4. Juli 2013

Haspinger 2.0

Beim Tiroler Freiheitskampf von 1809 konnte sich Andreas Hofer auf die Motivation seiner Mitkämpfer verlassen. Denn die neue Regierung in München war verhaßt: Sie wollte Steuern erheben, sie wollte Wehrpflichtige rekrutieren - und vor allem war sie neu und von auswärts, das kam nicht gut an bei den Tirolern.
Neben dem Freiheitshelden gab es noch eine andere, weniger vorbildliche Führungsfigur des Aufstands: Pater Joachim Haspinger, der fanatische "Pater Rotbart". Ihn störte vor allem eine andere Maßnahme der neuen bayrischen Regierung: Die Einführung der Impfpflicht gegen Pocken. Denn diese grausame Krankheit forderte zwar jährlich viele Tote, aber das galt dem reaktionären Kleriker als natürlich und gottgewollt und dagegen dürfe man nicht mit Wissenschaft vorgehen.

Diese Diskussion ist eigentlich Geschichte. In allen zivilisierten Ländern hat sich die Impfpflicht gegen die wichtigsten Ansteckungskrankheiten durchgesetzt. Obwohl in seltenen Einzelfällen natürlich immer auch einmal Komplikationen auftreten können - der Erfolg der Impfung ist wohl der größte medizinische Durchbruch überhaupt. Nicht nur die Pocken wurden ausgerottet, auch Dyphterie, Masern, Polio oder Windpocken gibt es fast nicht mehr.

Fast. Denn mit dem Rückgang der direkten Verbreitung und damit sichtbaren Gefährdung glauben zunehmend Menschen, sie könnten auf Impfungen verzichten. Die Wikipedia schreibt dazu: " Impfkritische Haltungen sind in der Regel durch fundamentalistisch-religiöse, alternativmedizinische, anthroposophische oder esoterische Ansichten motiviert."
Wobei es heute nicht mehr die Hinterwäldler in abgelegenen Alpentälern sind, die den modernen Aberglauben hochhalten, sondern meist Großstadtbewohner, oft sogar mit Hochschulbildung.
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Das führt inzwischen sogar dazu, daß die schon fast ausgerotteten Masern wieder auf dem Vormarsch sind. Wegen nachlassender Impfbereitschaft steigen die Fallzahlen wieder an, konsequenterweise überlegt Bundesgesundheitsminister Bahr, eine Impfpflicht einzuführen.

Und schon kommen die modernen Haspingers wieder zum Vorschein und machen auf Freiheitskämpfer. Prototypisch der Kommentar einer konservativen Bloggerin: "Bin ich richtig informiert: ein (noch dazu liberaler) Minister denkt darüber nach, die Menschen in unserem Land zu verpflichten, sich gewisse chemische Substanzen in ihren Körper spritzen zu lassen? Auch gegen den erklärten Willen? Das ist eine Zeitungsente, oder?". Die sich an solche Statements anschließenden Diskussionen lassen einen durchaus daran zweifeln, ob wir die Aufklärung wirklich schon durchgeführt haben ...

Natürlich ist die Impfpflicht ein Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers. Und sie wäre nicht gerechtfertigt wenn es nur darum ginge, daß der Betreffende selber sein Krankheitsrisiko erhöht. Der hätte dann, wie vom Kollegen Llarian kürzlich dargestellt, das "Recht auf Dummheit".

Aber der Impfverweigerer gefährdet eben nicht nur sich selber, sondern auch Andere. Wenn er eine Weiterverbreitung der Infektion ermöglicht, sind Leute in Gefahr, bei denen aus verschiedenen Gründen der Impfschutz noch nicht oder nicht mehr besteht. Denn selbst bei erfolgreicher Impfung gibt es immer Menschen, bei denen der Schutz nicht funktioniert - diese sind darauf angewiesen, daß die restliche Bevölkerung so "durchgeimpft" ist, daß keine Erreger bei ihnen ankommen können.

Das gilt besonders eben bei Masern: Kinder können erst ab einem gewissen Alter geimpft werden - bis dahin sind sie völlig schutzlos gegen Masern-Infektionen. Wenn zu viele Eltern auf eine Impfung verzichten (wie in einigen esoterisch angehauchten Gebieten der Schweiz üblich), dann ist das eine geradezu kriminelle Gefährdung gerade der kleinen Kinder.

Die Freiheit des Einzelnen hört da auf, wo die des Anderen anfängt. Der Schutz vor einer tödlichen Krankheit ist dabei höher zu bewerten als die minimalen Komplikationsrisiken einer Impfung. Es ist daher absolut liberal, notfalls auch eine Impfpflicht einzuführen. Und es ist finster reaktionär, das zu bekämpfen.

R.A.

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