Anlässlich der kürzlich in den Medien vermeldeten Tötung eines Neugeborenen, mutmaßlich durch die inzwischen festgenommene Mutter in München, veröffentlicht Süddeutsche Online aktuell ein Interview mit Eva Zattler, einer bei Pro Familia beschäftigten Diplom-Sozialpädagogin. Auf die Frage, was in einer Frau vorgehe, die sich entschließe ihr Kind zu töten, lautete die Antwort:
Diese Frauen entschließen sich nicht, ihr Kind zu töten. Das ist eine Affekthandlung, ganz ähnlich wie bei einer Psychose.
Nun hat der Begriff der Affekthandlung psychopathologisch mit dem der Psychose praktisch nichts zu tun; aber geschenkt. Das Entscheidende scheint mir die pauschal formulierte erste Aussage zu sein: Daß die betreffenden Frauen sich nicht für die Tötung entscheiden, scheint doch eine mehr als steile These zu sein, die mutmaßlich v. a. dem Wunsch geschuldet sein dürfte, in Tätern, insbesondere sofern es sich bei ihnen um Frauen handelt, zuvorderst Opfer sehen zu wollen.
Gerade im vorliegenden Fall dürfte das im übrigen eher falsch sein. Es handelt sich bei der verhafteten Kindsmutter um eine 21 Jahre alte südkoreanische Studentin, d. h. hinreichendes intellektuelles Reflektionsvermögen dürfte vorauszusetzen sein. Gleichwohl ist es in Südkorea, einem Land, in dem Ehebruch bis heute unter Strafe steht, eine schwere Schande, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen; die meisten der auf diese Weise in Südkorea geborenen Kinder werden bis heute im Ausland zur Adoption freigegeben (die diesbezügliche Situation in Südkorea ist in diesem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung lesenswert dargestellt).
Man kann also durchaus von einer subjektiven Notlage der Kindesmutter ausgehen, was aber nicht bedeutet, daß es in diesem Fall (oder in anderen, ähnlich gelagerten Fällen) keine Entscheidung zur Tötung gegeben habe oder daß der Mutter die Tötung (und im juristischen Sinne das Unrecht der Tat) nicht bewußt gewesen sei. Im Gegenteil; die mögliche Motivlage wird in Kenntnis der südkoreanischen Herkunft der mutmaßlichen Täterin erst transparent; die Entscheidung zur Kindstötung bekommt somit sogar möglicherweise einen "rationalen Kern". Es ist durchaus möglich, daß die Kindesmutter sich hier in einer psychischen Ausnahmesituation gehandelt hat, aber es ist nicht von vornherein anzunehmen, und noch viel weniger ist es Anlaß für diesen fast schon "Persilschein" für alle Täterinnen, den die Sozialpädagogin hier ausstellt.
Zattler weiter:
Viele Frauen, die ihr Kind töten, haben vorher ihre Schwangerschaft verdrängt, alle Zeichen ignoriert. Und wenn das Kind dann geboren wird, ganz real aus dem Körper herauskommt, dann geraten diese Frauen in Panik. Manche begreifen das Neugeborene sogar als etwas Bedrohliches. Und dann kann es zu so einer Reaktion kommen. Es ist eine krasse seelische Notsituation für die Frau.
Abgesehen davon, daß es zunächst einmal eine krasse und vitale Notsituation für das Kind ist, wird hier wieder die Karte mit der Affekthandlung gespielt. Die Mutter bekommt Panik und fühlt sich bedroht und tötet deshalb. Wenn diese Gefühlszustände aber konstituierend oder hinreichend für Kindstötungen wären, dann wäre dieses Phänomen deutlich öfter zu beobachten als es -Gott sei Dank- der Fall ist.
Man stelle sich umgekehrt einmal jenen Vater vor, der vor einiger Zeit sein Kind totgeschüttelt hat, weil er nicht in der Lage gewesen war, den schreienden Säugling zu beruhigen. Wer käme auf die Idee, hier eine affektive Notlage des Vaters mit Hilflosigkeit, Überforderung und Wut zu konstatieren und als schuldmindernd zu werten, zumal die Merkmale einer Affekthandlung hier deutlich stärker erfüllt zu sein scheinen? Offenbar niemand, denn der Vater ist zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Diese konsistente Ungleichbehandlung in öffentlichen Diskussionen (und wohl auch in der Rechtsprechung) zu Kindstötungen, in denen tatausführende Mütter tendenziell, und anders als ebensolche Väter, als Opfer von Umständen beschrieben werden, ist nach neuerer ideologischer Lesart eigentlich als zutiefst sexistisch zu bezeichnen. Aber auch Sexismus kennt ja bekanntlich nur ein Täter- und ein Opfergeschlecht.
Man stelle sich umgekehrt einmal jenen Vater vor, der vor einiger Zeit sein Kind totgeschüttelt hat, weil er nicht in der Lage gewesen war, den schreienden Säugling zu beruhigen. Wer käme auf die Idee, hier eine affektive Notlage des Vaters mit Hilflosigkeit, Überforderung und Wut zu konstatieren und als schuldmindernd zu werten, zumal die Merkmale einer Affekthandlung hier deutlich stärker erfüllt zu sein scheinen? Offenbar niemand, denn der Vater ist zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Diese konsistente Ungleichbehandlung in öffentlichen Diskussionen (und wohl auch in der Rechtsprechung) zu Kindstötungen, in denen tatausführende Mütter tendenziell, und anders als ebensolche Väter, als Opfer von Umständen beschrieben werden, ist nach neuerer ideologischer Lesart eigentlich als zutiefst sexistisch zu bezeichnen. Aber auch Sexismus kennt ja bekanntlich nur ein Täter- und ein Opfergeschlecht.
Mit ihrem Versuch der Viktimisierung von Täterinnen ist die Sozialpädagogin hier jedoch noch längst nicht am Ende. Denn letztlich hat die Notlage von Frauen in der Regel wer zu verantworten?
Die Frauen sind oft in einer seelischen Zwangslage. Manche sind Opfer sexuellen Missbrauchs. Andere haben Angst davor, wie ihre Umwelt auf die Schwangerschaft reagieren könnte oder werden von ihrem Partner unter Druck gesetzt. (...) Das Umfeld versagt in diesen Fällen doppelt: Zum einen, weil keiner etwas merkt, und zum anderen, weil die Frau niemanden hat, mit dem sie reden kann.
Womit sich dann der Kreis zum üblichen Erklärungsnarrativ schließt: Frauen, selbst wenn sie Kapitalverbrechen begehen, werden zunächst einmal als Opfer äußerer Umstände (soll in der Regel heißen: von Männern) konstruiert. In etlichen Fällen mag dies auch stimmen, als Regelfall macht man es sich damit zu leicht.
So zementieren wohlmeinende Helferinnen wie Eva Sattler letztlich die (Selbst)Wahrnehmung von Frauen als passive Opfer ungünstiger Sozialisationsbedingungen, ohne individuelle Wahlmöglichkeiten und unter der Knute des vermeintlich immer noch allmächtigen Patriarchats. Dies aber ist das glatte Gegenteil einer emanzipatorischen Haltung, in der Frauen frei sind, Entscheidungen zu treffen und befördert damit genau das, was sie vordergründig zu bekämpfen vorgeben.
So zementieren wohlmeinende Helferinnen wie Eva Sattler letztlich die (Selbst)Wahrnehmung von Frauen als passive Opfer ungünstiger Sozialisationsbedingungen, ohne individuelle Wahlmöglichkeiten und unter der Knute des vermeintlich immer noch allmächtigen Patriarchats. Dies aber ist das glatte Gegenteil einer emanzipatorischen Haltung, in der Frauen frei sind, Entscheidungen zu treffen und befördert damit genau das, was sie vordergründig zu bekämpfen vorgeben.
Ich hätte da für eine unbekannt große Teilmenge von Kindstötungen eine Alternativhypothese anzubieten. Etwa ein Viertel aller als dissoziale Persönlichkeit diagnostizierten Menschen sind Frauen. Dissoziale (oder synonym auch: antisoziale) Persönlichkeiten sind gekennzeichnet durch rücksichtsloses Verfolgen eigener Ziele, die Unfähigkeit, sich in das Leiden anderer Menschen hineinzufühlen sowie die Unfähigkeit oder den Unwillen, sich an Regeln, einschließlich staatlicher Gesetze, zu halten. Viele werden folglich straffällig, gehen buchstäblich über Leichen und suchen die Schuld für ihre Taten dann konsistent bei anderen ("Selber schuld, wenn er mir im Wege gestanden hat; jetzt ist er halt tot").
Die Prävalenz (Vorkommenshäufigkeit) dieser Störung liegt, je nach epidemiologischer Studie, zwischen 0,2 und 3% der Bevölkerung. Folglich sind zwischen 0,06 und 1 Prozent aller Frauen betroffen. Und da Frauen nun mal die einzigen sind, die Kinder bekommen können, ergibt sich ein nicht geringer Erwartungswert von Müttern, denen die Kinder einfach nur "im Wege" oder "lästig" sind und für die eine Tötung lediglich eine unter mehreren Möglichkeiten darstellt, das Kind loszuwerden und für die sie sich, je nach situativer Gegebenheit (und dabei zu einem gewissen Grad durchaus kühl abwägend) entscheiden mag.
Wenn, wie in diesem Fall, eine Mutter Parties feiernd ihr Kind tagelang "vergisst" bis es verdurstet ist, gleichzeitig aber herumerzählt, daß der Säugling einen Hirntumor habe und wohl bald sterben werde, dann ist das nicht einer "Überforderung" der jungen Mutter, wie in solchen Fällen gerne empathisch angenommen wird, zuzuschreiben. Vieles spricht dann für Vorsatz. Das Kind hat mutmaßlich genervt, beim Partymachen gestört und sollte halt weg; irgendwie.
Wenn, wie in diesem Fall, eine Mutter Parties feiernd ihr Kind tagelang "vergisst" bis es verdurstet ist, gleichzeitig aber herumerzählt, daß der Säugling einen Hirntumor habe und wohl bald sterben werde, dann ist das nicht einer "Überforderung" der jungen Mutter, wie in solchen Fällen gerne empathisch angenommen wird, zuzuschreiben. Vieles spricht dann für Vorsatz. Das Kind hat mutmaßlich genervt, beim Partymachen gestört und sollte halt weg; irgendwie.
Daß man solche gleichgültig-grausamen Handlungsmotive Frauen -Müttern gar- nicht zutrauen mag, hat vermutlich Gründe, die auch im archetypischen Mutterbild liegen. Die Vorstellung, daß der Mensch, der das Leben geschenkt hat und für Wärme, Nähe und Nahrung steht, sich zur Tötung des eigenen Kindes entscheiden könnte, ist freilich beunruhigend.
Es ist aber eben auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Ideologie, die Frauen gleichsam a priori zu den besseren Menschen erklärt, die zu wirklich bösen Handlungen nicht imstande seien, sofern sie nicht -letztlich von Männern- dazu getrieben werden. Und dem sollte man sich nicht nur aus einer liberalen, die Freiheit und Eigenverantwortung des Menschen betonenden Haltung, sondern auch aus humanwissenschaftlicher Perspektive vehement entgegen stellen.
© Andreas Döding. Für Kommentare bitte hier klicken.