1. Februar 2013

Zitat des Tages: Die Fracking-Revolution und ihre geostrategischen Folgen

Christoph Heinemann, Deutschlandfunk: Herr Ischinger, steht geostrategisch eine Revolution vor der Tür?

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheits­konferenz: Revolution ist ja ein großes Wort. Aber große Veränderungen sehe ich in der Tat durch diese zunehmende amerikanische Unabhängigkeit im Bereich von Gas und Öl. (...) Das hat Auswirkungen auf die amerikanische Notwendigkeit, sich um Stabilität und Sicherheit am Golf, am Persischen Golf täglich zu kümmern. Und das hat vermutlich auch Auswirkungen auf den Öl- und Gaspreis. Der wird möglicherweise sinken, jedenfalls nicht mehr weiter ansteigen. Das wird beispielsweise in Moskau keine Freude auslösen, denn die ganze russische Wirtschaft, der russische Wohlstand hängt ganz entscheidend von dem hohen Energiepreis ab. Wenn der sinkt, sinkt auch die russische Zukunftsaussicht
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Aus einem heute vom Deutschlandfunk gesendeten Interview.

Kommentar: Die Revolution, von der hier die Rede ist, besteht in der Entwicklung neuer Verfahren der Fracking-Technik zur Erschließung umfangreicher, bisher nicht genutzter Vorkommen von Erdgas und Erdöl; Verfahren, deren Einführung in Deutschland - wie anders - an den Bedenken von Umweltfanatikern scheitern dürfte (siehe "Amerika wird der Energiegigant des 21. Jahrhunderts werden". Die geopolitischen Folgen des Fracking; ZR vom 20. 12. 2012).

Ischinger meint in dem Interview, daß Europa sich, wenn die USA sich aus dem Nahen Osten zurückziehen, dort stärker engagieren müßte; weist aber auch auf die begrenzten militärischen Möglichkeiten Europas hin. Er erwartet vor allem ein stärkeres Engagement Chinas in dieser Region, das auf deren Erdöl angewiesen ist:
Ischinger: Es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Jahren China irgendwann auch mit seiner Flagge, also strategisch, militärisch, sich engagiert - nicht nur, um die See- und Zugangswege durch den Indischen Ozean und so weiter noch stärker zu sichern, sondern auch, um sicher zu sein, dass es die richtigen Beziehungen und dass es die nötige Stabilität in dieser Region gibt. Das ist in der Tat für China möglicherweise in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch wichtiger, als es in den letzten 50 Jahren für die USA war.
Daß Europa demnächst in großem Umfang von billigem amerikanischem Erdöl und von in Schiffen transportiertem verflüssigtem Erdgas profitieren könnte, dürfte angesichts der begrenzten Kapazität der Hafenanlagen Zukunftsmusik sein. Vorerst würde ein Stocken der Erdöllieferungen aus Nahost vor allem unsere - speziell die deutsche - Abhängigkeit von Moskau weiter verstärken.

Dazu interessante Zahlen aus dem Bundesministerium für Forschung und Technologie: Im Jahr 1991 bezog Deutschland 14,0 Mio Tonnen Rohöl aus Rußland; 2009 waren es 34,5 Mio Tonnen. Zugleich ging der Import aus dem Nahen Osten von 18,2 Mio Tonnen auf 12,5 Mio Tonnen zurück. Rußland ist heute unser mit Abstand größter Lieferant von Rohöl.
Zettel



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