Eigentlich sollte der Vortragende über Geschichte sprechen, über 200 Jahre Wiener Kongreß. Aber die Parallele lag halt nahe: Damals durfte man ja noch Länder erobern und aufteilen, und der russische Zar war dabei geschätzter Partner. Und heute sind diese schönen Sitten außer Mode gekommen und der arme Wladimir muß deswegen draußen bleiben. Was dem Vortragenden überaus mißfiel und nach den üblichen Klagen über den Verfall von Bildung und Moral zur Aufzählung des großen Sündenregisters führte: "Wir" wollen den Russen wie schon damals im Krimkrieg ihre Gebiete wegnehmen, und "wir" haben den Zerfall Jugoslawiens verursacht und "wir" haben das osmanische Reich zerschlagen und damit die Konflikte in Nahost verursacht.
Wenn man deutsche Medien verfolgt, bekommt man von linker Seite Ähnliches serviert: "Wir" haben die Taliban und ISIS gegründet und unterstützt, "wir" hatten auch seinerzeit zu verantworten, daß die Mullahs den Iran übernommen haben. "Wir" sind schuld an der Armut in weiten Teilen der Welt und "wir" sind schuld an Afghanistan, Irak und Libyen, weil "wir" interveniert haben und an Eritrea, dem Sudan und Burundi, weil wir nicht interveniert haben.
In Syrien sind sich die Kommentatoren noch uneinig, ob "wir" schuld sind wegen Intervention oder "wir" schuld sind wegen Nicht-Intervention. Auf jeden Fall sind sie eich einig: Die Einheimischen haben mit dem Bürgerkrieg sicherlich nichts zu tun.
Wer genau "wir" ist, bleibt dabei oft offen. Auf jeden Fall natürlich Deutschland. Und wenn "wir"-Deutschland etwas macht oder will, hat der Rest Europas automatisch zu folgen. Wenn man deutsche Medien verfolgt, bekommt man von linker Seite Ähnliches serviert: "Wir" haben die Taliban und ISIS gegründet und unterstützt, "wir" hatten auch seinerzeit zu verantworten, daß die Mullahs den Iran übernommen haben. "Wir" sind schuld an der Armut in weiten Teilen der Welt und "wir" sind schuld an Afghanistan, Irak und Libyen, weil "wir" interveniert haben und an Eritrea, dem Sudan und Burundi, weil wir nicht interveniert haben.
In Syrien sind sich die Kommentatoren noch uneinig, ob "wir" schuld sind wegen Intervention oder "wir" schuld sind wegen Nicht-Intervention. Auf jeden Fall sind sie eich einig: Die Einheimischen haben mit dem Bürgerkrieg sicherlich nichts zu tun.
Manchmal ist "wir" auch "der Westen" - dann geht es meist um die pösen USA.
Und ansonsten sind "wir" alle, deren Regierung irgendwann einmal engeren Kontakt mit einem westlichen Staat hatte. Dann sind "wir" also auch saudische Millionäre, der pakistanische Geheimdienst, Erdogan oder libysche Beduinenstämme.
Konsens ist jedenfalls, daß "wir" schuld sind und deswegen "wir" auch für Abhilfe bei allen Problemen der Welt sorgen können und müssen.
So ist es selbstverständliche Reaktion auf die Flüchtlingskrise, daß "wir" endlich einmal die Fluchtursachen abstellen müßten. Die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien, die wirtschaftliche Entwicklung des Balkans, die Befriedung Libyens und die Etablierung von Demokratie und Menschenrechte (incl. Genderpolitik und Mülltrennung) in allen afrikanischen Staaten. Und das bitte sofort - keiner hat wirklich Lust, nächstes Jahr die nächsten 800.000 Flüchtlinge am Bahnhof zu begrüßen.
Das läßt dem durchschnittlichen Kommentator immer noch Zeit genug, um am Nachmittag endlich die Nahost-Krise zu lösen. Die Antworten hat er ja schon lange, nur die blöden Juden kapieren das nicht.
Es ist schon erstaunlich. Je länger die Kolonialzeit zurückliegt, je machtloser Deutschland im Vergleich zum Rest der Welt wird - desto größenwahnsinniger werden deutsche Schreibtischschwätzer.
Ihre beständige Sucht, für alle Vorgänge dieser Welt irgendwelche "westlichen" Verantwortlichen zu finden, ist im Kern rassistischer als seinerzeit die wilhelminische Kolonialpolitik.
Weder die Rechten noch die Linken wollen bei ihrer Weltsicht sehen und anerkennen, daß die Völker dieser Welt seit Generationen auf eigenen Füßen stehen. Daß sie ihre eigenen Entscheidungen fällen und auch die Konsequenzen daraus tragen. Daß die Leute dort intelligent, fleißig und kreativ genug sind, sich selber etwas aufzubauen. Und auch ohne europäischen Einfluß selbstsüchtig, korrupt und grausam genug sind um Entwicklung kaputt zu machen und andere Menschen zu schädigen.
Die Konflikte in Syrien oder Eritrea, die Armut in Albanien oder dem Sudan sind lokale Probleme mit lokalen Ursachen, meist mit sehr langer Vorgeschichte. Die haben wir nicht verursacht und die können wir auch nicht lösen.
Wie man recht gut an einem Beispiel sieht: Im Kosovo haben "wir" seit 15 Jahren de facto die Kolonialherrschaft. Regieren mit all' unserer Weisheit und die Bundeswehr sorgt mit den Verbündeten dafür, daß niemand verfolgt wird.
Trotzdem (oder deswegen?) stagniert das Land und zehntausende Flüchtlinge kommen aus dem Kosovo nach Deutschland. Und da glaubt jemand ernsthaft, "wir" sollten irgendwo Fluchtursachen beseitigen können?
Die Erfahrungen mit der "Entwicklungshilfe" legen das Gegenteil nahe. Genau die Länder haben sich am besten entwickelt, denen "wir" mit "Hilfe" und den dazugehörigen Ratschlägen möglichst fern geblieben sind.
Kolonialherrschaft funktioniert nämlich nicht, auch nicht indirekt über "Experten" und Geldzuwendungen.
Wir können punktuell helfen, zum Beispiel nach Naturkatastrophen. Oder intervenieren wie damals im Irak, wenn andere Staaten bedroht werden.
Aber ansonsten gilt: Nicht Kolonialherren können ein Land wirklich entwickeln, sondern nur die Menschen dort selber.
Früher haben die Linken das auch noch gewußt und gesungen:
" Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun! "
Aber heute stehen sich linke Journalisten und reaktionäre Stammtischpolitiker geistig so nahe, da ist diese Erkenntnis verloren gegangen.
R.A.
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