7. Mai 2013

Grenzen des Wachstums - über den Saatgutstreit in der EU


Ich habe das Privileg, ein kleines Reihenhäuschen zu besitzen. Im Vorgarten steht eine Kirsche, im Garten ein Apfelbaum und eine Felsenbirne. Außerdem besitze ich Tomaten, Erdbeeren und manchmal Salat. Diese Nutzpflanzen stammen alle entweder von Züchtern (Gärtnereien) oder von Samenhändlern. Damit bin ich schon mittendrin. Im Saatgutstreit. Manche würden sagen: SaatgutkriegOb nun Streit oder Krieg: die Emotionen schlagen hoch und es geht um viel Geld. 
Saatgut: das ist zunächst mal im weitesten Sinn alles, woraus man die nächste Generation der Produkte erzeugt, die später in unserem Mund landen. Ups, Stop: Produkte. Was war das für ein böses Wort? Geht es nicht um Lebewesen, um das Leben selbst, um das Natürlichste überhaupt? Lebensmittel? Steckt das Wort "Leben" doch schon drin. Ist es nicht bereits ein Fehlschritt, diesen Bereich so kommerzialisieren zu wollen, dass man statt von "Lebensmitteln" von "Produkten" spricht? Um eins bereits vorweg zu nehmen: die Antwort wird nicht leicht. Weder für die Befürworter der... äh, jetzt wollte ich irgendwas mit "Seite" schreiben so was wie "liberal-marktwirtschaftliche Seite gegen...". Dann merke ich, dass ich nicht mal in der Lage bin, Namen für die beiden verfeindeten Lager zu finden. Also halten wir fest: es wird nicht einfach. 
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Der aktuelle Anlass des Streits ist die Neuordnung von etwas, was in der medialen Öffentlichkeit "EU-Saatgutverordnung" genannt wird. Es ist bezeichnend für den Stand der Diskussion, dass ich über 20 Minuten gebraucht um herauszufinden, wie das wirklich heisst und welcher Wortlaut bisher bekannt ist: 
Dieser Entwurf von 2011 ist inzwischen überarbeitet worden, aber der aktuelle Stand ist nicht verfügbar. Er soll aber am 6. Mai vorgestellt werden. Ich stelle fest: die Informationspolitik der EU-Behörden ist restriktiv. Es gibt eine ganze Reihe von Beteiligten; aber die EU-Öffentlichkeit kann sich weitgehend nur mit Endfassungen beschäftigen (die Endfassung kann dabei auch die Endfassung eines Zwischenergebnisses sein). Ob das hier der aktuelle Entwurf ist oder nur ein Hoax? Schwer zu sagen. Ich finde das enttäuschend, denn beispielsweise beim deutschen Bundestag kennt man das anders. Da wird so ziemlich das gesamte Material einschließlich Änderungsanträgen, Stellungnahmen und so weiter veröffentlicht. 
Bisher gibt es von der EU nur Richtlinien, zum Beispiel die Richtlinie 2002/55/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über den Verkehr mit Gemüsesaatgut. Eine "Richtlinie" hat keine unmittelbare normative Kraft für die Staaten innerhalb der EU. Wird der oben genannte Entwurf genehmigt, dann könnte das dazu führen, dass die bisherigen Richtlinien durch eine Verordnung ersetzt werden (deren Name noch nicht feststeht). Eine solche Verordnung hätte sofort normative Kraft auch ohne Bestätigung durch die nationalen Parlamente. 

In Deutschland gibt es bisher ein nationales Gesetz und nationale Verordnung sowie Richtlinien. Diese orientieren sich natürlich an den existierenden EU-Richtlinien. Aber letztlich gelten unsere nationalen Vorschriften

  • Saatgutverkehrsgesetz (32 S.)
  • Saatgutverordnung (47 S.)
  • Pflanzkartoffelverordnung (15 S.) 
  • Rebenpflanzgutverordnung (12 S.)
  • Erhaltungssortenverordnung (6 S.)
  • Erhaltungsmischungsverordnung (7 S.)
  • Sortenschutzgesetz (21 S.)
  • EG-Sortenschutzverordnung (30 S.)
  • Verordnung über Verfahren vor dem Bundessortenamt (Gebührenverzeichnis) (13 S.)
Macht 183 Seiten Gesetze und Verordnung. Dazu kommt noch die beschreibende Sortenliste sowie Rechtsakte des Bundesverfassungsgerichts und Richtlinien nachrangiger Behörden. Uff. Schon jetzt merkt man: wer sich professionell oder gewerblich mit Saatgut beschäftigen will, der muss das in Vollzeit tun. Es ist ein komplexes Thema, in dem nur Profis überleben. Sehen wir uns die "Profi-Seite" mal genauer an. 
Die Profi-Seite: das sind zunächst mal diejenigen, die Profit erwirtschaften wollen. Profit mit dem Verkauf von Saatgut. Das ist nichts schlimmes. Doch womit genau wird der Profit erwirtschaftet, wenn es doch Äpfel und Kartoffeln schon seit Jahrhunderten gibt und im Prinzip jeder in der Lage ist, sich sein Saatgut selbst zu züchten? Ich verweise hier auf einen pfiffigen Beitrag von Ranga Yogeshwar als die neuen Joghurts mit "lebenden Kulturen" aufkamen. "Liebe Zuschauer", sagt er damals, "wenn das wirklich lebende Kulturen sind, dann brauchen sie dafür so viel Geld nicht zu bezahlen. Nehmen Sie Milch und stellen sie sich den Joghurt selber her, in dem sie ein wenig vom gekauften Joghurt einmischen." Und so geht das mit allem, was lebt.
Beschränken sich die Gärtnereien und Samenhändler auf Dienstleistung ("Wir übernehmen für sie die anstrengende Arbeit der Saatgutbereitsstellung") oder ist da mehr? Wo wird aus der Dienstleistung ein Produkt? Der Unterschied von der Dienstleistung zum Produkt entsteht, wenn Firmen Saatgut weiterentwickeln und ein Saatgut entsteht, das sich vom Vorläufer unterscheidet. Solche Weiterentwicklung bestand früher in der Auswahl und Kreuzung von Organismen ("Züchtung"). Aus diesen Kreuzungen entstanden Hybriden, die bestimmte Vorteile, aber auch bestimmte Nachteile in sich vereinen. Der Aufwand für die Züchtung ist enorm und geht in die Millionen. Damit Firmen diesen Aufwand auf sich nehmen, gibt es eine Art "Patent" auf solche Züchtungen. Die Durchsetzung eines solchen "Sortenpatents" (genannt: Erzeugergarantie beim Sortenschutz) steht und fällt damit, dass man 
Da es kostspielig und kompliziert ist, eine neue Sorte anzubieten, ist es nicht verwunderlich, dass der Markt für neue Sorten stark zentralisiert ist (Oligopol). Die drei größten Anbieter Monsanto, Dupont und Syngenta repräsentieren etwa 50% des Saatgutmarktes (gemessen in Umsatz; nicht in Anzahl der Sorten). Die zehn größten Anbieter repräsentieren etwa 75% des Marktes. Auch das ist noch kein Grund zur Sorge. Diese Zentralisierung geht zurück auf Jahrzehnte, in denen der Verbraucher immer wieder mal die eine und mal die andere Sorte vorgezogen hat.  Bei mir um die Ecke liegen die Gärten von Schmitz-Hübsch, einem weltberühmten Obstbau-Pionier. Ich kaufe meine Äpfel nur dort; aber nicht mehr die Sorten, die ich noch vor 35 Jahren gekauft habe. Statt dessen esse ich jetzt Jonagold oder Topaz. Alles neue Sorten, für die ich im Prinzip auch einen kleinen Anteil Patentgebühr bezahle. Niemand zwingt mich dazu. Es ist meine Entscheidung. Auch andere Märkte sind zentralisiert, zum Beispiel der Automarkt oder die Telekommunikation.
Schade wäre es natürlich, wenn eine Sorte vom Markt verschwinden würde, die ich mag. Aber auch so etwas geschieht immer wieder mal: für mich allein lohnt sich eben nicht, eine ganze Produktlinie aufzubauen. Wenn ich nicht genügend Mitkonsumenten habe, dann habe ich eben Pech. Meine geliebten Chio-Chips mit grünem Pfeffer sind auch nicht mehr zu haben. PP. Persönliches Pech.
Außerdem gab es eine paar Schutzklauseln, mit denen die unangenehmen Seiten einer Zentralisierung im Saatgutmarkt abgeschwächt werden sollten. Wichtigste Schutzklausel ist das Landwirteprivileg (Nachzucht zum eigenen Bedarf). 

Das soll zunächst genügen für die Profi-Seite. Was ist mit dem nicht-kommerziellen Anbau von Lebensmitteln? Hier gilt: der nicht-kommerzielle Anbau von Lebensmitteln zum persönlichen Bedarf fällt nicht unter die Regelungsreichweite. Auf Deutsch: für meinen persönlichen Verzehr kann ich anbauen und züchten, was ich will - und sei es auch eine Kreuzung von Knollenblätterpilz und Monsanto-Kartoffel. Das war schon immer so und soll auch so bleiben. Allerdings darf ich die Lebensmittel nicht "in Verkehr bringen" und das ist schon dann der Fall, wenn ich sie auf einem Schulbasar verkaufe. Vermutlich dürfte man solche selbst angebauten Lebensmittel nicht mal auf einem Schulfest verschenken (da die Konsumentengruppe nicht persönlich abgrenzbar ist). Bei einem Familienfest dagegen dürfte ich meine Verwandten nach Belieben mit meinen Selbstverwirklichungsversuchen traktieren.

Gut, bis jetzt haben wir nur die "neuen Sorten" betrachtet. Aber es gibt doch auch Lebensmittelsorten, die seid Jahrhunderten unverändert sind? Auf die kann doch niemand mehr Eigentumsrechte anmelden? Völlig richtig. Die "alten Sorten" sind grundsätzlich frei nutzbar. Und genau hier fängt der "Saatgutstreit" an. 
Weiter oben habe ich erläutert, dass die umlaufenden Sorten überwacht werden müssen, um zu verhindern, dass jemand illegal meine Sorten nutzt. Wenn also jemand behauptet, er würde lediglich "alte Sorten" verwenden und vertreiben, dann müsste man trotzdem kontrollieren, ob das der Wahrheit entspricht. Im Maximalfall müssten dazu die "alten Sorten" in irgendeiner Weise klassifiziert sein. Auf der anderen Seite sind auch die alten Sorten lebendige Organismen und als solche einer steten Veränderung unterworfen. Würde sich eine alte Sorte ganz natürlich verändern, dann würde sie aus dem Schutzbereich der alten Sorten rausfallen. Die bisherige Regelung war im Schutzbereich der alten Sorten sehr kulant. Die Verwaltungsanforderungen sind gering und die Nutzung ist weitgehend erlaubt. 
Dieser Schutzbereich würde in der geplanten EU-Verordnung weitgehend eingeschränkt. Dabei geht es nicht um die Hobbygärtner mit Lebensmitteln zum eigenen Gebrauch. Die fallen nicht unter die Regelungsreichweite, wie ich oben schon erwähnte. Sondern es geht um Mittelständler, Vereine und Verbände, die auf der Basis alter Sorten Saatgut anbauen und in Verkehr bringen. In Verkehr bringen: diese Formulierung wird es noch weiter beschäftigen. In Verkehr bringen heißt nämlich nicht nur, etwas zu verkaufen. In Verkehr bringen heißt auch schon, mein Angebot einer Gruppe zur Verfügung zu stellen, zu denen ich keine persönliche Beziehung habe (Familie, Freunde). 
Warum sollte jede Form des in-Verkehr-bringens reguliert sein und nicht nur die gewerbliche Nutzung der alten Sorten? Die offizielle Sprachregelung der EU lautet, das würde man aus Verbraucherschutzgründen tun. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass es um Wettbewerbsrecht geht. Machen wir uns nichts vor: die großen Saatgutproduzenten würden die Sektkorken knallen lassen, wenn sie die etwa 1500 eingetragenen alten Sorten verschwinden lassen könnten. Nur ein "toter" Konkurrent ist ein guter Konkurrent und wenn jemand Saatgut geschenkt bekommt, dann kauft er nichts mehr. 

Das sind die geplanten Änderungen:
  • Es wird nicht mehr nur der Verkauf erfasst, sondern alle Formen, Saatgut in den Verkehr zu bringen.
  • Deswegen sollen alte Sorten nicht mehr nur bei Verkaufsabsicht registriert und klassifiziert werden, sondern immer.
  • Veränderte alte Sorten werden weitgehend den gleichen Vorschriften unterworfen wie alle sonstigen neuen Sorten. Die Art und Weise der Veränderung spielt keine Rolle mehr. Ob durch natürlich Kreuzbestäubung, durch manuelle Bestäubung, die Züchtung vom Hybriden, pfropfen oder Gentechnik: alles wumpe. Neu ist neu.
  • Schon bisher gab es extrem restriktive Vorschriften zur gewerblichen Nutzung alter Sorten. Es gab Höchstmengenbegrenzungen für den Handel mit altem Saatgut und es gab Vorschriften für die Anbaugebiete der alten Sorten. Im Kern bedeutete es, dass eine alte Sorte nur dann anerkannt wurde, wenn sie lokal gebunden war. Diese Restriktionen wurde nur deswegen nicht als so drückend empfunden, weil der nicht-gewerbliche Austausch erlaubt oder zumindest geduldet war. In Zukunft würden die Restriktionen aber alle Formen des "in Verkehr bringens" erfassen.
  • Es könnte sein, dass die Richtlinie der "bestmöglichen Produktion" in die EU-Verordnung gelangt. Die "bestmögliche Produktion" ist ein zusätzlicher Beurteilungsfaktor bei der Beurteilung von Sorten. Dabei hat eine Steigerung der Produktivität (also der Ausbeute) positiven Einfluss auf die Zulassung einer Sorte. Potentiell bedenklich ist hier auch, dass der "Verbraucherschutz" genannt wird. "Potentiell schädliches Saatgut" soll in der Verbreitung unterbunden werden. Unter dem Deckmantel des "Verbraucherschutzes" habe ich schon manchen Unsinn erlebt.
  • Die Ausnahmeregelungen wie zum Beispiel das Landwirteprivileg entfallen möglicherweise.
Jede einzelne Änderung könnte seitenlang kommentiert werden. Ich versuche es kurz zu machen. Grundsätzlich gibt es verschiedene Motive der Gegner gegen die mögliche neue Saatgut-VO. 

Eines der Motive ist der Kampf gegen die Zentralisierung. Rein sachlich gibt es keinen Grund, warum eine aus einer alten Sorte weitergezüchtete neue Sorte anders behandelt werden sollte als eine neue Sorte aus den Labors von Monsanto. Manche postulieren eine quasi-ethische Bedeutung: so wie manche Kunden Lieferverträge für "Strom aus Windkraft" abschließen, so behaupten manche Kunden, dass neue Sorten von Kokopelli irgendwie Gaia-mäßiger wären als die neuen Sorten aus den Monsanto-Laboren. Ich kann das nicht beurteilen; vielleicht gibt es wirklich Unterschiede bei der ökologischen Bewertung der neuen Sorten. Faktisch waren die bisherigen Regelungen jedenfalls eine Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten der Großkonzerne. 
Allerdings scheint diese Wettbewerbsverzerrung keine all zu große Bedeutung gehabt zu haben, denn die Zentralisierung hat in den letzten 40 Jahren deutlich zugenommen. In so weit kann man unterschiedlicher Meinung sein, ob die Beseitigung dieser Wettbewerbsverzerrung vordringlich ist. 

Ein weiteres Motiv ist die Erhaltung alter Sorten. Beispielhaft sei hier der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e. V. genannt, mit einer lesenswerten PresseerklärungDabei steht nicht die Gewinnerzielung im Vordergrund, sondern eher Kostendeckung. Denkbar wäre, einen Saatgut-Tresor zu bauen, so wie es für wichtige Pflanzenarten im ewigen Eis geschehen ist. Aber es geht ja eher darum, die alten Sorten lebendig zu halten und die tatsächliche Vielfalt der Natur zu erhalten. Und bei diesem Motiv ist es nicht nachvollziehbar, wieso die Verbreitung der alten Sorten künstlich gering gehalten werden soll. Wie werden die Höchstmengenbeschränkungen für die in Verkehrbringung alter Sorten begründet? Wie der Zwang zum lokalen Anbau ("Anbau nur in Traditionsgebieten")? Wie würde begründet werden, dass die neue EU-Verordnung bei Erhalt alter Sorten sogar Vorschriften zur Größe und Etikettierung der Saatgutpackungen machen würde? Warum muss es für die Erhaltung alter Sorten überhaupt eine zentrale Vorschrift geben - genügen da nicht nationale Vorschriften? 
Und eine weitere Frage wird im Netz genannt, die so kompliziert ist, dass ich sie einfach nur weitergeben kann. Ist der Zwang zur Registrierung und Klassifizierung selbst schon ein Problem für alte Sorten? Sind die alten Sorten ausreichend homogen, so dass sie registrierungsfähig sind? In diesem Punkt kann ich nur mit den Schultern zucken: ich weiß es nicht. Grundsätzlich scheint es gesichert zu sein, dass die Vielfalt der Kulturpflanzen schwindet. So sagt zumindest eine Studie der Welternährungsorganisation (FAO), dass seit dem Jahr 1900 etwa 75 Prozent aller in der Landwirtschaft genutzten Kulturpflanzensorten ausgestorben sind. Dabei wird es sich wohl im extrem lokale Mutationen handeln; um eine Apfel-, Kartoffel- oder Tomatensorte, die es nur in einem Tal oder auf einer Insel gegeben hat. Ob ich jetzt schlaflose Nächte bekommen soll, weil eine Tomatensorte ausgestorben ist, deren Existenz ich nicht mal kannte, weiß ich nicht. Aber wenn ich die Flughöhe nur hoch genug ansetze, dann kann ich schon sagen: ich möchte keine Welt haben, in der es keine freien Saatgutsorten mehr gibt.
Erwähnen möchte ich noch, dass es bereits nach der bisherigen Regelung sehr unterschiedliche Positionen gab. Bedeutend ist das Baumaux gegen Kokopelli-Urteil, zu dem es hier eine lesenswerte Zusammenfassung gibt.

Aber auch beim Thema Wettbewerb und Monopolkontrolle habe ich gemischte Gefühle. Ich finde es schon eine Frage wert, ob hier zwingend ein aktiver Sortenschutz nötig ist, oder ob nicht ein reaktiver Schutz ausreichend wäre. Beim aktiven Sortenschutz muss jede Sorte registriert und klassifiziert sein, bevor sie überhaupt in Verkehr gebracht werden darf. Das scheint die Zielrichtung der geplanten neuen EU-VO zu sein. 
Beim reaktiven Sortenschutz darf jeder seine Sorte registrieren und schützen lassen; aber es bleibt dem Eigentümer überlassen nachzuweisen, dass anderes im Verkehr befindliches Saatgut die eigenen Rechte beeinträchtigt. Reaktives Handeln findet man zum Beispiel im Bereich Kunst, Kultur, Musik und Literatur. Da werden die Werke ja auch nicht vor dem in Verkehr-bringen geprüft; sondern es bleibt dem Eigentümer geistigen Eigentums überlassen eine Klage einzureichen, dass ein Musikstück oder Buch unerlaubt Teile des eigenen geschützten Eigentums verwertet. 

Am Ende dieses Artikels bleiben Fragen. Das Thema ist insgesamt kompliziert. Meine Frau hat mich gefragt, warum ich an einem Sonntag so viel Zeit für diesen Artikel aufwende. Meine Antwort: weil der Artikel geschrieben werden musste und es sonst niemand tut. Aber damit entsteht sofort die Frage: warum schreibt sonst niemand einen solchen Artikel... weder die Gegner einer Neuregelung - noch die Befürworter? Von der Qualitätspresse ganz zu schweigen. Für mich bleibt auch die Frage übrig, warum im Bereich der Landwirtschaft überhaupt so viel Regelung erforderlich ist. Welche Motive und Ziele die einzelnen Akteure haben und ob es eine Priorisierung der Ziele gibt. Teilweise erscheinen mir die Argumentationen nicht schlüssig... um nicht zu sagen: unehrlich. Die Fakten sind klar: im Bereich des Saatguts hat es in den letzten Jahrzehnten eine dramatische Zentralisierung gegeben. Die Sortenvielfalt hat abgenommen. Und die neue EU-VO würde zusätzlich Druck auf die alten Sorten ausüben: es ist sehr wahrscheinlich, dass auf Grund der neuen EU-VO weitere alten Sorten für immer aus dem Anbau verschwinden, vielleicht sogar aussterben. 
Aber warum? Musste das so sein; war es der Wille der Verbraucher - oder hat hier die Großindustrie tatsächlich die besseren "Connections" gehabt? In Summe bleibe ich mit einem diffusen Gefühl zurück, dass ich im Bereich des Saatgut-Marktes ungern eine weitere Zentralisierung sehen würde. Aber wie genau das zu erreichen wäre, kann ich auch nicht sagen. 
Frank2000


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