26. Februar 2015

Das tut gar nicht weh. Ein Gedankensplitter zum Impfen und anderen Pflichten.



„Wissen sie was sich auch gut verkauft? Kindersärge, die gibt es auch in Froschgrün und Feuerwehrrot"
                                              --- Dr. Gregory House

Will man in einer großen Runde junger Eltern möglich schnell die Stimmung verderben und eine schnelle, emotionale Kamikazefahrt erleben, so startet man am besten eine Diskussion über Impfkritik. Und will man dann noch richtig vor die Wand fahren, dann sollte noch das Wort Impfpflicht fallen.

Bei nur wenigen Themen kommt man derart schnell auf emotionalen Konfrontationskurs, denn Impfkritiker wie auch Impfbefürworter (ein eigentlich unglückliches Wort, denn die meisten sind ja auch im Falle von Krankheiten „Behandlungsbefürworter“) wollen in dem Sinne nur das Beste für ihr Kind. Beide Seiten haben dafür selbstredend Argumente, auch wenn dieser Autor nicht wirklich verhehlen kann, dass er die Argumente einer dieser beiden Seiten nur schwer nachvollziehen kann. Dennoch hat jeder Anspruch auf seine Meinung und damit natürlich auch ein Recht zu entscheiden, was mit dem eigenen Kind passiert.
Die Entscheidung ob man sich impfen lässt oder nicht hat zwei Auswirkungen: Eine persönliche und eine allgemeine. Die persönliche Auswirkung ist mit aller Sicherheit erst einmal für die meisten die wichtigste („Ich will sicher vor Krankheit xyz sein. / Ich will keinen Impfschaden riskieren.“), ist aber für die Diskussion unter liberalen Gesichtspunkten vergleichsweise uninteressant. Ob sich jemand einem persönlichen Risiko aussetzen will, ist Sache des Betreffenden selbst. Und er oder sie ist es ja auch, der am Ende die Folgen trägt. Wenn sich jemand nicht gegen Grippe impfen lassen möchte und dann vielleicht erkrankt, tangiert das diesen Autor zumindest nur sehr am Rande.
Kritisch zu betrachten ist eher die allgemeine Auswirkung: Wer sich nicht impfen lässt, reduziert den Herdenschutz. Eigentlich ganz simpel. Das Problem dabei ist, dass der Herdenschutz vor allem diejenigen schützt, die sich selbst (evtl. noch) nicht schützen können. Dazu gehören Immungeschwächte, Impfversager oder auch schlicht und einfach Babys. Nun ist es keine Pflicht sich potentiell selber zu schaden (Stichwort Impfschaden), um andere zu schützen, nur sollte man sich schon erst einmal über die Drittwirkung der eigenen Entscheidung bewusst sein.
Die derzeit größte (impfbare) Bedrohung geht dabei von den Masern aus. Masen sind, entgegen dem naiven Volksglauben, keine harmlose „Kinderkrankheit“, sondern eine vergleichsweise üble und hochinfektiöse Krankheit, deren Letalität in westlichen Ländern so zwischen 1:500 und 1:1000 liegt (nur als Vergleich, der gefürchtete plötzliche Kindstod liegt bei normalen Neugeborenen bei vielleicht 1:1500).
Interessant sind Masern auch deshalb, weil sie in Nord- und Südamerika durch entsprechende Impfkampagnen kurz vor der Ausrottung stehen. Wohlgemerkt, das gilt für Nord- und Südamerika, schließt also noch den ärmsten Slum in Sao Paulo ein. In Deutschland dagegen sind Masern kurz davor endemisch zu werden, d.h. wir stehen an der Schwelle dazu, dass es keinen weiteren Masernimport (beispielsweise aus der dritten Welt) mehr braucht, um uns das Virus zu erhalten. Es gibt schlicht genügend "natürliche" Infektionen. Vereinfacht ausgedrückt könnte man auch sagen, die Masern sind bald in Deutschland wieder heimisch. Warum ist dies so? Die Antwort ist simpel: Weil zu wenig geimpft wird.
Schätzungen gehen dahin, dass wir eine Durchimpfung von etwa 95% brauchen würden, um die Masern auszurotten (die Quote ist im Vergleich zu anderen Krankheiten deshalb so hoch, weil Masern außerordentlich ansteckend sind). Deutschland liegt derzeit bei etwa 92%, Tendenz: sinkend.
Oder anders gesagt: Die Menge der Impfgegner, Kritiker oder auch Impfmüden nimmt derzeit stark zu. Nach der Lebenserfahrung dieses Autors gibt es im Groben drei große Strömungen (mit starken Überschneidungen) unter den Impfgegnern: Diejenigen, die stark mit der bösen Pharmalobby argumentieren, die ja Millionen, wenn nicht Milliarden mit Impfungen verdient, obschon diese alle ja unwirksam sind. Dies kann man wohl getrost als Vulgärkommunismus bezeichnen und ist ebenso typisch deutsch, wie es auch dumm ist. Die Wirksamkeit der Impfungen lässt sich sehr gut durch Ländervergleiche dokumentieren, die jüngsten Ausbrüche (Stichwort Waldorfschule) sprechen auch eine recht klare Sprache und wer meint, dass die Pharma sich an Impfungen dumm und dusselig verdient, der sollte mal darüber nachdenken, ob die Folgen von Masererkrankungen nicht deutlich lukrativer zu behandeln sind. Das Eingangszitat von Dr. House ist eigentlich diese beste Antwort auf diese Art von Dummheit. Die zweite Gruppe, obschon sie starke Überschneidungen mit Gruppe eins aufweist, bezweifelt die Wirkung der Impfung, bzw. sieht einen überwiegenden Schaden in den resultierenden Impfschäden. Dieser Gruppe ist deutlich schwerer zu begegnen, denn die Diskussion ähnelt einer Debatte um die globale Erwärmung oder auch um die Diskussion zur Wirksamkeit von Chemo-Therapie. Es gibt mehr oder minder prominente „Wissenschaftler“, die mit ihren Statistiken zu belegen suchen wie schädlich und unwirksam Impfungen halt sind. Das Problem daran ist, dass der Laie dies nur schwerlich erkennen kann. Im Vergleich zur Normalbevölkerung gibt es nur sehr wenige Leute, die genug von Statistik und Medizin verstehen, um den wissenschaftlichen Hintergrund zu begreifen und an der Stelle wird die Debatte zur Vertrauensfrage. Es ist schwer bis nahezu unmöglich an solche Leute argumentativ heranzukommen, der Erfolg der Homöopathie (wird inzwischen von den Krankenkassen teilweise bezahlt) spricht Bände. Die dritte Gruppe, obschon die kleinste, ist dagegen noch einmal deutlich schlimmer. Sie bezweifelt die Wirkung der Impfung nicht, sieht aber auch das Risiko von Impfschäden und möchte sich gerne im Herdenschutz ausruhen. Das Motto ist simpel: Ich will das mein Kind die Krankheit nicht bekommt, aber das Risiko dafür sollen bitte andere tragen. Diese Einstellung ist schlicht und einfach asozial im realen Sinne des Wortes. Aber nicht verboten.
Warum diese drei Gruppen überhaupt unterscheiden? Weil der letzte Teil dieses Artikels sich auf ein Wort beziehen soll, dass zu Anfang gefallen ist. Seit dem letzten Maserausbruch in Berlin wird in Deutschland wieder über eine Impfpflicht nachgedacht. Diese wird, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch kommen, in Form dessen, dass Kitas die Impfungen vorschreiben und das sich Kinderärzte weigern Kinder zu behandeln, die nicht geimpft sind. Wobei es durchaus auch Stimmen gibt zu einer echten Impfpflicht zu kommen, wie sie in der DDR existierte und bis 1975 in Bezug auf Pocken auch in der BRD.
Ich finde diese Diskussion außerordentlich schwierig. Als Vater teile ich die Angst davor, dass mein Kind mit Masern infiziert wird. Ich teile die Wut über den vermeidbaren Tod der beiden Kinder aus Bad Salzuflen die jämmerlich (es gibt kein anderes Wort dafür) sterben mussten, weil jemand anders sein Kind nicht hat impfen lassen. Ich kann die Sorge von immungeschwächten Menschen oder Impfversagern nachvollziehen, die jeden Tag mit dieser unbewussten Gefahr leben.
Und dennoch, dennoch ist eine Impfpflicht mit einem durch und durch liberalen Standpunkt nur schwer zu vereinbaren. Eine Impfung ist und bleibt eine Körperverletzung. Sie hat Risiken, bekannte wie unbekannte, die schwere Leiden bis zum Tode einschließen. So klein diese Risiken sein mögen, man kann sie nicht wegdiskutieren. Und, wie schon gesagt aus liberaler Sicht, gibt es ein Recht auf Dummheit, ein Recht darauf den Falschen zu vertrauen und ein Recht darauf sich asozial zu verhalten. Es gibt ein Recht selber zu bewerten, wie die DInge sind. Wobei selbst das so universell dann nicht sein kann, denn unbewusst folgt ja immer der Nachsatz: So lange man dabei keinem schadet. Aber schadet man jemandem schon durch die eigene Existenz? Ich finde einen Staat, der eine Nadel in die Arme seiner Bürger zwingt, beängstigend. Sogar sehr beängstigend. Ich denke das ist eine Schwelle, die zu überschreiten man sich sehr genau überlegen sollte.
Es ist eben tatsächlich schwierig. Und noch schwieriger wird es angesichts der staatlichen Schulpflicht oder den staatlich verpflichtenden U-Untersuchungen. Was soll jemand tun, der sein Kind nicht impfen lassen will? Sei Kind auf eine Privatschule schicken? Und wie geht umgekehrt ein Normalsterblicher damit um, wenn der Staat sein Kind auf eine Schule stecken will, aber nicht sicherstellen will, dass die Kinder dort auch geimpft sind? Wie soll jemand sein Kind zur U3 oder U4 bringen (was Pflicht ist), wenn der Kinderarzt nicht versprechen möchte, dass sein Wartezimmer masernfrei ist?
Erlauben Sie mir, lieber Leser, vielleicht ein paar „alternative“ Gedanken: Ich denke es ist Zeit für andere Antworten und das vergleichsweise dringend. Zu warten bis Masern wieder endemisch werden, kann uns allen nur schaden. Die Leute zu zwingen (am besten mit der Polizei) kann einem liberalen Staatsverständnis auch nicht entsprechen. Die oben erwähnten Vulgärmarxisten kann man in aller Regel kaufen. Warum soll der Staat nicht für den Herdenschutz bezahlen? Wenn wir Kindergärten bezahlen, können wir auch dafür bezahlen. Natürlich hat es was Absurdes Menschen für etwas zu bezahlen, was ihnen nützt, aber wenn es funktioniert, dann muss es eben sein. Parallel dazu macht es Sinn über die Unwissenschaftlichkeit der Impfkritik (und ihrem Bruder im Geiste, der Homöopathie gleich mit) aufzuklären. Man muss Menschen überzeugen und nicht zwingen. Wenn die Leute lieber auf Schamanen, Homöopathen und andere „Experten“ hören, dann hat das seinen Grund. Die Wissenschaft, bzw. die Ärzte müssen eine höhere Glaubwürdigkeit haben, um die zweite Gruppe zu erreichen. Und was die dritte angeht, nun, asoziales Verhalten ist nur schwer zu therapieren. Aber wenn wir die ersten und die zweiten bekommen, kann die dritte durchs Netz fallen.
Impfplicht ist natürlich billiger (sic).
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Llarian


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