17. Januar 2015

Die Atomverschwörung (1): Die Fakten

"Schmutziger Deal: wie die Politik den Atomkonzernen zu Millionen-Klagen verhilft" (Titel eines MONITOR-Berichtes vom 15.01.2015)

Was für ein Scoop! Die sowieso unter dem Generalverdacht der Atomfreundlichkeit stehende CDU schustert den bösen Atomkonzernen auf deren eigenen Wunsch eine Möglichkeit zu, den Steuerzahler um dreistellige Millionenbeträge zu prellen.

Das investigative Flaggschiff des WDR hat zwei "geheime Dokumente" entdeckt. Nein, eigentlich nur eines, denn das andere war bereits zum Zeitpunkt seines Versandes vor dreieinhalb Jahren bekannt. Obwohl: eigentlich gar keines, denn auch das erste lag dem Biblis-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages von Beginn an vor.

Es geht dabei um eine Korrespondenz zwischen dem hessischen Ministerpräsidenten Bouffier (CDU) und dem damaligen RWE-Chef Großmann über die Frage der Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks Biblis nach dem Moratorium vom 15. März bis 15. Juni. Im (zeitlich) zweiten Brief, der aber schon länger bekannt war, warnt Bouffier RWE davor, Biblis wieder hochzufahren, denn ansonsten werde die hessische Atomaufsicht dagegen vorgehen. Im zeitlich vorangegangenen Schreiben, das aber erst jetzt durch Monitor an die Öffentlichkeit kam, beruft sich Großmann auf eine Ankündigung von Kanzleramtsminister Pofalla, dass Bouffier vorhabe, die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks zu verhindern und bittet darum, ihm dieses schriftlich zu bestätigen.   

Der Schluss von Monitor lautet nun: RWE hat bei der hessischen Regierung eine Möglichkeit bestellt, Schadenersatz einzuklagen, und aus alter Verbundenheit heraus auch bekommen. Gewohnt reißerisch kommen die Vorwürfe daher; bitte nehmen Sie sich die Zeit und sehen sich das oben verlinkte Video an. 

Starker Tobak, nicht wahr? 

Ich nehme mal ganz frech das Ergebnis meiner Recherche vorweg: Es ist nicht mal eine Marlboro Light.
Zunächst lade ich Sie auf eine Zeitreise ins Jahr 2011 ein. Erinnern Sie sich an den politischen Wirbel, an die Ereignisse, die sich überschlagen haben? Ich stelle sie noch einmal chronologisch zusammen und füge die jetzt zur Debatte stehenden Ereignisse ein.

14./15.03.2011: Verkündung des Moratoriums durch die Bundesregierung.  Rechtliche Grundlage bildet die "vorsorgliche Gefahrenabwehr" im Atomgesetz. Das Moratorium ist von Beginn an rechtlich umstritten, Bundestagspräsident Lammert zweifelt daran, dass es als reiner Verwaltungsakt ohne Parlamentsbeschluss rechtlich standhält.

18.03.2011: Das hessische Umweltministerium verfügt eine Anordnung, Biblis A für drei Monate vom Netz zu nehmen sowie das in der Revision befindliche Kraftwerk Biblis B innerhalb der drei Monate nicht wieder ans Netz zu lassen.

31.03.2011: Umweltminister Röttgen erklärt, es werde ein neuer Atomkonsens angestrebt, auf dessen Basis bis Mitte Juni das geltende Atomgesetz möglichst einvernehmlich geändert werden solle.

01.04.2011: RWE reicht beim Verwaltungsgerichtshof Kassel eine Klage gegen die Anweisung ein, das von ihr betriebene Kernkraftwerk Biblis A abzuschalten und B nicht wieder ans Netz zu lassen.

30.05.2011: Die Bundesregierung beschließt die endgültige Stilllegung der vom Moratorium betroffenen acht Kernkraftwerke. Hierbei handelt es sich um die Kraftwerke Unterweser, Brunsbüttel, Krümmel, Biblis A und B, Philippsburg 1, Isar 1 sowie Neckarwestheim 1. Sie werden demzufolge nach Ablauf des Moratoriums nicht wieder hochgefahren.

06.06.2011: Großmann schreibt an Bouffier. 


13.06.2011: Bouffier antwortet.


16.06.2011: RWE verkündet, dass Biblis B (wie alle anderen vom Moratorium betroffenen Kraftwerke) nicht wieder ans Netz geht.
18.06.2011: Ende des Moratoriums für die hessischen Kraftwerke.

30.06.2011: Der Bundestag beschließt mit großer Mehrheit die Novelle des Atomgesetzes.

06.08.2011: Das Atomgesetz tritt in Kraft. Die Betriebserlaubnis für die acht betroffenen Kraftwerke endet.

27.02.2013: Der Verwaltungsgerichtshof Kassel gibt der Klage vom 01.04.2011 recht und stellt fest, dass das Moratorium für Biblis A und B formal und material rechtswidrig war.

20.12.2013: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel.

11.03.2014: Der hessische Landtag setzt auf Antrag der SPD-Fraktion einstimmig einen Untersuchungsausschuss ein, der klären soll, wie es zur rechtswidrigen Anordnung des Moratoriums gekommen ist.

25.08.2014: RWE verklagt Hessen und den Bund zivilrechtlich auf Schadenersatz für den dreimonatigen Ausfall des Kraftwerks Biblis. Im Gespräch sind 200 Mio Euro.

Sie sehen schon, der Kontakt zwischen Großmann und Bouffier ist nur ein kleines Mosaiksteinchen. Aber hat er einen Einfluss auf den Lauf der Dinge?

Ich muss gestehen, dass mir ein notwendiges Detail fehlt, um den Sachverhalt eindeutig zu klären: Nämlich, ob sich die Schadenersatzforderung von RWE nur auf die drei Monate Moratorium bezieht oder auch auf die Zeit zwischen dem Ende des Moratoriums und dem Inkrafttreten der Novelle des Atomgesetzes.

Im ersteren Fall ist völlig klar: Das Moratorium war von Beginn an rechtswidrig und die Klage, die zwei Monate vor dem Briefwechsel bereits eingereicht war, bergründet mögliche Schadenersatzzahlungen an RWE in vollem Umfang. Dann ist die ganze Atomverschwörungskiste ein noch größerer Humbug als der, für den ich sie ohnehin halte.

Im zweiten Fall stellen zumindest ein paar Fragen:
  • Ist das Schreiben von Bouffier tatsächlich als Drohung aufzufassen, die einen Schadensersatzanspruch rechtfertigt?
  • Stellt es tatsächlich eine Gefälligkeit von Bouffier gegenüber RWE dar?
  • Und welche Rolle spielt Pofalla?
Zunächst darf man nicht vergessen, dass die ganze Debatte nicht im luftleeren Raum stattfand, sondern in dem Klima, das Zettel gern "kollektive Besoffenheit" nannte. Kein Politiker konnte es sich damals leisten, ein Kernkraftwerk in seinem Verantwortungsbereich wieder ans Netz zu nehmen. Bouffier stand unter Druck - nicht nur seitens der Öffentlichkeit, sondern auch seitens der Bundesregierung. Das Auftreten von Pofalla ist keine Entdeckung von Monitor im Jahr 2015, der Stern berichtete auf dem Höhepunkt des Kräftemessens zwischen RWE und der Politik: 
Merkel hatte ihren Kanzleramtschef Ronald Pofalla damit beauftragt, den Stromkonzernen definitiv klar zu machen, dass sie keine Reaktivierung der Altmeiler während der Übergangsphase wünsche.
Die Politik war in der Defensive, denn sie hatte keine Grundlage, RWE zu verbieten, Biblis B weiter zu betreiben; und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass ein paar Rechtsabteilungen mittlerweile zu dem gleichen Ergebnis gekommen waren, bezüglich der Rechtmäßigkeit des Moratoriums, wie die Kasseler Verwaltungsrichter knapp zwei Jahre später auch. 

Nun kann man zur Vermutung gelangen, dass die Kanzlerin (Bouffier und seine Regierung haben ja lediglich deren Direktiven vor Ort umgesetzt) durchaus bereit war, Schadensersatzansprüche von RWE in Kauf zu nehmen. Hat Monitor also doch eine Verschwörung aufgedeckt, die das Geld der Steuerzahler in die Taschen der Konzerne schaufelt?

Ich glaube nicht, denn die Geschichte ist einfach nicht stimmig. Zwei massive Widersprüche tun sich auf:
  • Wie passt die Erklärung von RWE unmittelbar nach dem Briefwechsel ins Bild, man schalte Biblis B nicht wieder an, um dem "Wunsch der Politik Rechnung zu tragen"? Wenn ich jemandem einen Wunsch erfülle, kann ich meine Aufwendungen dafür nachher nicht einklagen mit der Begründung, ich sei bedroht worden. Damit schwächen sie ihre eigene Position.
  • Außerdem: Wenn, wie vorher aufgezeigt, der Betrieb von Biblis B nach dem Moratorium nichts mit der Rechtmäßigkeit des Moratoriums selber zu tun hat: Warum klagen sie nicht auch erstmal vor dem Verwaltungsgericht, um feststellen zu lassen, dass sie bedroht wurden, und warten dann noch einmal über drei Jahre?
Wenn das also tatsächlich eine Gefälligkeit der Politik war, hat RWE sich daraufhin so ungeschickt verhalten, dass sie sich wahrscheinlich selber darum bringen. Ich weiß nicht, warum Großmann bezüglich Biblis B eingelenkt hat und ob er eventuell eine Gegenleistung bekommen hat. Aber die war es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. 

So viel zu den Tatsachen, wie sie jeder, der einen Internetanschluss hat, nachlesen kann. Im zweiten Teil werde ich darauf eingehen, was Politik und Medien daraus machen.

­
Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Das Kernkraftwerk Biblis in Südhessen, die beiden Kühltürme von Block A, aus südwestlicher Richtung, Nähe Rheinufer. Fotograf: Armin Kübelbeck, CC-BY-SA, Wikimedia Commons, Für Kommentare bitte hier klicken.