17. September 2015

Von denen da oben und denen da unten


­Es ist schon ein seltsames Erlebnis in diesen Tagen die Zeitungen liest: Egal ob man Interviews, Reportagen, Berichte oder Kommentare liest, überall findet man ein nahezu einheitliches Bild: Deutschland heißt die Flüchtlinge willkommen. Deutschland zeigt Mitgefühl. Deutschland ist das Fanal der Humanität. Deutschland führt Europa in eine bessere Zukunft. Deutschland löst sein Demographieproblem.

Nun kann das –theoretisch- ja alles sein. Irritierend ist aber, dass es, nicht nur nahezu sondern ganz praktisch, keinen Gegenstandpunkt mehr gibt. Und nicht nur das, auch die Faktenberichterstattung zeichnet inzwischen ein sehr interessantes, um nicht zu sagen seltsames, Bild der Realität. 
Exemplarisch dafür vielleicht zwei Seiten der Medaille. Folgender Focus Artikel geistert seit einigen Tagen durchs Netz:
Der Artikel ist schon erstaunlich: Nicht nur das eine vollkommene Bagatelle zu einer Schlagzeile aufgeblasen wird, nein sie muss auch auf wenigstens 10 anderen Nachrichtenportalen ebenso wiedergegeben werden. Noch erstaunlicher allerdings ist, dass der Familienvater so einsam nicht ist:
Dieser Autor fragt sich da schon: Geht’s noch? Da fühlt man sich doch stellenweise nicht mehr nur veralbert, da wäre schon eine deutlichere Wortwahl fällig. Den latenten Rassismus der solchen Schlagzeilen inne wohnt (nämlich die Unterstellung, dass es etwas Besonderes (!) und Berichtens wertes ist, wenn ein Syrer eine Geldbörse zurückgibt) mal beiseite gelassen: Die dahinter stehende Motivation ist nicht zu übersehen und hat mit Journalismus nichts zu tun.
Die zweite Seite der Medaille ist dagegen noch deutlich schlimmer: Inzwischen leben fast eine Million „Flüchtlinge“ in Deutschland. Die meisten davon junge Männer. Junge Männer sind, sorry über die bösen Statistiken, die sowas sagen, die Hauptquelle von Kriminalität, vor allem von Gewaltkriminalität. In Deutschland wird, traurig wie es ist, pro Jahr auf 10.000 Einwohner ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung) angezeigt. Das sind die ganz offiziellen Zahlen des BKA. Würde man diese Zahlen ohne jeden Bias auf die Flüchtlinge übertragen, so würde das etwa 100 Delikten im Jahr entsprechen. Tatsächlich ist, aufgrund der Struktur der Flüchtlinge, eine deutlich höhere Ziffer zu erwarten. Lesen Sie etwas davon, lieber Leser ? Nein, das tun Sie nicht. Oder Sie lesen andere Zeitungen als ich.
Das Thema existiert nicht so richtig. Man muss es suchen. Ein Mitglied unseres kleinen Zimmers war so nett (Danke dafür!) mir folgenden Artikel zu schicken:
Siehe da: Das Thema existiert. Es ist nicht eingebildet. Und es ist deutlich schlimmer als man zunächst erwarten würde. Aber lesen Sie das irgendwo in einer großen Tageszeitung? Wenn man Tante Google bemüht, stellt man fest, dass das Echo auf den Artikel nahezu null ist (Geldbörsen dagegen sind mindestens eine Potenz wichtiger).
Lesen Sie mal den Artikel in der Huffington Post durch, dann sehen Sie, dass das zentrale Schreiben das die Verbände aufgesetzt haben, inzwischen wieder aus dem Netz genommen wurde. Mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem selben Grund, warum sie das Thema nicht in der FAZ, im Spargel oder in der Zeit wiederfinden: Das passt nicht in das offizielle Bild, das derzeit erwünscht ist. Man berichtet lieber von gefundenen Geldbörsen.
Nun handelt dieser Artikel hier von denen da oben und denen da unten. Wer die da oben sind, dürfte halbwegs klar sein: Politik wie Medien ziehen an einem Strang und vermitteln ein gemeinsames Narrativ, von dem sie zutiefst überzeugt sind und das wenig Abweichung duldet. Was aber ist mit denen da unten?
Man könnte an dieser Stelle anekdotisch darauf verweisen, was sich im persönlichen Umfeld so tut und das die meisten Leute, die man kennt, von dem Narrativ der Presse nicht überzeugt ist. Viel bezeichnender dagegen ist etwas anderes: Ist Ihnen, lieber Leser, aufgefallen wie viele von den Artikeln zum Thema Flüchtlingen Sie kommentieren können? Die Antwort ist simpel: Nahezu keinen. Die großen Tageszeitungen sind dazu übergegangen das Thema in ihren Diskussionsforen nicht mehr stattfinden zu lassen. Am Ende könnte ja vielleicht noch das Pack auftauchen und einem das ganze Forum besudeln. Wenn das Pack aber, wie Siggi Pop so schön festgestellt hat, nicht zu Deutschland gehört und eher aus versprengten Spinnern besteht, wie kann es dann so groß sein, dass es den Meinungskanon einer ganzen Zeitung, mit tausenden, wenn nicht sogar zehn- oder hunderttausenden von Lesern, beherrscht?
Die Antwort auf diese Frage kann man daran ablesen, wenn dann doch einmal einer der ganz seltenen Fälle eintritt und ein Forum offenbleibt. So wie bei dem Geldbörsen Artikel, der eingangs verlinkt ist. Die Reaktionen sind nahezu durchweg eins: Negativ. Die Leser wissen, dass sie veralbert werden. Und sie finden das ganz und gar nicht lustig. Es ist natürlich eine Unterstellung, aber man kann sich durchaus vorstellen, wie wohl die Kommentarspalten unter einem der unsäglichen Artikel in Welt, Zeit und neuem Süddeutschland aussehen würden, wenn es diese denn geben dürfte.
Kurz gesagt: Das Narrativ wird von der allergrößten Mehrheit der Schreiber nicht geteilt. Jetzt kann man natürlich lange von Wutbürgern philosophieren und darüber, dass sich „das Pack“ besonders gut digital vernetzte. Aber auch das kann solche Effekte nicht vollständig erklären. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Volk an sich gar nicht so an die tolle Willkommenskultur glaubt. Und auch nicht an die zig zurückgegebenen Geldbörsen und die tollen Flüchtlinge, die sich nichts mehr wünschen als steuerzahlende Verfassungspatrioten zu werden.
Die Politik ist dieser Erkenntnis inzwischen nicht nur scheinbar entrückt. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass der einzige Kontakt, den die Bundespolitik noch zum realen Leben hat, im Aufschlagen eben jener Zeitungen besteht, die das eigene Narrativ transportiert. Die Zeitungen dagegen, zumindest diejenigen, die ein Forum betreiben, wissen es vermutlich noch ein bisschen besser, halten es aber für ihre moralische Pflicht das unter den Tisch fallen zu lassen. Und so bildet sich diese fatale Welt von oben und unten. Siggi Pop macht sich Gedanken um die Verachtung der Politik durch den Bürger. Ist ihm aufgefallen, dass diese Verachtung sich in Umfragen wie auch im Wahlverhalten zeigt, in seiner Filterblase „Zeitung“ aber nur am Rande stattfindet?
Fatale Welt ? Ja, sogar absolut fatal. Denn wer die Gesellschaft spaltet, der darf sich nicht wundern, wenn die daraus resultierenden Konflikte sich verstärken und irgendwann sogar gewaltsam entladen. Man muss für Pegida und Konsorten nichts übrig haben, um zu sehen, dass diese Leute und ihre Parolen eine Folge der Gesellschaftsspaltung sind, die von Politik und Presse aktiv betrieben wird („Ihr hört uns sowieso nicht mehr zu.“). Wer aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird, der reagiert irgendwann auch nicht mehr innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. Und wenn ganze Teile, unter Umständen bis zur Mehrheit hin, aus der öffentlich dargestellten Gesellschaft, ausgrenzt werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn irgendwann keiner mehr bereit ist diese gesellschaftliche Ordnung zu verteidigen.
Llarian


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