13. Februar 2015

Der Pyrrhussieg

Jacques Schuster hat recht, Putin ist der Sieger der Vereinbarungen in Minsk.
Er hat seine Eroberungen in der Ost-Ukraine konsolidiert, er hat Deutschland und Frankreich zu Bittstellern degradiert, er hat die USA vorgeführt. Und er kann auch nach Belieben wieder mit neuen Angriffen weitermachen, wenn ihm dies nützlich erscheint - den versprochenen Abzug von Truppen und schweren Waffen wird er bestimmt nicht einhalten.

Der Westen hat nur eine Verschnaufpause gewonnen. Eine echte Friedenslösung ist nicht in Sicht. Putin kehrt im Triumph nach Moskau zurück und kann sich innenpolitisch als durchsetzungsstarker Weltmachtführer präsentieren.
Aber welche Perspektive hat er denn noch?
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Er hat dieses Schema nun vier Mal durchexerziert: Interne Unruhen in einem SU-Nachfolgestaat ausnutzen (oder vorher auch anzetteln), Quislinge aus der lokalen russischen Minderheit vorschicken, militärisch intervenieren - und sich dann so eskalationsbereit geben, daß der Westen nicht in die Konfrontation geht.
Aber es wird zunehmend schwieriger für ihn.

In Moldawien gab es nicht viel mehr als formalen Widerspruch, eigentlich war dem Westen die Sache egal. In Georgien gelang es der Kreml-Propaganda, den Angegriffenen den schwarzen Peter zuzuschieben, und der Westen akzeptierte das, um die erhoffte Partnerschaft mit Rußland nicht zu riskieren.
Mit der Krim-Besetzung war dagegen eine rote Linie überschritten. Zwar konnten weder die Ukraine noch der Westen militärisch etwas entgegensetzen. Aber die ersten Sanktionen wurden beschlossen, und nach der erneuten Aggression in Lugansk/Donezk deutlich verschärft.

Der Westen hat noch kein Gegenrezept. Aber er ist aufgewacht. Wie viele Diktatoren vor ihm hat der KGB-Zögling Putin nicht verstanden, daß Demokratien nach anderen Regeln funktionieren. Es braucht lange, bis sie sich zum Handeln entschließen. Lange versuchen sie, an Illusionen festzuhalten und Konfrontationen zu vermeiden. Aber wenn sie erst einmal reagieren, dann können sie erhebliche Kräfte mobilisieren. Und dann wollen sie die Sache auch zum Erfolg bringen, der übliche Formelkompromiß zwischen Machtpolitikern ist dem Wahlvolk kaum zu verkaufen.

Jahrelang blieb Rußlands Aufrüstung ohne Reaktion, weil die USA an anderen Stellen der Welt beschäftigt waren und die letzten sieben Jahre einen außenpolitisch völlig unfähigen Präsidenten hatten. Und Westeuropa konzentrierte sich auf die "Friedensdividende" und kürzte überall Rüstungsaufgaben.

Das wird sich nun ändern. Der nächste US-Präsident wird die Rußland-Frage als zentrale Aufgabe sehen. Und die Europäer haben gemerkt, daß Verträge alleine sie nicht schützen können.

Es wird speziell in Deutschland ein Umdenken geben. Es hat nach 1990 wahrscheinlich einige Phasen gegeben, da hätte im pazifistischen Überschwang die komplette Abschaffung der Bundeswehr eine Mehrheit im Volk gefunden. Und mit Kaputtsparen und Desorganisation war man ja fast auf dem Wege dahin ...
Und das ist der Bevölkerung plötzlich bewußt geworden. Einerseits, daß man die Bundeswehr noch braucht. Und andererseits, daß sie nicht leistungsfähig genug ist. Derzeit wird in jeder Büttenrede der desolate Zustand der Truppe thematisiert. Und so etwas trifft die Deutschen empfindlich. Keine Armee zu haben könnten sie aushalten, aber eine Lachnummer als Armee nicht.

Es wird einige Jahre brauchen, bis der Westen umgesteuert hat und handlungsfähig ist. Wobei "handlungsfähig" nicht heißt, Truppen in irgendeinen Krieg zu schicken. Aber Westeuropa muß wieder glaubhaft in der Lage sein, einen größeren Truppeneinsatz hinzukriegen.

Umgekehrt wird Putin bald feststellen, daß seine Eroberungen letztlich ein Handel mit Zitronen waren. Was hat er denn erreicht? Vier wirtschaftlich marode Gebiete besetzt, die von Bevölkerungszahl und Bedeutung keinen wirklichen Zugewinn für sein Reich bedeuten. Dafür hat er unglaubliche Summen versenkt und sich international isoliert. Selbst seine eurasischen Unionsfreunde in Weißrußland und Kasachstan sind auf Distanz gegangen - denn auch sie sind SU-Nachfolgestaaten mit russischen Minderheiten.

Putin war bisher erfolgreich, weil er als Einziger konsequent auf militärische Stärke gesetzt hat und beliebig rücksichtslos sein kann. Aber alle anderen Aspekte der Entwicklungs Rußlands hat er vernachlässigt.
Rußland produziert außer Rohstoffen fast keine marktfähigen Produkte. Bei Wissenschaft und Forschung ist das Land völlig ins Hintertreffen geraten.
Putin will das SU-Imperium wiedererrichten und scheint nicht zu merken, daß er nur noch über die halbe Machtbasis verfügt. Eigentlich deutlich weniger als der Hälfte, denn der Warschauer Pakt ist auch verloren.

Er hat sich einigen Einfluß auf die interne Diskussion in Europa erkauft. Aber die Putin-Trolle in Deutschland bleiben eine lautstarke Minderheit, Bündnispartner wie Syriza oder Le Pen haben keine echte politische Perspektive. Gerade in der Ukraine-Krise haben die EU-Partner zu einer erstaunlichen Einigkeit gefunden - und zwar ganz ohne den großen Bruder jenseits des Atlantiks.

Und schließlich hat ihm auch das Militär nicht die erhofften Erfolge verschaffen können. Obwohl die ukrainische Armee schlecht ausgerüstet und organisiert ist - der russische Angriff auf Mariupol ist ebenso gescheitert wie die Einnahme des strategisch zentralen Debalzewe. Ohne dieses militärische Patt hätte es die Verhandlungen von Minsk nicht gegeben.

Die Ukraine ist immer noch wirtschaftlich, politisch und militärisch schwach - aber dagegen kann und wird sie mit Hilfe des Westens etwas machen. Und diese Hilfe, auch in Milliardenhöhe, ist für die Eu-Staaten nur ein Trinkgeld, ihr Finanzpotential ist dem russischen um Größenordnungen überlegen.
Und die Ukraine ist nun das, was sie seit 1990 nie war: Ein durch den äußeren Feind geeintes Land, das zur Gegenwehr entschlossen ist.

Vielleicht kann Putin noch ein oder zwei Pyrrhussiege erringen. Weil der Westen noch Zeit braucht, um sich zu sortieren. Aber jeder dieser Siege würde ihn noch mehr kosten und noch weniger bringen. Und am Ende steht für ihn keine echte Lösung. Für einen militärischen Imperialismus ist Rußland letztlich zu schwach, für eine friedliche Entwicklung hat Putin alle Brücken verbrannt.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann er am Ende gestürzt wird, weil er seinen Leuten keine Perspektive mehr zeigen kann. Aber in dieser Zeit kann seine Politik noch viele Opfer kosten.

R.A.

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