26. Mai 2016

Neues aus Brüssel

Die EU-Kommission scheint momentan einen kreativen Schub (oder gar einen hypomanischen Aktivitätsdrang angesichts einer ungewissen  Zukunft?) zu haben. So will man bespielsweise gegen das vorgehen, was man in der EU-Spitze offenbar unter Überfremdung versteht. Eine Quote für Anbieter digitaler Streamingdienste wie Netflix oder Amazon prime soll diese  Unternehmen zwingen, zu mindestens 20% europäische Inhalte anzubieten, d. h. Filme, die in Europa produziert worden sind. Man darf gespannt sein, wie (wenn überhaupt) dies in den nächsten Tagen kommentiert werden wird, war doch die Empörung, ja Häme, als die AfD 2014 gleiches für deutsche Radiosender gefordert hatte, groß; unbenommen der Tatsache, daß eine solche Regelung in Frankreich bereits seit 1994 Gesetz ist; eingeführt übrigens unter dem Sozialisten Mitterand. Die Begründung der Kommission für diesen Vorstoß ist, daß man die Entwicklung einer "europäischen Identität" begünstigen (wohl richtiger: erzwingen) will.
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Abgesehen davon, daß es ziemlich albern ist, ausgerechnet außereuropäische Unternehmen für die Schaffung einer europäischen Identität für zuständig zu erklären, fragt man sich, weshalb ein solches Vorgehen, wenn es innerhalb Deutschlands gefordert wird, als rechtspopulistisch gebrandmarkt wird, wenn dies der Überwindung nationaler Identitäten zugunsten eines transnationalen europäischen Konstruktes dient, jedoch nicht als linkspopulistisch. Möglicherweise ist auch dies eine Folge des gestern vom Kollegen nachdenken_schmerzt_nicht beschriebenen Phänomens, daß nämlich der Nullpunkt des politischen Koordinatensystems sich inzwischen dort befindet, wo man eigentlich den Linkspopulismus verorten müßte. Wie auch immer: ob nun von der EU-Kommission oder von der AfD vorgeschlagen; in jedem Fall handelt es sich hierbei um freiheitsfeindlichen Unsinn und dient der Gängelung nicht nur der Anbieter sondern letztlich auch der Verbraucher.

"Gerecht", um hier nochmal eine Nullpunkt-Koordinatensystem-Vokabel zu verwenden, ist die EU-Kommission dabei zumindest insofern, als die geplanten Gängelungen nicht bei ausländischen Unternehmen haltmachen, sondern durch ein geplantes Verbot von Geoblocking alle Unternehmen (auch Kleinunternehmen also), die in irgendeinem europäischen Land Waren online anbieten, zwingen will, diese Waren in der gesamten EU anzubieten. Daß Unternehmen gute Gründe haben können, ihre Waren lediglich regional oder national anbieten zu wollen (etwa mit Blick auf unterschiedliche Gesetze in den einzelnen Ländern zur Produkthaftung), ficht sie dabei offensichtlich genauso wenig an wie Vertragsfreiheit, die auf diesem Wege praktisch aufgehoben wird.

Mit Blick auf das Timing solcher Vorstöße, wenige Wochen vor der Abstimmung in Großbritannien zum Brexit, muß man sich fragen, ob die Kommission damit den Brexitbefürwortern in letzter Minute Unterstützung zukommen lassen will. Denn soviel ist ja richtig: Großbritannien ist so ziemlich der letzte westeuropäische Staat, der sich mit seinem Beharren auf föderale Reformen und Strukturen der Bildung eines paneuropäischen Superstaates hartnäckig entgegenstellt. 


Andreas Döding

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