17. August 2013

Das Paradoxon der Ägyptischen Revolution


Ägypten ist eine Militärdiktatur. Früher sahen die demokratisch gesinnten Bürger das als Problem an, heutzutage als Lösung.
Die Ursache dieses eigenartigen Wandels scheint in der mangelhaften Fähigkeit zu liegen, sich selbst zu organisieren, was den islamistischen Gruppierungen im Land, wie Muslimbrüder und al-Nur-Partei, ganz gut gelingt.
Deshalb hatten die Islamisten auch die Wahl nach der Revolution gewonnen.
Mohammed Mursi wurde zum Präsidenten Ägyptens gewählt und betrieb eine Politik im Sinne der Muslimbrüder, deren Freiheits- und Gerechtigkeitspartei er im Wahlkampf vorsaß und die auch die Wahlen überlegen gewonnen hatte. Lediglich die von Saudiarabien unterstützte al-Nur-Partei konnte ein achtbares Ergebnis erzielen. Der Rest, darunter auch die Demokraten, blieben unter zehn Prozent.

Was nun in Ägypten geschah ist recht außergewöhnlich:
­
Genau die politischen Kräfte, welche sich gegen die Militärdiktatur wandten und eine Revolution begannen, riefen diese Militärdiktatur um Hilfe, nachdem sie die Wahl verloren hatten und sahen, dass Mursi vor allem ein Präsident der Muslimbrüder war. 

Und, was erschwerend hinzukommt, dass Mursi dringend nötige wirtschaftliche Reformen durchsetzen wollte, wie die von der, durch die Revolution gestürzte, Regierung Ahmad Nazif in Angriff genommenen. Letztlich aber daran scheiterte. Zum Beispiel bei der Privatisierung von Staatsfirmen. Eine Kampagne gegen Privatisierungen sammelte bis September 2011 100.000 Unterschriften.
Allerdings war Mursi auch mehr damit beschäftigt Muslimbrüder in wichtige Positionen zu hieven und die Freiheit der Gewerkschaften einzuschränken. 
Diese Politik verstärkte die ohnehin vorhandene Streikbereitschaft bei den Arbeitern aufgrund der niedrigen Löhne. Was die Wirtschaftskrise zusätzlich verstärkte.

Das alles sagt viel über die Fähigkeit Ägyptens aus, demokratische Strukturen zu etablieren.
Noch mehr als das, sagt es aber auch etwas über die Reformfähigkeit der Gesellschaft insgesamt aus. Wirtschaftliche Reformen scheinen undurchführbar zu sein. Ihr Scheitern geht konform mit einer Staatsgläubigkeit, die in der Heroisierung des Militärs zum Ausdruck kommt. 
Diese wiederum gipfelt nun in der unbedingten Unterstützung des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Muslimbrüder, egal wie mörderisch dies auch sein mag
Genau die Sicherheitskräfte, welche während der Revolution bekämpft und gehasst wurden für ihre Brutalität.

Die Muslimbrüder zeigen einmal mehr ihre organisatorischen Stärken in Protestcamps aber auch bewaffnet, in dem sie ihre Mitmenschen terrorisieren und sich Strassenkämpfe mit den Sicherheitskräften liefern. Bei der Auflösung eines solchen Camps kamen am Mittwoch über 600 Menschen ums Leben, vor allem auf Seiten der Muslimbrüder. Nicht wenige bezeichneten dies als Massaker und wandten sich mit Entsetzen ab. Mohamed ElBaradei trat darauf als Vizepräsident zurück. In diesem Zusammenhang gab auch der Sprecher der liberalen National Salvation Front, Khaled Dawoud sein Amt auf. Wegen "inakzeptabler Angriffe" auf ElBaradei.

Dieser Bürgerkrieg in Ägypten wird die akute Wirtschaftskrise noch verschärfen.
Die westlichen Länder warnen bereits ihre Bürger vor Reisen in das Land und Touristikunternehmen stornieren Reisen nach Ägypten.   

Auf der Agenda der Revolution standen demokratische Freiheiten. Aber eine Demokratisierung der Gesellschaft löst nicht ein einziges wirtschaftliches Problem. Um überhaupt politische Freiheit auf Dauer etablieren zu können, ist die Gewährung wirtschaftlicher Freiheit unumgänglich. 
Eigentlich zeigt das Beispiel Ägypten wie sehr Marktwirtschaft (Kapitalismus) und Demokratie miteinander verbunden sind. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. 

Die tiefere Ursache für die entfesselte Gewalt besteht daher im wirtschaftlichen Reformdruck, welcher auf diesem Land lastet. Sie liegt im Scheitern der planwirtschaftlichen Subventionswirtschaft mit der das Militär seit jeher seine wirtschaftliche Macht abzusichern sucht. Dafür ist ihm jedes Mittel recht. Ob mit Muslimbrüdern oder zukünftig vielleicht mit Salafisten; sie kooperieren mit jeder Gruppe die ihre wirtschaftliche Macht nicht in Frage stellt. 
Und mit der dringend benötigtes Auslandskapital gewonnen werden kann.  

Was dem Land fehlt, ist wirtschaftliche Freiheit und keine Revolution. Nur mit ihr gibt es einen eigenständigen Weg aus der wirtschaftlichen Krise der die Vorraussetzung für einen Weg aus der politischen Krise ist. 
Wird dieser Weg nicht gefunden, verarmt das Land immer weiter. 
Erling Plaethe


© Erling Plaethe. Für Kommentare bitte hier klicken.