1. Oktober 2013

Das bürgerliche Lager

Dass die Bundeskanzlerin die FDP auf dem Gewissen hat, ist eine These die einer kritischen Betrachtungsweise nicht standhält. Parteien pflegen keinen partnerschaftlichen Umgang, es sei denn, sie sind wie CDU und CSU Schwesterparteien. Und selbst dann schenken sie sich gegenseitig wenig.

Die Dissonanzen zwischen FDP und Union während ihrer gemeinsamen Regierungstätigkeit sind nichts Ungewöhnliches. Sie stehen in Konkurrenz zueinander und die wird mit einem Koalitionsvertrag nicht beendet oder aufgehoben.
2009 nahm die FDP anscheinend fälschlicherweise an, die CDU hätte in der vorherigen GroKo mit der SPD Schwierigkeiten gehabt, ihr wirtschaftsliberales Profil herauszuarbeiten und freue sich nun, endlich, mit dem Bruder im Geiste als wiedervereintes bürgerliches Lager, das Land konservativ-liberal regieren zu können.
Diese Annahme war grundlegend falsch. Vor allem deshalb, weil der Pragmatikerin Angela Merkel solch ein Lagerdenken viel zu eng gefasst zu sein scheint.
­
Die Kanzlerin hat das bürgerliche Lager spätestens im Wahlkampf 2005 rechts liegen gelassen, als sie unbedingt zu vermeiden suchte, dass konkrete Punkte einer politischen Neuorientierung Einzug in den Wahlkampf hielten.
Stattdessen blieben ihre Aussagen im Ungefähren. Bewahren statt Reformieren. Mit der Agenda 2010 wurden ja bereits Reformen eingeleitet. 
Sie distanzierte sich seinerzeit vom Wirtschaftsrat ihrer Partei, der Kürzungen bei Sozial- und Staatsausgaben forderte um die Nettolöhne zu erhöhen und die Subventionen zu senken. Der forderte damals schon eine große Steuerreform und eine Kehrtwende in der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik wie z.B. betriebliche Beschäftigungsbündnisse ohne Vetorecht der Gewerkschaften und eine Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen.
Der Wirtschaftsrat der CDU sprach sich auch für eine Beibehaltung der Nutzung der Kernenergie und eine Befristung der Anschubfinanzierung für erneuerbare Energien aus, um eine Übersubventionierung zu vermeiden.

All diese Punkte wurden von den meisten Wählern als dem bürgerlichen Lager zugeordnet, angesehen. Heutzutage ist es undenkbar solche Ideen von Mitgliedern irgendeiner Partei zu vernehmen. 
Die Bundeskanzlerin war schon 2005 nicht mehr der Ansicht, mit diesen Aussagen auch Wahlen gewinnen zu können. Auch wenn sie zwei Jahre zuvor, auf dem Leipziger Parteitag 2003, noch so klang:
Liebe Freunde, die Versäumnisse sind hinlänglich bekannt. Deutschland ist in der Bildung zurückgefallen. Bei der Forschung wird gekürzt, die Bürokratie nicht abgebaut, der Arbeitsmarkt ist nicht flexibilisiert, das Steuersystem nicht vereinfacht, die Wachstums-Barrieren für die Wirtschaft sind nicht beiseite geräumt.

Angela Merkels Abkehr von ihrer Rede geschah nicht während der GroKo von 2005-2009, sondern schon davor. Ihr knapper Wahlsieg und die linke Mehrheit im Bundestag waren der Beginn eines beispiellosen Linksrutsches der Union. Und damit die Beendigung, ja Aufkündigung des bürgerlichen Lagers in Deutschland. In der darauffolgenden Koalition mit der FDP bekam diese zu spüren wie ernst es Angela Merkel mit ihrer Wendung meinte.

Kein CDU-Wirtschaftsrat hatte noch die Macht der FDP bei ihrem Wiederbelebungsversuch dessen, was noch auf dem CDU-Parteitag 2003 galt, zu helfen. Vielleicht war nicht einmal der Wille vorhanden. Der Sozialflügel in der Union ist einfach mächtiger und Angela Merkel hat getan, was für ihren Machterhalt innerhalb der Union hilfreich war. Sie orientierte sich am mächtigsten Flügel.
Genau das hat sie dann auf Deutschland übertragen. Keine Lager, Harmonie im Konsens und ein Staat der den Bürgern die Verantwortung abnimmt, welche die Mehrheit mit ihrem Ruf nach ihm gar nicht mehr übernehmen will.

Wer aus dieser Konsens-Republik ausschert und die Sozial-, Energie- und Europaromantik in Frage stellt, muss mit Diffamierungen rechnen, auch schon mal aus einem Bundesamt heraus.

Die FDP ist diesen Weg mitgegangen. So lange, bis sie sich überflüssig gemacht hat. Wenn sie jemals wieder eine Rolle spielen möchte, sollte sie sich in Erinnerung rufen, dass sie mal für ein bürgerliches Programm ein zweistelliges Ergebnis erzielte. Die Umsetzung eines solchen Programms kann nicht mitfühlend sein in einem parteipolitisch sozialistisch/sozialdemokratischen Klima.

Aber auch das Lager der dem politisch linken Spektrum zuzurechnenden Parteien kann sich kaum noch von der Union abgrenzen. Aktuell wird bei den Grünen über eine stärkere Hinwendung zur Wirtschaft und marktwirtschaftlichen Themen nachgedacht. Man macht sich schick für die Schwarzen. Das dies im Bund möglich ist, dürfte ein Indiz für das Ende des sogenannten linken Lagers sein. 

Die Union ist am 22. September 2013 knapp an einer absoluten Mehrheit vorbei geschrammt. Sie besaß und besitzt als einzige Fraktion im Bundestag die Chance auf solch eine Option. Das verändert die Sicht auf alle anderen Parteien. Ein bürgerliches Lager braucht die Union nicht mehr. Sie ist das Universallager - sozialdemokratisch, auch ein wenig konservativ, grün und liberal. Aber vor allem aufnahmebereit für alles, was in der öffentlichen Meinung und noch mehr in veröffentlichten, Bedeutung erlangt.
Sollte die AfD ihre Stärke ausbauen, werden auch ihre Ideen irgendwie in der CDU eine Heimat finden. Europapolitisch hat Angela Merkel die Weichen dafür schon gestellt mit ihrer Annäherung an den britischen Premierminister Cameron. 

Es ist die Union, die sich ihre Partner auswählt. Das ist der vielzitierte Pragmatismus der Kanzlerin. Und der ist flexibel genug um einen Partner zu finden. Auch die Kriterien müssen nicht unbedingt auf der thematischen Ebene liegen 
Was die Kanzlerin beeindruckt, sind die Mittel wie Politik gemacht wird (Zitat: Die Welt)
Im Wahlkampf 2009 blies der damalige Umweltminister nämlich eine kleine Panne im AKW Krümmel zum Riesenproblem auf. "Aus einem kaputten Traffo hätte der fast einen nationalen Notstand fabriziert - der kann Wahlkampf", äußerte sich Merkel noch vor Kurzem anerkennend.
Oder aus einem kaputten Kernkraftwerk am anderen Ende der Welt einen Notstand für Deutschland zu fabrizieren um die Energiewirtschaft der staatlichen Lenkung unterzuordnen.
In Deutschland hat die Bürokratie das politische Spektrum abgelöst. Dort liegt die Heimat des deutschen Pragmatismus.

Zum Abschluss noch ein Zitat der Kanzlerin aus ihrer Parteitagsrede 2003:
Wann endlich lernt die SPD, dass der Weg zu mehr Staat immer ein Weg zu weniger Wachstum und weniger Arbeit ist? 


Erling Plaethe


© Erling Plaethe. Für Kommentare bitte hier klicken.