Sollten sich auch hier, im Zentrum der Mitteleuropäischen Zeitzone, Zeitgenossen bereithalten, um Marty McFly bei seinem Auftauchen am unteren Ende seiner temporalen Exkursionen im pannenanfälligen DeLorean zu begrüßen, so wie es auch bei den Stationen "1885", "1955" und "1985" der Fall ist - oder sagt man war? sein wird? gewesen sein wird? - das Temporalsystem der natürlichen menschlichen Sprachen ist zur Wiedergabe der Auswirkungen fahrlässig erzeugter Chronoklasmen nur eingeschränkt tauglich - sollte also jemand planen, sich dem Begrüßungskommittee von Biff und seinen Spießgesellen beizugesellen - deren herzhaftes und hier blogposttitelgebendes "Hey, McFly!" allerdings nur am temporalen Ground Zero 1985 A.D. dem von Michael J. Fox so kongenial gespielten Picaro gilt - sollte also...
Wo war ich? In diesem Fall gilt es, die unterschiedlichen Zeitzonen in Betracht zu ziehen. Solche Mißachtung von Details hat schon öfters die sorgsamsten Pläne von Zeitreisenden straucheln lassen (oder wahlweise gerettet), sogar solchen, die auf das Mittel der Zeitmaschine verzichtet haben - wie zum Beispiel Phileas Fogg in Jules Vernes "Le tour de monde en quatre-vingt jours", dessen Übersehen der Datumsgrenze ihn seine Wette schlußendlich doch noch gewinnen ließ. (Bei Vernes Protagonisten wäre der Überraschungseffekt freilich perdu gewesen, wenn Fogg oder sein Faktotum Passepartout bei ihrer Querung des amerikanischen Kontinents auch nur einen Blick in eine Zeitung hätten werfen müssen, zum Beispiel, um Ab- und Ankunftszeiten einem time table zu entnehmen). Auch Marty hätte klüger daran gehandelt, die Rückkehr von seinem ersten Ausflug, zum November 1955, nicht nur zehn Minuten vor Docs (vermeintlich) lethalem Showdown als Zielpunkt in den Fluxkapazitator zu programmieren. Hill Valley, einziger Schauplatz aller drei Teile von Robert Zemeckis Back to the Future-Trilogy, ist, wie man einer Karte im III. Teil entnehmen kann, in Nordkalifornien gelegen. Mithin erreicht man dort den Zeitpunkt 16:29 Uhr erst neun Stunden später als am zerklüfteten Westkap Asiens.
Vielleicht sollte man aber besser auf eine Teilnahme an dergleichen nicht ganz risikofreien Amüsemangs verzichten: auch Doc Brown warnt ja Marty unablässig, zu jeder Jahres-Zeit, vor dem Erzeugen von Veränderungen im Zeitstrom. Zwar gibt es, zumal in der Science Fiction der fünfziger Jahre, oft Temporalpolizisten, die dafür Sorge tragen, daß fahrlässig erzeugte Fehlabbiegungen und Kurzschlüsse wieder ins richtige Fahrwasser zurückgeleitet werden. Das heißt bei einem Einsatz von Chronoskaphen, daß sie nie vorgekommen sind? - sein werden? gewesen sein werden? - aber doch die eine oder andere verräterische Spur bleibt: So fällt der 21. Oktober 2015 für den deutschen Sprachbereich auf einen Dienstag, wie sich jeder durch die Inohrenscheinnahme des Corpus delicti bei aktivierter deutscher Tonspur überzeugen kann, während dieses Datum für den Rest des Planeten mit einem Mittwoch korreliert. (Die Erklärung, die Ersteller der deutschsprachigen Variante könnten sich bemüßigt gefühlt haben, den Filmemachern aus dem bekanntermaßen ignoranten Hollywood zu mißtrauen und beim Errechnen des künftigen Datum übersehen haben, daß das Jahr 2000 eben doch ein Schaltjahr war - sein würde? gewesen sein würde? - ist abwegig. Deutschen Filmschaffenden dürfte die Existenz eines per Mathesis zugänglichen Kontinuums a priori undenkbar sein.) Auch die bislang nicht erfolgte Markteinführung von fliegenden Limousinen (warum gibt es im 2015 des Films eigentlich keine fliegenden Trucks?) und Hoverboards dürfte eher einem solchen Versehen als den Gesetzen der Physik zu verdanken sein. Schließlich weiß man, zumal im Deutschland des Jahres MMXV, daß Gesetze nur soziale Konstrukte sind, die bei Nichtgefallen durch ein vermehrtes Sollen außer Kraft zu setzen sind. Hegel prägte das bekanntlich in den Satz "Umso schlimmer für die Tatsachen!" und ein anderer Widerleger der Aerodynamik und des Auftriebs gab die hilfreiche Richtschnur "Das stört keinen großen Geist!" aus.
Überhaupt haben Zeitparadoxa es an sich, auf höchst unerklärliche, eben paradoxe Weise, zutage zu treten: das vielleicht prägnanteste Beispiel findet sich in Ray Bradburys Erzählung "A Sound of Thunder" von 1952, in der ein Schmetterling, der von einem unachtsamen Chrononauten zur Zeit der Saurier in den Urschlamm getreten wird, dazu, daß das Wahlergebnis in den Vereinigten Staaten der, tja, "Erzählgegenwart" einen desaströs anderen Verlauf nimmt - ohne indes die dazwischenliegenden Jahrmillionen zu tangieren. Eine recht frappante Illustrationen des Schmetterlingseffekts. (Der Autor dieser Zeilen hegt freilich die Überzeugung, dass Edward Lorenz mit dieser Bezeichnung auf Rudyard Kiplings Erzählung "The Butterfly That Stamped" aus der Sammlung der "Just So Stories" von 1902 angespielt hat - in der der Schmetterling seiner Meistgeliebten Gattin vorflunkert, sein Fußtritt könne die Erde erbeben lassen; und Buddha, von der Großsprecherei amüsiert, ihm durch dies umgesetzte "wir schaffen das!" einen pädagogischen Heilschock versetzt.) Im Fall von Back to the Future II bleibt es dem Zuschauer überlassen, sich die genauen Ereignisse auszumalen, die das spießigidyllische Hill Valley I (1985) in den Slum des Hill Valley II (1985) verwandelt haben - nachdem der Biff Tannen des Jahres 2015 seinem 60 Jahre jüngeren Selbst den Weg zu Reichtum, Macht und Korrumpiertheit geebnet hat. (Die Frage, wieso diese Abzweigung des Fatums nicht zur Nichtexistenz genau dieses Biff2015 geführt hat, gehört zu jenen, von denen Autoren von Zeitreisegeschichten hoffen, daß sie das Publikum sich nicht stellt.) Es freut dann aber doch, wenn dann zur Darstellung dieser Kausalitätskarambolage ein Feyman-Diagramm zur Anwendung kommt.
Der Blick in die nahe Zukunft, ob nun im Film oder auf der Buchseite, ist immer zum Scheitern verurteilt; alle Vorwegnahmen des Epochendatums "2000" führen das vor Augen. Folglich tut der Film recht gut daran, sich an einer ernsthaften Ausmalung einer dreißig Jahre stromabwärts gelegenen - liegenden? gelegen habenden? - Zeit erst gar nicht zu versuchen - bis auf ein paar allgegenwärtige Requisiten, die dem Zuschauer ein "Vorsicht, Zukunft!" signalisieren und andererseits wie das Tschechow'sche Jagdgewehr die Handlung vorantreiben. Die Suche nach Treffern beim Blick in die Glaskugel ist, wie immer in solchen Fällen, frivol. Eben deshalb: daß heutige Kids sich in Cybercafés mit den Brotkästen und den Games der Achtziger plagen, ist uns erspart geblieben; aber die Renaissance der Vinylplatte als Tonträger gegenüber der CD fällt in die gleiche Kategorie des unwahrscheinlich Unvorhersehbaren (die erste Scheibe, die sich in digitaler Form wie geschnitten Brot verkaufte und diesem Speichermedium zum Durchbruch verhalf, Brothers in Arms von den Dire Straits, erschien in diesem 1985). Daß "alle Jungs die Hosentaschen nach draußen krempeln," wie Doc Brown Marty behufs wirksamer Camouflage einweist, kommt im Real Life eher weniger vor; dafür gilt es weiblichen Teenagern unter 45 als tres chique, den Unterhemdsaum über dem Hosengürtel wehen zu lassen.
(Das zweimal erwähnte "zeitabwärts" verdankt sich Robert Silverberg Temporiade Up the Line von 1969, in dem zeitlich später angeordnete Schauplätze "stromabwärts" gelegen sind - sein werden? - zu denen man auch gelangt, wenn man sich treiben lässt, während "zeitaufwärts" nur unter erheblichem Aufwand zugänglich ist - am kostengünstigsten noch unter Einsatz der Proust'schen Mémoire involuntaire - eine Erkenntnis, die Alfred Jarry schon 1899 in seiner Konstruktionsanleitung "Commentaires pour servir à la construction pratique de la machine à voyager dans le temps" niedergelegt hat.
Es bleibt freilich noch eine Frage: wer zum Kuckuck hat nun eigentlich "Johnny B. Goode" geschrieben?
© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.
Ulrich Elkmann
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