31. Dezember 2014

Der Datenkrake (2): Politische Säuberung

Nachdem Kollege R.A. einen interessanten Hinweis auf die Problematik der Selbst(ent)äußerung auf Facebook geschrieben hat, möchte ich noch eine andere Seite des Themas beleuchten.

Seit ein paar Wochen geistert im Netz ein "Tülchen" rum, das - durch Eingabe einer URL mit der entsprechenden Facebook-Seiten-ID - die eigene Freundesliste danach durchsucht, wer der gesuchten Seite einen "Gefällt mir"-Klick gegeben hat.

Vor dem Hintergrund der Pegida-Demonstrationen nutzten fast alle größeren Medien in ihren Online-Auftritten diese Funktion als Aufhänger, um ihren Lesern vorzuschlagen, doch mal ihre Freundesliste nach Pegida-, AFD- und NPD-Anhängern durchzuforsten und diese Freunde danach zu entfernen.

Abgesehen von der willkommenen Gelegenheit, wie so häufig alles, was rechts der Merkel-CDU steht, in ein und denselben Topf zu werfen, springt vor allem die von keiner Menschenfreundlichkeit verbrämte Wortwahl ins Auge. Von "ausmisten" und "aussieben" ist da die Rede, auch von "falschen Freunden". 

Den schärfsten Coup brachte aber der Focus: Zuerst (18.12.2014, 8.04; Webarchive) betitelte er seinen Artikel (ohne Nennung des Autors) zum Thema folgendermaßen:
Ausmisten mit einem Klick
So erkennen Sie Pegida-Fans unter Ihren Facebook-Freunden 
Wer viele Facebook-Freunde hat, der verliert leicht den Überblick - und erkennt nicht, wem er die Freundschaft besser kündigen sollte. Dabei reicht ein Klick, um Pegida-Sympathisanten oder NPD-Fans zu erkennen.
Ob über Nacht in den Focus-Redaktionsstuben ein Blitz des Anstands eingeschlagen hat (unwahrscheinlich) oder vielleicht doch die über 150 teils harschen Leserkommentare den Ausschlag gegeben haben (sehr wahrscheinlich), ist nicht zu ermitteln. Fakt ist aber, dass am nächsten Tag zumindest der Teaser eine gehörige Menge Weichspüler abbekommen hat:
Filtern mit einem Klick
So sehen Sie, welche Seiten Ihre Facebook-Freunde geliked haben 
Wer viele Facebook-Freunde hat, der verliert leicht den Überblick - und erkennt nicht, wer seine Vorlieben teilt oder wem er die Freundschaft eigentlich lieber kündigen möchte. Dabei reicht ein Klick, um das zu sehen.
Der Text darunter ist unverändert, auch ein großes Artikelbild von Pegida-Demonstranten ist noch drauf. Hätte mich die URL der Seite, die nach wie vor noch "ausmisten" enthält, nicht stutzig gemacht, wäre ich diesem Schmu gar nicht auf die Schliche gekommen, denn einen Hinweis auf die Änderung gab es nicht - Feigheit, Feigheit, Feigheit.

Abgesehen davon, dass diese Episode ein ungeheures Schlaglicht auf die Hyperventilation um Pegida sogar bei dem Namen nach konservativen Medien wirft, zeigt eine ausführlichere Pressebetrachtung noch etwas anderes: Es ist mittlerweile selbstverständlich geworden, andere Menschen einzig und allein aufgrund deren Überzeugungen zu kategorisieren, zu be- und letztendlich zu verurteilen. Die Münchner Abendzeitung schreibt eindeutig:
Wenn einem nicht dasselbe gefällt wie den Facebook-Freunden, muss man sich eben trennen. Das Jahr neigt sich dem Ende zu - die perfekte Zeit, um im eigenen Leben einmal ordentlich auszumisten.  
Die meisten Artikel fügen etwas verschämt eine Art Disclaimer an, so etwas wie hier in der WAZ
Der "Gefällt mir"-Button, wie Facebook ihn nennt, ist für viele Nutzer eher ein "Interessiert mich"-Button. Sie wollen sich darüber informieren, was auf der Pegida-Seite geschieht und "liken" die Seite, um sie nicht jedes Mal von Hand aufrufen zu müssen. Mancher aus privatem Interesse, mancher, etwa Journalisten, auch aus beruflichen Gründen. Ihnen tut man Unrecht, wenn man ihnen pauschal unterstellt, tatsächlich zu den Pegida-Anhängern zu gehören. (...) 
Es spricht sicherlich nichts dagegen, sich anzuschauen, welchen Seiten die eigenen Freunde folgen. Doch sollte man sie vielleicht noch einmal nach ihren Beweggründen fragen, bevor man ihnen brüsk die Freundschaft kündigt.
Doch das bedeutet nur: Sobald die Anhängerschaft zu Pegida zweifelsfrei feststeht - darin sind sich alle einig - hat die Person von der Freundesliste zu fliegen oder zumindest einem Verhör unterzogen zu werden. Die Option "Mir sind andere Dinge wichtiger als die politische Anschauung" ist nicht gegeben.

Welche Rolle spielt nun der Datenkrake in diesem Zusammenhang? Es geht ja um die Gretchenfrage der sozialen Medien an sich: Welche Überschneidungen gibt es zwischen einer virtuellen Existenz in einem Netzwerk und der Person, die dahintersteht? Und wie sieht es mit zwischenmenschlichen Beziehungen aus - konkret: Hat eine Freundschaft auf Facebook diesen Namen verdient? In aller Regel wird diese Frage mit "nein" beantwortet; hier eine zugegeben penetrante, aber nicht weniger typische Stimme
Käßmann kritisierte erneut den leichtfertigen Gebrauch des Begriffes „Freundschaft“ in sozialen Internetnetzwerken wie Facebook. Es störe sie, dass jemand 3.000 „Freunde“ bei Facebook haben könne, die er aber noch nie gesehen habe. Damit werde Freundschaft entwertet. Sie habe erfahren, dass Freundschaften über Jahrzehnte hinweg sehr eng werden könnten. Damit entstehe fast eine familiäre Beziehung. Wie in der Familie, die sie sehr schätze, komme es bei Freundschaft auf Verlässlichkeit, Vertrauen und Verantwortung an, sagte die geschiedene Mutter von vier erwachsenen Töchtern.
Auch die Gegenposition existiert - selbst in den Bollwerken des Tiefgangs wie SZ und FAZ - z. B. ein Artikel von Hakan Tanriverdi . Tanriverdi ist ein interessanter Autor, denn er hat einen Migrationshintergrund. Keinen türkischen, wie der Name vermuten lässt. Laut der Beschreibung im SZ-Autorenprofil ist er "aufgewachsen im Internet". Und obwohl auch er die Like-Funktion so auffasst, das damit keine Sympathiebekundung einhergehen muss, unterscheidet er nicht wirklich zwischen Facebook-Freunden und "echten" Freunden.

Auch die FAZ, die ihre Multimedialität bereits 2007 unter Beweis stellte, indem sie mit Bildern auf der Titelseite aufwartete , überrascht
Auf Facebook kursierte in den vergangenen Tagen ein Link, mit dem man überprüfen kann, wer von den eigenen Facebook-Freunden sich für Pegida interessiert. Viele schickten ihn rum, oft verbunden mit der Aufforderung, die entlarvten Idioten aus der Freundesliste zu löschen. Wirklich: Nun hatten die Dummen weder jemanden gehauen noch etwas gesagt, sondern nur still ihr Interesse - nicht mal ihre Zustimmung - an einer legitimen Form des politischen Protestes signalisiert. Trotzdem beschlossen ihre Freunde, die Klugen, Toleranten, dass das zu weit geht. Ihre Form der politischen Auseinandersetzung nennt sich „preaching to the converted“: den Bekehrten predigen. - Kann man machen. Niemand hat die Pflicht, mit Leuten, die er für dumm hält, befreundet zu sein, zu diskutieren oder ihre Ansichten auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Auch hier wird die Freundschaft auf Facebook und die im realen Leben munter durcheinandergebracht. Wenn es um unliebsame Meinungen geht, so möge man am besten kein Risiko eingehen, mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden. Fritz Goergen beschreibt das sehr schön auf Tichys Einblick:
Die nächste Stufe ist wohl schon angelaufen: Wer seinen Facebook-Freundeskreis nicht mit einem Ausmist-Programm wie von STERN oder FOCUS „säubert“, kommt selbst auf die Säuberungs-Liste. Pegida ist nur der Anfang. „Saubere“ Freundeskreise – für beide Seiten – werden Pflicht. Ein Eldorado für Denunzianten. Empfehle weitere Ausmist-Programme etwa für Kernkraft-Freunde, für die Benutzer verbotener Wörter („Zigeunerschnitzel“, „Weihnachtsmarkt“, Professor statt Professorin,) für Rassisten, Frauenwitzerzähler (Frauenfeind), Gegner des Gender-Mainsstreaming, die daran festhalten, dass Männer irgendwie anders sind als Frauen und zwar nicht nur beim Einparken. Möglicherweise haben Sie dann keine Freunde mehr, aber wenigstens sind die dann PC. Und die Freunde die bleiben, sind dann hundertprozentig Ihrer Ansicht. Beruhigend, aber langweilig.
Denn das soziale Netzwerk erleichtert nicht nur die Gesinnungsschnüffelei, es baut auch einen sozialen Druck in diese Richtung auf. Und dann verschwimmen die Grenzen: Da man nicht weiß, ob "der Freund eines Freundes" nur eine flüchtige Online-Bekanntschaft ist oder nicht doch dessen bester Kumpel, setzt sich eine Spirale des Kontaktabbruchs auch im realen Leben in Gang.


Damit soll nicht gesagt werden, dass die sozialen Netzwerke die sogenannten Filterbubbles, also Gruppen mit einheitlichen Vorlieben, Weltanschauungen und - vor allem - Befindlichkeiten hervorgebracht haben - jeder, der in den frühen 70er Jahren an einer deutschen Uni studiert hat (bevorzugt im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich) wird das bestätigen können. Aber die Dynamik ist eine andere, und es steht bisweilen zu befürchten, dass die Interaktion auf Facebook und Twitter mehr und mehr auf die reale übergreift.

Selbst einer Filterbubblebewohnerin der ersten Stunde wie Katrin Rönicke wird das mittlerweile zu viel, wie sie in ihrem empfehlenswerten Beitrag "Twitter ist wie die DDR" schreibt:
Das politische Streiten ist nicht selten ein kleiner Kampf um das bessere Argument. Und das sollte uns etwas wert sein! Umso schmerzlicher wird es, wenn Menschen, die dieses politische Streiten lieben und debattieren, an den Kopf geworfen wird, sie seien „zu dominant“. Wenn man ihnen den Mund verbietet mit der Begründung, sie sollten erst einmal ihre „Privilegien checken“ gehen. Für mich ist das Politische auch immer konfliktuell – aber das ist auf twitter nicht wirklich möglich. Dort befindet man sich schneller in den Kategorien von Moral und moralischer Abwertung: Eine andere Meinung ist dann nicht nur eine andere Meinung, sondern eine verwerfliche. Eine andere Ansicht kann neben der eigenen kaum ausgehalten werden, ohne ein #fail dahinter zu setzen. Wer abweicht wird so denunziert. Die Gerechten feiern sich hiernach selbst. Es spricht nichts gegen Rituale. Es ist in Ordnung, wenn Gruppen sich nach innen verfestigen, indem sie sich nach außen abgrenzen. Doch auf twitter sind solche Prozesse öffentlich geworden. Menschen dort haben versucht sich durch weit verbreitete Rituale gegen Kritik immun zu machen.
Es gibt keinen Anlass zur Vermutung, dass Menschen, die sich im sozialen Netz so benehmen, in der Realität toleranter sind gegenüber abweichenden Meinungen. Und in ihrem Freundeskreis - nicht nur auf Facebook - politische Säuberungen abhalten.  


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Meister Petz


© Meister Petz. Titelvignette: An illustration from the original 1870 edition of Twenty Thousand Leagues Under the Sea by author Jules Verne. Für Kommentare bitte hier klicken.