Er hat die ganze Macht an sich gerissen. Nicht einmal ein Pharao hatte so viele Befugnisse, von seinem Vorgänger Husni Mubarak ganz zu schweigen. Das ist eine Katastrophe (...) Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand mit demokratischen Grundsätzen auf Dauer ein solches Regime unterstützt.
Mit dem Ende der Autokraten und Diktatoren in Tunesien, Libyen und Ägypten ist die erste revolutionäre Wegstrecke durchschritten. (...) Es besteht die Chance, dass sich gemäßigt islamische Kräfte dauerhaft als islamisch-demokratische Parteien etablieren. Wir haben ein großes Interesse daran, dass sich das Leitbild islamisch-demokratischer Parteien verfestigt. Deshalb sollten wir es nach Kräften unterstützen.
Kommentar: Falls Sie damals schon ZR gelesen haben, erinnern Sie sich vielleicht, daß ich diesem - in meinen Augen erstaunlich naiven - Artikel des Außenministers zwei Kommentare gewidmet habe; einen kurzen und dann einen ausführlichen. Falls Sie das nachlesen mögen:
Was die ägyptische Moslembruderschaft will, hat sie zuletzt in einer am 31. Oktober dieses Jahres publizierten Erklärung klargestellt. Auszüge:
Die Revolution hat seit dem Sturz Mubaraks verschiedene Phasen durchlaufen (siehe Morsi vollendet seine Machtergreifung vom 12. August; ZR vom 23. 11. 2012). Derzeit greifen die Moslembrüder nach der Macht. Daß Ägypten tatsächlich islamistisch wird, ist damit aber noch keineswegs ausgemacht.
Das Land ist nach wie vor durch die säkulare Tradition geprägt, die mit der Revolution des 23. Juli 1952 begann; einem Umsturz, aus dem erst der General Naguib und dann den Oberst Nasser als der starke Mann hervorgingen. Seither wurde Ägypten faktisch vom Militär regiert. Das Militär ist viel mehr als die Streitmacht; es kontrolliert zugleich erhebliche Teile der Wirtschaft und ist damit als doppelter Machtfaktor weiter präsent.
Zweitens: Bei der Präsidentschaftswahl in diesem Frühsommer erhielt im ersten Wahlgang am 23. und 24. Mai Mohammed Morsi nur 24,78% Prozent der Stimmen. Das ist das tatsächliche Stimmenpotential der Islamisten.
Der Zweitplazierte, der damit ebenfalls in die Stichwahl kam, war mit 23.66% Prozent Ahmed Shafiq, der letzte Ministerpräsident Mubaraks. In diese Stichwahl am 16. und 17. Juni gewann Morsi knapp mit 51,73%, weil er die Stimmen auch von nichtislamistischen Gegnern des Mubarak-Regimes erhalten hatte; vor allem aus der Gruppe der 20,72%, die im ersten Wahlgang für den ausgeschiedenen Nasseristen Hamdeen Sabahi gestimmt hatten.
Die westlich-demokratisch orientierten Kräfte, die Mohammed ElBaradei repräsentiert, waren und sind schwach. Aber die Mehrheit der Ägypter besteht nicht aus Islamisten. Wäre nicht der Mubarak-Mann Shafiq, sondern der gemäßigtere säkulare Kandidat Amr Moussa, der frühere Generalsekretär der Arabischen Liga, in den zweiten Wahlgang gekommen, dann hätte er Morsi wahrscheinlich schlagen können.
Daß Ägypten keineswegs in der Hand der Islamisten ist, können Sie der nebenstehenden Karte entnehmen, die zeigt, wer bei der Stichwahl in welchen Teilen Ägyptens gesiegt hat. Grün gefärbt sind die Provinzen, in denen Morsi gewonnen hat; violett diejenigen, die an Shafiq gingen. Morsi hat das dünn besiedelte ländliche Ägypten gewonnen. Die städtischen und industrialisierten Provinzen entlang dem Nil und im Nildelta sind an Shafiq gegangen.
Die Vorstellung des Außenministers Westerwelle, dargelegt in dem FAZ-Artikel, man könne von der Moslembruderschaft ein "Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat, zu einer pluralistischen Gesellschaft und zu religiöser Toleranz" erwarten, ist naiv. Aber die Meinung, Ägypten sei schon an den Islamismus verloren, ist ebenfalls nicht durch die Fakten gedeckt.
Wenn der Westen nach Westerwelles Rezept auf die Moslembrüder setzt, dann wird das deren Chancen freilich erhöhen, ein Ägypten unter der Scharia zu errichten.
Im Interesse Deutschlands liegt das nicht. Immerhin dürfte sich Westerwelle damit Seite an Seite mit seiner US-Amtskollegin Hillary Clinton befinden, die gerade anläßlich ihrer Friedensmission im Nahen Osten den Präsidenten Morsi ostentativ aufgewertet hat.
Mohamed ElBaradei, ehemaliger Leiter der Internationalen Atomenergieorganisation und jetzt Vorsitzender der ägyptischen Verfassungspartei, in einem Interview mit Erich Follath, das im aktuellen gedruckten "Spiegel" (Heft 48/2012 vom 26. 11. 2012, S. 104) zu lesen ist.
Mit dem Ende der Autokraten und Diktatoren in Tunesien, Libyen und Ägypten ist die erste revolutionäre Wegstrecke durchschritten. (...) Es besteht die Chance, dass sich gemäßigt islamische Kräfte dauerhaft als islamisch-demokratische Parteien etablieren. Wir haben ein großes Interesse daran, dass sich das Leitbild islamisch-demokratischer Parteien verfestigt. Deshalb sollten wir es nach Kräften unterstützen.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle in der FAZ vom 13. Januar 2012. Der Artikel wurde auch auf der WebSite der Bundesregierung veröffentlicht.
Kommentar: Falls Sie damals schon ZR gelesen haben, erinnern Sie sich vielleicht, daß ich diesem - in meinen Augen erstaunlich naiven - Artikel des Außenministers zwei Kommentare gewidmet habe; einen kurzen und dann einen ausführlichen. Falls Sie das nachlesen mögen:
Von den Moslembrüdern zu erwarten, daß sie einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat anstreben, einen Staat mit Gewaltenteilung, gesellschaftlichem Pluralismus und einer säkularen Verfassung, ist ungefähr so realistisch wie die Erwartung, daß rund um den Äquator demnächst eine Eiszeit ausbrechen wird.Zitat des Tages: Westerwelle tritt für islamisch-demokratische Parteien ein. Dazu vorerst nur einige Fragen; ZR vom 12. 1. 2012
Aufruhr in Arabien (24): Guido Westerwelle und "demokratisch-islamische Parteien". Die deutsche Nordafrika-Politik vor einer verhängnisvollen Wende?; ZR vom 15. 1. 2012
Was die ägyptische Moslembruderschaft will, hat sie zuletzt in einer am 31. Oktober dieses Jahres publizierten Erklärung klargestellt. Auszüge:
The Muslim Brotherhood was founded for the purpose of reviving the spirit of Islam and awakening faith in the hearts of society at large, recognizing that this is the way for the nation to rise again, to restore its historical position and vital role and achieve its duty. Hassan Al-Banna, the founder of the Muslim Brotherhood, identified the group's mission as: guiding all humanity to the good ways and enlightening teachings of Islam, without which mankind will not attain happiness.Die Moslembruderschaft, die dies vor noch nicht einem Monat in dieser offiziellen Erklärung deklariert hat, stellt nicht nur den Präsidenten Morsi, der sich jetzt zum Alleinherrscher aufzuschwingen versucht, sondern beherrscht auch die Verfassungskommission, aus der sich die nichtislamistischen Vertreter inzwischen aus Protest zurückgezogen haben.
There is no doubt that Islamic Sharia is the most important component of the Egyptian personality, and the most important determinant of the Egyptian identity (...)
To protect this civilized society, created by Sharia, the penal system is the embodiment of utmost justice and precision. No-one is punished, except for a definite crime, after first preparing society to understand and accept Sharia, which would be applied in a careful gradual approach, in order to achieve its purposes indispensable to man and society: to safeguard faith, mind and soul, as well as private property and money, so as to ultimately achieve psychological and physical security in society. (...)
... Islamic law or Sharia ... is the most important issue that preoccupies us and which we seek to establish in society, and for which we have offered our dear brothers for martyrdom, imprisonment and persecution over long decades. Hence, we cannot in any way compromise in demanding to apply Sharia.
Die Moslem-Bruderschaft wurde mit dem Ziel gegründet, den Geist des Islam wieder lebendig werden zu lassen und den Glauben in den Herzen der gesamten Gesellschaft zu erwecken; aus der Erkenntnis heraus, daß dies der Weg für die Nation ist, wieder aufzuerstehen, ihre historische Stellung und ihre unverzichtbare Rolle wiederherzustellen und ihrer Pflicht nachzukommen. Hassan Al-Banna, der Gründer der Moslembruderschaft, nannte als die Mission der Gruppe: Die gesamte Menschheit auf den guten Weg und die erleuchtenden Lehren des Islam zu geleiten, ohne welche die Menschheit kein Glück finden wird.
Es besteht kein Zweifel daran, daß die islamische Scharia die wichtigste Komponente der Persönlichkeit Ägyptens und das wichtigste Bestimmungsstück der ägyptischen Identität ist. (...)
Zum Schutz der von der Scharia geschaffenen zivilisierten Gesellschaft ist das Strafrecht die Verkörperung äußerster Gerechtigkeit und Strenge. Niemand wird bestraft, es sei denn für ein eindeutiges Verbrechen, nachdem zunächst die Gesellschaft dazu hingeführt wurde, die Scharia zu verstehen und zu akzeptieren. Das würde auf eine sorgsame allmähliche Weise geschehen, um das Ziel zu erreichen, welches für den Menschen und die Gesellschaft unabdingbar ist: Glauben, Geist und Seele ebenso zu bewahren wie Privateigentum und Geld, um schließlich psychologische und physische Sicherheit in der Gesellschaft zu erreichen. (...)
... das islamisches Gesetz, die Scharia ... ist das wichtigste Thema, das uns erfüllt und das wir in der Gesellschaft zu verankern suchen, und für das wir über lange Jahrzehnte unsere liebsten Brüder der Märtyrerschaft, dem Gefängnis und der Verfolgung überantwortet haben. Wir können auf keine Art und Weise Kompromisse schließen, was unsere Forderung nach Anwendung der Scharia anbetrifft.
Die Revolution hat seit dem Sturz Mubaraks verschiedene Phasen durchlaufen (siehe Morsi vollendet seine Machtergreifung vom 12. August; ZR vom 23. 11. 2012). Derzeit greifen die Moslembrüder nach der Macht. Daß Ägypten tatsächlich islamistisch wird, ist damit aber noch keineswegs ausgemacht.
Das Land ist nach wie vor durch die säkulare Tradition geprägt, die mit der Revolution des 23. Juli 1952 begann; einem Umsturz, aus dem erst der General Naguib und dann den Oberst Nasser als der starke Mann hervorgingen. Seither wurde Ägypten faktisch vom Militär regiert. Das Militär ist viel mehr als die Streitmacht; es kontrolliert zugleich erhebliche Teile der Wirtschaft und ist damit als doppelter Machtfaktor weiter präsent.
Zweitens: Bei der Präsidentschaftswahl in diesem Frühsommer erhielt im ersten Wahlgang am 23. und 24. Mai Mohammed Morsi nur 24,78% Prozent der Stimmen. Das ist das tatsächliche Stimmenpotential der Islamisten.
Der Zweitplazierte, der damit ebenfalls in die Stichwahl kam, war mit 23.66% Prozent Ahmed Shafiq, der letzte Ministerpräsident Mubaraks. In diese Stichwahl am 16. und 17. Juni gewann Morsi knapp mit 51,73%, weil er die Stimmen auch von nichtislamistischen Gegnern des Mubarak-Regimes erhalten hatte; vor allem aus der Gruppe der 20,72%, die im ersten Wahlgang für den ausgeschiedenen Nasseristen Hamdeen Sabahi gestimmt hatten.
Die westlich-demokratisch orientierten Kräfte, die Mohammed ElBaradei repräsentiert, waren und sind schwach. Aber die Mehrheit der Ägypter besteht nicht aus Islamisten. Wäre nicht der Mubarak-Mann Shafiq, sondern der gemäßigtere säkulare Kandidat Amr Moussa, der frühere Generalsekretär der Arabischen Liga, in den zweiten Wahlgang gekommen, dann hätte er Morsi wahrscheinlich schlagen können.
Daß Ägypten keineswegs in der Hand der Islamisten ist, können Sie der nebenstehenden Karte entnehmen, die zeigt, wer bei der Stichwahl in welchen Teilen Ägyptens gesiegt hat. Grün gefärbt sind die Provinzen, in denen Morsi gewonnen hat; violett diejenigen, die an Shafiq gingen. Morsi hat das dünn besiedelte ländliche Ägypten gewonnen. Die städtischen und industrialisierten Provinzen entlang dem Nil und im Nildelta sind an Shafiq gegangen.
Die Vorstellung des Außenministers Westerwelle, dargelegt in dem FAZ-Artikel, man könne von der Moslembruderschaft ein "Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat, zu einer pluralistischen Gesellschaft und zu religiöser Toleranz" erwarten, ist naiv. Aber die Meinung, Ägypten sei schon an den Islamismus verloren, ist ebenfalls nicht durch die Fakten gedeckt.
Wenn der Westen nach Westerwelles Rezept auf die Moslembrüder setzt, dann wird das deren Chancen freilich erhöhen, ein Ägypten unter der Scharia zu errichten.
Im Interesse Deutschlands liegt das nicht. Immerhin dürfte sich Westerwelle damit Seite an Seite mit seiner US-Amtskollegin Hillary Clinton befinden, die gerade anläßlich ihrer Friedensmission im Nahen Osten den Präsidenten Morsi ostentativ aufgewertet hat.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Grafik vom Autor Arfarshchi unter Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication-Lizenz freigegeben.