9. Oktober 2013

"Schockbilder" auf Zigarettenpackungen: Sehet her, wir tun etwas!

Ich erinnere mich noch ganz gut an eine Vorlesung der Sozialpsychologie, es muß Mitte der 90er Jahre gewesen sein, und es war die Zeit der "Keine Macht den Drogen"-Plakate, die damals vielerorts hingen, und der sicherlich nicht billigen Fernsehspots mit Spitzensportlern, die damals liefen. Der Professor meinte spitzzüngig, daß das Gesundheitsministerium auf diese Weise schön zeigen könne, daß man etwas gegen die Gefahren des Drogenkonsumes unternehme, daß das also eine PR-Aktion sei. Denn daß solche Plakataktionen praktisch keine Wirkung bei den Adressaten zeigten, wisse man seit nunmehr 20 Jahren; das wisse man natürlich auch im Ministerium, das die Fördergelder bereitstelle.
Der weitgehende Mißerfolg auch dieser Kampagne ist inzwischen auch im entsprechenden Wikipedia-Artikel dokumentiert.
­Eine ähnliche Erfahrung machten Verhaltenstherapeuten in den 70er Jahren, als sie Rauchern ihr Laster mit Hilfe einer sog. Aversionstherapie, landläufig auch als "Schocktherapie" bekannt geworden, abzugewöhnen versuchten. Verkürzt gesagt führte man Kleingruppen von Rauchern, die ihren Willen zum Aufhören bekundet hatten, auf Onkologiestationen, wo ihnen an Bronchialkarzinom sterbende Patienten vorgestellt oder Filme vorgespielt wurden, in denen die Amputations-OPs von Raucherbeinen gezeigt worden sind und dergleichen mehr. Das röchelnde und sägende Elend schien seine Wirkung zunächst nicht zu verfehlen. Die Raucher gerieten zunächst in erheblichen Streß, zeigten sich ausgesprochen betroffen und verängstigt. Allein: was machen Raucher, wenn sie in Streß geraten und Angst bekommen?  Sie gehen natürlich "erstmal eine rauchen". Und da standen sie nun anschließend, die geschockten Raucher, im Kreise, und verarbeiteten das Gesehene und Gehörte: qualmend und quasselnd. Mit dem Rauchen aufgehört hat schließlich kaum einer. Viel zu groß ist der Erfindungsreichtum von Menschen, Kognitive Dissonanz zu reduzieren. Man denke nur an den Methusalem der Raucherzunft, Helmut Schmidt. Der ist schließlich auch so alt geworden; dann kann ich das auch schaffen...
Heute sind solche Behandlungsverfahren aus unterschiedlichen Gründen zurecht obsolet.

Nun, wenn zwei Methoden, menschliches Verhalten zu beeinflussen, nachweislich unwirksam sind, so mag sich jetzt die Europäische Kommission im Benehmen mit dem Europaparlament gedacht haben, dann hilft vielleicht die Kombination dieser zwei unwirksamen Verfahren, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Zwei Drittel der Zigarettenpackungen müssen fortan mit Bildern geschwärzter Lungen, mit Schwären übersäter Füße oder zungenamputierter Münder bedeckt sein.

Insbesondere junge Menschen sollen so vom Zigarettenkonsum abgehalten oder zum Aufhören bewegt werden. In der Tat rauchen Jugendliche in den letzten zehn Jahren zunehmend weniger, was aber wohl eher auf die immense Verteuerung von Tabakprodukten zurückzuführen sein dürfte und weniger auf Präventionsmaßnahmen, auch wenn das gern behauptet wird.
Vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen dürfte sich die kommende Kampagne kaum bis gar nicht auf das Rauchverhalten Jugendlicher auswirken; möglicherweise sogar im Gegenteil: je mehr Jugendliche sich gegängelt fühlen, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen (Eltern heranwachsender Kinder werden das aus schmerzlicher Erfahrung bestätigen können), desto mehr werden sie tendenziell reaktant und tun eher das Gegenteil. Ist ja irgendwie auch "shocking-cool", so eine Packung.

Aber um all das geht es ja eigentlich gar nicht. Aber worum denn dann? Um auf die anfangs erwähnte Psychologievorlesung zurückzukommen: es geht darum zu zeigen, daß die Brüsseler Institutionen "etwas tun", daß sie "Geld in die Hand nehmen" und daß man kraftvoll handelt, und v. a. handlungsfähig ist,  im vermeintlichen Gesundheitsinteresse der Verbraucher. Und auch das EU-Parlament, das zurecht den Ruf eines zahnlosen Tigers genießt, kann endlich einmal Handlungsfähigkeit demonstrieren, oder richtiger: suggerieren.
Kurz, das ganze ist eine gigantische PR-Aktion Brüsseler Institutionen und Bürokraten in eigener Sache.

Darauf ein Glas, solange man uns noch läßt.

Andreas Döding


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