einmal richtig vorstellen, aber der Gedanke, dass die Wahrscheinlichkeit bei einer harmlosen Verkehrskontrolle erschossen zu werden, erheblich von meiner Hautfarbe abhängt, ist nicht nur erschreckend. Und dennoch ist es schwierig einem Polizisten zu verübeln, dass er bei einer Kontrolle meiner Personen nervöser ist als bei anderen, wenn meine äußeren Merkmale zu einer Gruppe von Personen gehört, die rein statistisch wesentlich häufiger in der Gewaltkriminalität auftaucht. Wie schon gesagt, es geht hier nicht um Rassismus, es geht um reine Statistik. Natürlich werden hier viele Leute argumentieren, dass schon die Statistik rassistisch ist. Das mag zu einem Anteil auch richtig sein. Und trotzdem bin ich sicher, dass die selben Leute, müssten sie eine Verkehrskontrolle in Los Angeles durchführen, eine unterschiedliche Nervosität zeigen würden, je nachdem ob da eine Jugendgruppe oder eine Gruppe alter Nonnen drinsitzt. 
Ich kann Ihnen an dieser Stelle, lieber Leser, keine Antwort anbieten, die wirklich befriedigend wäre. Umso erstaunter bin ich, wie viele Leute eine bombensichere Antwort haben und sich 100 Prozent sicher sind, wie der Staat es machen soll. Die Selbstsicherheit hinter solchen Antworten finde ich immer wieder überraschend. Ich habe leider keine. Und die Herren Richter haben auch keine. Der Polizei zu sagen „so nicht“ ist sicher ein bequemer wie richtiger Standpunkt. Aber auch die Richter sagen den Polizisten nicht wie sie es denn besser machen sollen. Weil so richtig das die Richter wohl auch nicht wissen.  

Tja. Vernunft oder Rechtsstaat ? Was hätten Sie gern, lieber Leser ? 
 
Llarian

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