Erling Plaethe hat gestern in diesem Blog einen Beitrag über
das Phänomen Angela Merkel veröffentlicht. Darin spricht er unter anderem das
Streben der Kanzlerin nach einer Art Allzuständigkeit für das Leben der Bürger
an.
Der Terminus „Kompetenz“ war – und ist im juristischen Jargon immer noch – ein Synonym der Vokabel „Zuständigkeit“: So liegt in Deutschland die Kompetenz für das Schulwesen bei den Bundesländern, so haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesem in Brüssel gestrandeten Wa(h)lfisch etliche Kompetenzen übertragen. Ob damit auch der – so die landläufige Bedeutung des Fremdwortes – nötige Sachverstand einhergeht, mag freilich nicht nur von ironiegeneigten Zeitgenossen bezweifelt werden.
Nun kann man wohl davon ausgehen, dass Frau Merkel immer
mehr Zuständigkeiten beansprucht, weil sie sich selbst mehr Sachverstand zur
Lösung der einschlägigen Probleme zutraut als der Gesellschaft oder dem
einzelnen Bürger. Und die Gesellschaft ebenso wie viele einzelne Bürger
scheinen der Kanzlerin in dieser Einschätzung zu folgen: Zwar mögen am Horizont
tiefschwarze Gewitterwolken namens Euro-Schuldenkrise, demographischer Wandel oder
Energiewende dräuen, aber die
Kapitänin hat das Staatsschiff in den letzten acht Jahren durch so manchen
Sturm und um zahlreiche Klippen herum gelenkt. Die Stille des Meeres mag zwar
nur eine halkyonische sein, doch solange die Fregatte auf Kurs segelt und der
Proviant ausreicht, ist eine Meuterei wenig ratsam. Zumal die mutmaßlichen Rädelsführer der Revolte bereits als Leichtmatrosen ausgemacht sind oder sich noch nicht hinreichend
bewährt haben.
Um den Ozean zu verlassen und wieder festen Boden unter die
Füße zu bekommen: Angela Merkel hatte auch deshalb leichtes Spiel, weil die
wirklich drängenden Probleme dieses Landes im Wahlkampf kaum thematisiert
worden sind. Freilich, insbesondere die Alternative für Deutschland (AfD) ist aus diesem
Kartell des Schweigens ausgebrochen, aber eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit ihrem Programm hat ja gerade nicht stattgefunden: Es ging doch nicht darum,
ob bzw. wo die neue Partei recht hat, sondern ob bzw. wo sie rechts ist. Wenn die Positionen der politischen Neulinge so falsch und schädlich sind, mag sich der verwunderte Beobachter fragen, warum hat man dann nicht das (gemäß dieser Annahme leicht zu gewinnende) argumentative Duell gesucht, sondern dem Gegner ohne viel Federlesens die Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen? Die
Kanzlerin und auch ihre Adlaten mussten sich dabei nicht einmal die Hände und das Gewissen
schmutzig machen, übernahmen doch Politiker aus dem linken Spektrum und
Repräsentanten der Medien nur zu gern die Rolle des Hirtenbuben, der vor dem Wolf warnt.
Das von SPD, Grünen und Linken beschworene Szenario eines
zutiefst gespaltenen Landes mit schreiender sozialer Ungerechtigkeit war unschwer
als billiges Ablenkungsmanöver zu erkennen. Freilich konnten insbesondere die
SPD und die Grünen, die hinsichtlich aller wirklich drängenden Agenden mit
beiden Armen im Mus-Topf des Einheitsbreis stecken, aufgrund dieser Zwangslage
nicht mit Steinen oder Schlamm werfen. Es war eine Kampagne im Stile des
Schattenboxens mit einem Herausforderer, dessen Schläge – wenn überhaupt – nur
das eigene Kinn trafen.
Sobald Probleme schier unlösbar erscheinen, wünscht sich auch
der erwachsene Mensch in die Zeit seiner Kindheit zurück, in der es einen Papa
und/oder eine Mutti gab, der/die es schon richten würde(n). In unserer zur
Infantilisierung neigenden Gesellschaft ist dieses Bedürfnis zweifellos stärker
ausgeprägt als in Gemeinschaften, die keine Tradition des aufgeklärten
Absolutismus, sondern eine lange kollektive Übung des Individualismus und der
Eigenverantwortung aufzuweisen haben.
Man wird Merkel verzeihen, dass sie schon jetzt, da die
Leichname der Wahlversprechen noch nicht einmal erkaltet sind, dem zukünftigen
Koalitionspartner die Morgengabe der Steuererhöhung in Aussicht stellt. Doch
ebenso sicher wird es in naher Zukunft zu einer pubertären Trotzreaktion gegen
die mütterliche Fürsorge kommen – vielleicht auch erst in ziemlich genau vier
Jahren.
Noricus
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