25. Dezember 2013

Triumph deutscher Geheimdiplomatie


Auf der Achse des Guten fragt Dirk Maxeiner:
Warum hat Hans Dietrich Genscher (87) sich angeblich seit Jahren für Michail Chodorkowski eingesetzt?“
und:
Was ist das Motiv von Genscher, sich in diesem diesen Fall zu engagieren, in anderen nicht?“
Obwohl diese Fragen nur Genscher selbst beantworten kann, lohnt es sich darüber nachzudenken. Ob sein Einsatz für Chodorkowski ähnliche Auswirkungen für Putin hat, wie der Einsatz Ströbeles für Snowden, ist durchaus möglich. Vielleicht sogar von Putin gewünscht.
Es gibt in der Tat einige Gründe und Parallelen:
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Beide, Chodorkowski und Snowden sind Flüchtlinge. Sie können nicht mehr zurück in ihre Heimat, wollen sie nicht ins Gefängnis. Chodorkowski, schreibt die „Welt“,
kann nach eigenen Angaben nicht nach Russland zurückkehren, da ihm dort eine gegen ihn verhängte und noch gültige Geldstrafe in Höhe von umgerechnet gut 400 Millionen Euro droht.
Und für Snowden liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Spionage vor.

Das ist aber schon alles was beide Flüchtlinge verbindet. Denn der eine floh aus einem Land und der andere wurde aus seiner Heimat vertrieben. 
Sicher hat dieser Umstand auch bei der Ortswahl für Chodorkowskis erste Pressekonferenz eine Rolle gespielt. Mehr Flüchtlingsthematik als im sehenswerten Mauermuseum am ehemaligen Checkpoint Charlie in Berlin wird in Deutschland nicht geboten.

Die Frage nach dem "Warum" in Bezug auf Genscher, der seit der Nacht der Verkündung genehmigter Ausreisen für tausende Botschaftsflüchtlinge als eine Art Retter gilt, sollte erweitert werden. 
Michail Chodorkowski wird nicht in Deutschland bleiben. Er zieht es vor in der Schweiz zu leben.
Darum frage ich mich: Warum betrieb Deutschland seine Freilassung?

Bei der Enteignung des ehemals reichsten Mannes Russlands hat Deutschland in Person seines damals regierenden Bundeskanzlers, Gerhard Schröder, eine Rolle gespielt.
Von der Zerschlagung Yukos und seiner Zwangsversteigerung profitierte vor allem das in sehr zweifelhaftem Ruf stehende Staatsunternehmen Gasprom. Näheres bei der englischsprachigen Wikipedia.
Nicht nur versuchte Schröder diesem Staatskonzern eine staatliche Bürgschaft für einen Milliardenkredit im „nationalen Interesse“ nach seiner Wahlniederlage aber vor seiner Amtsübergabe zu verschaffen, er wechselte auch direkt zum Tochterunternehmen Nord-Stream-AG, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er bis heute ist.
Nord-Stream betreibt eine Ostseepipeline, deren Wirtschaftlichkeit hinter der der politischen Auswirkungen in den Hintergrund tritt. Mit ihr wurde eine gemeinsame europäische Energiepolitik erschwert, wenn nicht dauerhaft verhindert. Sie stärkt eigentlich nur die Abhängigkeit von einem Lieferanten der nachgewiesenermaßen bereit ist, Lieferabhängigkeiten für politische Einflussnahme auf die Regierungstätigkeit zu nutzen.

Bruce Misamore, ehemaliger Finanzchef von Yukos, zur Zerschlagung des Konzerns auf brand eins:
"Es war ein nach westlichen Buchhaltungsstandards geführter Konzern, wir waren gerade dabei, mehr ausländische Teilhaber ins Boot zu holen, was es noch schwieriger machte, uns zu kontrollieren. Außerdem waren wir sehr erfolgreich, hatten volle Kassen und leisteten einen wichtigen Beitrag zur russischen Wirtschaft. Im Frühjahr 2003 war Jukos 70 Milliarden Dollar wert. Zunächst hat Putin uns unterstützt. Aber dann änderte er seine Meinung und nationalisierte das Unternehmen. So konnte er für andere Unternehmen einen Warnschuss abfeuern."

Was betrieb also Hans-Dietrich Genscher?
Aus meiner Sicht:
Schadensbegrenzung im nationalen Interesse für die beschämende Rolle eines moskauhörigen Bundeskanzlers.

Genscher traf sich zwar lt. RP zweimal (Juni 2012 auf dem Flughafen Tegel und Anfang 2013 in Moskau) mit Putin persönlich, aber auch die Kanzlerin, der deutsche Botschafter in Moskau und der Kremlfreund Alexander Rahr waren involviert.
Letzterer sitzt, wie die RP berichtet, im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs. Ein von Gerhard Schröder und Wladimir Putin gegründetes „bilaterales Diskussionsforum, das zum Ziel hat, die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands zu fördern“ (Wikipedia).
Des weiteren ist er Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, dem zwei Drittel der deutschen DAX-30-Unternehmen angehören.
Alexander Rahr feierte lt. RP
das Ergebnis der Strippenzieherei (…) indes als "Triumph deutscher Geheimdiplomatie". Er beweise, dass Deutschland in Moskau immer noch über Kanäle verfüge, "die Briten oder Amerikaner nicht haben".

Was für ein Triumph, dass ein Unternehmer nach zehn Jahren Lagerhaft endlich durch Intervention des Staates frei kommt, dessen Politiker und Unternehmer von der Zerschlagung seines Unternehmens maßgeblich profitierten.
Und dass dieser Job nicht auch noch von Amerikanern und Briten für Deutschland erledigt werden musste.

Erling Plaethe


© Erling Plaethe. Mit Dank an die "Achse des Guten" und Dirk Maxeiner
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