21. Dezember 2014

Samuel Beckett – Zum 25. Todestag. Gastbeitrag von Ludwig Weimer

Beckett starb am 22. Dezember 1989. Sein großes Thema sei gewesen, was zu Ende geht und wie es zu Ende geht, heißt es. Offensichtlich sind die Figuren auf seiner Bühne Strolche, Hanswurste und Clowns, burlesk und peinlich, weil er mitten in der bürgerlichen Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit eine tiefere Wahrheit zeigen will, die innere Krise der Moderne.

In seiner Fabel „Company / Gesellschaft“ (1979) redet eine Stimme darüber, ob uns jemand Gesellschaft leistet oder ob wir allein sind in einem leeren All und im Leben. Allein, auf dem Rücken liegend im Dunkeln unterhält sie sich durch Erinnern. Es beginnt mit der das Kind verletzenden Ablehnung seiner Fragen durch die Mutter: Ob der blaue Himmel in Wirklichkeit viel weiter weg sei, als man meint? - Ob er vielleicht viel weniger weit weg sei, als man meint?

Es gab Gerüchte, dass Beckett erst am 13. Mai 1906 geboren wurde. Er besteht in dieser Dichtung aber darauf, dass er am 13. April das Licht der Welt erblickt habe. Der 13. April 1906 war ein Karfreitag. „Du sahst das Licht der Welt an dem Tag, an dem Christus starb, und nun.“ Und dies wird an noch zwei weiteren Stellen der Fabel behauptet. Siebzehn Seiten weiter mit einer weiteren Anspielung: Das menschliche Leben als Kreuzweg: „Kriechend also und fallend. Kriechend wieder und wieder fallend.“

Das Fühlen des Alleinseins und das Wissen um das Sterben sind die Hauptfragen von Becketts Gestalten. „Die Menschen (…) kommen und gehen, mit ihren klappernden und knarrenden Kugelgelenken höherer Gliedertiere, jeder seines Weges. Und wenn einer stirbt, gehen die anderen weiter, als ob nichts geschehen wäre“ (Malone stirbt, Roman 1951).

Becketts Spott über christliche Wissensreste könnte auch ein versteckter Schmerz über Verluste sein. Man kann ein Stück wie „Warten auf Godot“ nur zeithistorisch interpretieren wie Hans Ulrich Gumbrecht:

„Dieser Text ... hat für mich all die Motive absorbiert, die für mich entscheidend in der Darstellung der unmittelbaren Nachkriegszeit sind. (…) Beckett sagt: ‚Sie laufen, aber sie legen keinen Weg zurück‘. Und das scheint mir die kompakteste denkbare Zusammenfassung der Nachkriegsgeschichte zu sein. ... das beständige Warten, das Offensein für die Ankunft von etwas, was sich im Leben meiner Generation nie eingestellt hat“ (Die Tageszeitung, taz 17. Oktober 2012).

Aber das scheint doch eine Verkürzung zu sein, typisch für unsere im völligen Diesseits angelangten Zeitdeuter, die Becketts Winnie, jener Quasseltante unserer Talkgesellschaft in „Glückliche Tage“, näher stehen als dem Dichter. Ich möchte im Folgenden die übersehenen Anfragen thematisch streifen: menschliche, ethische und theologische.

Vor der dritten Erwähnung der Geburt am Karfreitag stellt Beckett die Frage nach der Gotteserfahrung: „Wieviel geselliger könnte sein Kreator sein, wenn er doch röche. Wenn er doch seinen Kreator riechen könnte. Irgendein sechster Sinn? Eine unerklärliche Ahnung drohenden Unheils? Ja oder nein? Nein. Reine Vernunft? Diesseits der Erfahrung. Gott ist Liebe. Ja oder nein? Nein. – Kann der kriechende Kreator, in dem gleichen, kreierten Dunkel kriechend wie seine Kreatur, kreativ sein, während er kriecht?“

Zwei Seiten weiter zum dritten Mal: „Warum eigentlich kriechen? Warum nicht einfach mit geschlossenen Augen im Dunkeln liegen und aufgeben? Alles aufgeben. (…) Du sahst das Licht der Welt und schriest am Abend des Tages, an dem Christus in der Dunkelheit um die neunte Stunde schrie und starb.“ Sieben Seiten weiter dann der Schluss: „Und wieviel besser am Ende verlorene Müh‘ und Schweigen. Und du wie eh und je. – Allein.“

Die meisten Zeitgenossen leben nur so in den Tag hinein. Nicht dass sie von der wohligen Lähmung zur Passivität des Vagabunden „Molloy“ angesteckt wären (Roman 1951), denn sie gehen jeden Tag weiter brav zur Arbeit, - oder quälen sie sich dorthin? Wahrscheinlich teilen sie mit Beckett die Sehnsucht nach einem anderen glücklicheren Leben.

Das Bühnenstück „Happy Days / Glückliche Tage“ (1961) mit der schon halb, dann bis zum Hals im Boden versunkenen Winnie gilt der Frage, ob Mann und Frau sich verstehen, achten, lieben, helfen, ergänzen können. Sie weiß, was dem Mann durch den Kopf geht: „Nicht genug damit, dass man der Frau zuhören muss, jetzt muss man sie auch noch anschauen.“ Glücklich? „Flüchtige Freuden – währendes Weh“ zitiert sie beim Schminken. Sie träumt davon, dass Willie wenigstens hin und wieder auf ihre Seite käme, wie sie es ausdrückt, wo sie ihn sehen könnte. Sie erinnert sich an den Anfang, als er winselnd um ihre Hand anhielt. Was fehlt, sagt am Schluss die Spieldosenmelodie: „Hab‘ mich lieb!“

Am Schluss des Stückes „Play / Spiel“ (1963), wo sich drei Köpfe aus Urnen heraus unterhalten, fragt umgekehrt der Mann, der zwischen zwei Frauen lebte: „Werde ich überhaupt gesehen?“ Die Frau 1 wiederholt ihre einstige Bitte: „Ich sagte zu ihm, Gib sie auf - “.

„Krapp’s Last Tape / Das letzte Band“ (1959) hat das gleiche Thema der Suche nach der Liebe. Als 69-jähriger hört er sich an, wie er als 39-Jähriger kritisierte, was er als 27-Jähriger vorhatte. Der Alte, der mit seinem Bananenessen an unsere Herkunft erinnert und mit den alten Tonbandspulen vom Augenblick des Liebesglücks im Boot im Schilfversteck nicht loskommt, findet in seinem Spulen-Register auch den „Abschied von der Liebe“. Effi, dann Fanny. Er lauscht am Schluss noch einmal in den einzigen Glücksmoment, festgehalten in „Spule fünf, Schachtel drei“. Damals diktierte er: „Vielleicht sind meine besten Jahre dahin. Da noch eine Aussicht auf Glück bestand.“

Nicht nur die Körper altern. In „Fin de partie / Endspiel“ (1956) sitzen die Alten in Mülleimern. Nagg erzählt ausführlich den jüdischen Witz vom Schneider, der ewig braucht für eine Hose und sich rechtfertigen muss, weil Gott eine ganze Welt in sieben Tagen hinkriegte: Aber schauen Sie sich die Welt an und dann meine Hose. Das „Endspiel“ stellt die alte Frage der Theodizee, wie soviel Elend sein könne. „Was ist eigentlich los?“ Hamm will seinen Sessel genau in der Mitte des Raums haben. Damit wird der Verlust der Mitte parodiert. Der Mensch ist nicht mehr das Zentrum der Schöpfung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war für Beckett die menschliche Kultur zerstört, Clov lässt das Fernglas sinken und beantwortet Hamms Frage, was Alles draußen in der Welt sei: „Kaputt.“ Keine Sonne mehr. „Es ist grau.“ Das „Endspiel“ hat viele einsilbige Dialoge. Kommunikation ist keine Kommunikation mehr. Aber auch Hamms Vorschlag ist utopisch: „Abhauen, nach Süden (…) zu anderen … Säugetieren!“ Es gibt auch keine Freiheit mehr. „Das ganze Haus stinkt nach Kadaver.“ „Das ganze Universum.“

Auch der Dichter hat kein sicheres Wissen: „Es muss gesagt werden, wie es ist, ohne dass man es zu begreifen versucht, bis zum Ende“. Er weiß nicht, ob wir eine unsterbliche Seele besitzen: „Dann wird es aus sein mit den Murphy, Mercier, Molloy, Moran und Malone und so weiter, es sei denn, dass es jenseits des Grabes weitergeht. Aber greifen wir nicht vor, wir wollen zunächst verscheiden, dann werden wir sehen.“ Man muss sich „in seiner Sterblichkeit suhlen“ (Malone stirbt).

Beckett nimmt den letzten Fluchtweg weg. „Glaubst du an das zukünftige Leben?“ fragt Clov. Hamm gibt zurück: „Meines ist es immer gewesen.“ Clov geht türschlagend hinaus. „Peng! Das saß“ kontert Hamm und antwortet auf die Äußerung des Vaters aus dem Mülleimer, er habe zugehört: „Du Schweinehund! Warum hast du mich gemacht?“

Beckett karikiert das Herunterrasseln des Vaterunsers in der Elterngeneration vor dem Essen, hier bloß für eine Praline. Hamm kommentiert das Thema Gott: „Der Lump! Er existiert nicht!“

Hamm erzählt, mit welchem Roman er sich gerade befasst. Darin kommt ein Mann vor, der sein Kind retten will und Brot braucht. Der Angeflehte schmückt gerade seinen Tannenbaum. Ob er bereit wäre, das Kind aufzunehmen. Man bietet ihm eine Gärtnerstelle an. Darf er das Kind mitbehalten? Die Literaturkenner rätseln, ob Beckett in dem Kleinen wohl das fortwährende Leben verkörpere. Vielleicht ist es zugleich doch auch eine Weihnachtsgeschichte: die Herbergssuche? Die Frage nach der Mitleids-Tat? Zumindest so, dass die Generationen füreinander da seien. Das Stück spricht am Ende nochmals von dem Kleinen, der die Zukunft verkörpert und Hamm ruft zweimal „Vater!“, bevor er das Taschentuch holt und mit ausgestreckten Armen vor sich hält. Man erinnert sich an den Anfang des Stücks. Bei Hamms erstem Auftritt war über sein Gesicht dieses große blutbefleckte Taschentuch gebreitet; eine Anspielung auf das Schweißtuch der Veronika?

In dem Hörspiel „All That Fall / Alle die da fallen“ (1956) klagt die alte Dame Rooney und zückt ebenfalls ihr Taschentuch: „… und ich bin wieder allein … ganz allein“. Die Theodizeefrage „all das sinnlose Elend!“ wird fortgesetzt. An der 35jährigen Miss Fitt demonstriert Beckett den bigotten frommen Egoismus: „In der Kirche bin ich doch allein mit meinem Schöpfer. Sie nicht?“ Sie missversteht aus Stolz sogar die Kritik der anderen Gläubigen: „Da geht sie, sagen sie, da geht die schwarze Miss Fitt, ganz allein mit ihrem Schöpfer, lasst sie in Ruhe.“ Die alte Lady bräuchte ihren Arm, um die Stufen zu bewältigen, und schimpft: „Eine hilfreiche Hand! Für fünf Sekunden! Jesus, was für ein Planet!“ Miss Fitt gibt nach: „Na Ja; es ist wohl Protestantenpflicht zu helfen.“ Die Alte argumentiert: „Selbst Ameisen helfen einander. (Pause) Ich habe Schnecken gesehen, die es taten“, während Miss Fitt den Choral summt: „In allen Stürmen … tamtamtamtam (Laut:) … wird er dich beschirmen … tamtamtamtam!“

Eine andere Perversität kommt zur Sprache. Die alte Dame erinnert sich, wie sie einen Psychologen konsultierte, weil sie einen unwiderstehlichen Drang zu Pferderennen und Pferdehintern hat. Sie interessiert sich in der Folge für das Problem, dass sich Maulesel nicht fortpflanzen können und will von einem modernen Theologieprofessor gehört haben, Jesus sei auf einem Maulesel geritten. Es meint die Frage, ob die Theologen über nichts Sinnvolleres zu streiten hätten. Dann ist man beim Thema, wer am nächsten Sonntag der Prediger sei. Ob es Hardy sein wird, der das Buch schrieb „Verheiratet und doch glücklich“. Nein, der ist schon gestorben. Das Thema sei aber schon angekündigt: „Der Herr erhält alle, die da fallen“. Dieser Spruch gab dem Stück ja seinen Titel.

Die Handlung ist das Abholen des blinden Mannes vom Bahnhof und warum der Zug eine Verspätung hatte. Am Schluss klärt sich die Zugverspätung und es taucht die Frage nach dem Kind auch hier wieder auf: Ein Kind war aus dem Zug gefallen, um seinen Ball zu suchen – gab es einen Schuldigen? - und unter die Räder gekommen.

„En attendant Godot / Warten auf Godot“ (1952) wurde Becketts bekanntestes Theaterstück. Nachdem zuerst 35 Theater das Manuskript abgelehnt hatten, wurde es dann zur berühmtesten Parabel unserer Gegenwart. Worauf warten Estragon und Wladimir unter dem Bäumchen an der Landstraße? Das ist unendlich interpretierbar: Symbol für die Sinnlosigkeit des Lebens, für die Wurzellosigkeit der Moderne, für die politische Ausweglosigkeit? Wüsste man, wen Beckett mit Godot meint. Ein Psychoanalytiker meint: Eine stillende, heimatgebende Instanz. Valentin Temkine schreibt: Zwei Pariser Juden warten 1943 in den Südalpen auf den Schleuser.

Beckett sagte, wer Godot sei, sei nicht so wichtig; er sei nicht fromm; Thema dieses Stücks sei das Warten. In „Malone stirbt“ erklärt er es näher: „Wer genug gewartet hat, wird immer warten, und wenn eine gewisse Frist abgelaufen ist, kann nichts mehr geschehen, niemand mehr kommen, nichts anderes mehr sein als bewusst vergebliches Warten.“

Die Aufführungspraxis rückte das Stück seit 1968 auch mehr und mehr von der metaphysischen Sinn-Frage ab. Das Schweigen und der Tod Gottes waren in der Gesellschaft als Thema vorbei. Das Spielen mit dem Nichtigen, die Entdeckung der Komik im Schmerz, die vergehende Zeit wurden Mittelpunkt auf der Bühne.

Schon nach wenigen Minuten fragt jedoch der eine: „Hast du die Bibel gelesen?“ Der Andere erinnert sich nur an die bunte Landkarte mit dem blauen Toten Meer. Dann geht es um den Widerspruch in den Evangelien: Von den zwei Räubern, die mitgekreuzigt wurden, hat sich einer bekehrt, aber nur bei einem der vier Passionsberichte. Hier endet die Diskussion, was Erlösung meine, mit: Die glauben, sind blöd. In „Malone stirbt“ kommt der Witz hinzu: „Aber warum den Mut verlieren, einer der Schächer wurde erlöst, das ist ein guter Prozentsatz.“ Da wird auch ein Oster-Choral erwähnt: „Könnte es die Osterwoche sein? Wenn dies zutrifft, sollte dann dieser Gesang, den ich gerade gehört habe, und der eigentlich noch nicht ganz in mir verstummt ist, nicht einfach zu Ehren des ersten, der von den Toten auferstand, erklungen sein, zu Ehren dessen, der mich rettete, zweitausend Jahre im voraus?“ Meint Beckett sich mit dem „eigentlich noch nicht ganz in mir verstummt“?

Malone denkt manchmal, auch er wäre „auf die Tröstungen irgendeiner Konfession angewiesen gewesen“, wenn er nicht die Gesellschaft von kleinen Dingen wie dem Pfeifenkopf in seinen Taschen geliebt hätte, sie betastet und gestreichelt, mit ihnen beruhigend gesprochen hätte oder mit einem Kiesel, einer Kastanie in der Hand hätte einschlafen können.

Estragon und Wladimir warten und warten. Im späteren Akt kommt es wieder zu einer Diskussion, während sie versuchen, auf einem Bein zu stehen wie der Baum. Estragon: „Glaubst du, dass Gott mich sieht?“ Wladimir: „Man muss die Augen zumachen.“ Estragon schreit: „Gott hab Erbarmen mit mir“. Es kommen aber nur Pozzo, erblindet mit dem versklavten Lucky am Strick. Sie stolpern und stürzen. Es ist nicht Godot. Pozzo bräuchte selber Hilfe zum Aufstehen. Wladimir und Estragon diskutieren, ob sie ihm aufhelfen sollen. Sie erkennen den Anruf an sie: „In dieser Gegend und in diesem Augenblick sind wir die Menschheit, ob es uns passt oder nicht.“ Was können und müssten sie in der Zeit tun, in der sie auf das Kommen Godots warten?

Wladimir räsoniert: „Wir sind keine Heiligen, aber wir sind da, wie verabredet. Wieviel Leute können das von sich behaupten?“ Wladimir fällt selber, als er helfen will, Estragon verweigert sich.

Den Schluss des Stücks leitet der Satz des blinden Pozzo über das Wesen des Menschen ein: „Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick und dann von neuem die Nacht. (Er zieht am Strick) Los, voran!“ Ein Junge kommt als Bote. Godot komme erst morgen. Sie möchten sich am liebsten am Bäumchen aufhängen, aber es fehlt das Seil. Sie verschieben auch das Aufhängen auf morgen. Sie sagen „Gehen wir!“, aber sie gehen nicht von der Stelle.

In seinem Prosatext „Le Dépeupleur / Der Verwaiser“ (1970) beschrieb Beckett die Gesellschaft mit dem Bild eines Zylinders, aus dem ein Teil der Eingeschlossenen einen Ausweg sucht, andere sitzen resigniert da. Das Gerücht sage, es gäbe oben einen Ausweg zu Erde und Himmel. Einige müssten die vorhandenen Leitern als Stütze nützen, um die größte so senkrecht zu halten, dass die Decke auf eine Öffnung hin inspiziert werden könnte. Aber zu diesem Augenblick der Brüderlichkeit kommt es nicht. Das Zusammenwirken sei ihnen „ebenso fremd wie den Schmetterlingen.“

Was er später schrieb, trieb die Reduktion, das Subtrahieren und Weglassen immer weiter. „What Where / Was wo“, eines der minimalistischen experimentellen Fernsehstücke, das Beckett 1983 für den Rundfunk entwarf, handelt von vier Personen Bam, Bem, Bim, Bom, Agenten der Staatsmacht, die einander foltern und töten, um Staatsgeheimnisse zu erfahren. Die Stücke „Quadrat I und Quadrat II“ zeigen Menschen, die in Kutten um ein Loch herumhuschen, erst in Farbe, dann in Grau. Dazwischen könnten 100 000 Jahre liegen, äußerte Beckett. Die Weltgeschichte ein Gefängnishof? Immer weniger Worte braucht der Dichter, zuletzt das Stück „Atem“ mit nur einem einzigen Ausatmen und dem Wimmern eines Kindes während einer Schwergeburt, zusammen 35 Sekunden. Die Menschheitsgeschichte – in kosmischem Zeitmaß gesehen?

Zum hundertsten Geburtstag 2006 gab es in den Zeitungen das letzte Blätterrauschen, um Beckett als den größten Dichter der zweiten Jahrhunderthälfte zu würdigen. Es gab welche, die ihn als Eule der Weltverfinsterung verstanden: „Von allen Tieren ist der Mensch das traurigste – das wäre Becketts Botschaft, wenn Beckett eine Botschaft hätte“ (Benjamin Henrichs, Süddeutsche Zeitung 8./9. April 2006). Willi Winkler widersprach eine Woche später: Er „hoffte doch auf die Erlösung, Erlösung durch das Lachen“ (Süddeutsche Zeitung 13./14. April 2006).

Beckett wollte die Stücke nicht tragisch, sondern komisch-lustig gespielt wissen. Ich habe dies 1967 bei der von ihm inszenierten Aufführung des Endspiels in Berlin selber gesehen. Wo kein Erlöser (hin)kommt, kann nur das Lachen befreien, das alle Grenzen hintergeht, hilft nur ein Galgenhumor, das Schreckliche, die Vergänglichkeit zu überwinden.

Ist nicht selbst das Warten besser als das Fürchten, z.B. einen Krieg befürchten zu müssen?

Auch Salman Rushdie urteilte ähnlich, nämlich „dass Becketts Bücher, deren vorgebliches Thema der Tod ist, in Wahrheit Bücher über das Leben sind, über den lebenslangen Kampf des Lebens gegen seinen Schatten. (…) Der Tod reduziert das Leben auf das Wesentliche, ehe er auch das Wesentliche nimmt“ (Mein Beckett, FAZ 24. 02. 2006).

Ludwig Weimer

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