3. August 2012

Mihaela Ursuleasa ist gestorben

Wussten Sie, wer Mihaela Ursuleasa war? Die junge Starpianistin? Ich nicht bis heute morgen. Nie gehört. Dabei interessiere ich mich für klassische Musik. Mit Schubert machte sie von sich reden - mein geliebter Schubert! Und ich kannte die talentierteste Interpretin nicht, bis sie tot war. ­

Es geht mir öfter so, daß ich von der Existenz eines bedeutenden Menschen erst durch die Todesnachricht erfahre: Susanne Lothar (25.7.), Jon Lord (16.7.), Tony Sly (31.7.), Bernd Maier (2.8.), Maeve Binchy (30.7.) - wer waren die denn alle? Jetzt, wo sie weg sind, weiß ich das.

Wenigstens Ernest Borgnine (8.7.) und Norbert Berger von "Cindy und Bert" (14.7.) waren mir zum Todeszeitpunkt bereits ein Begriff.

Nun mögen Sie sagen, dieser Kallias ist eben ein Banause. Geschenkt! Sehen Sie es lieber anders herum: wenn Sie Frau Ursuleasa gestern schon gekannt haben, dürfen Sie sich darauf etwas einbilden.

Sogar bei wesentlichen kulturellen Erscheinungen tritt das Phänomen der verspäteten Kennerschaft gelegentlich auf: Dada zum Beispiel kannte keiner, bevor es tot war, und zwar zurecht. Man riskiert einfach weniger, wenn man sich mit dem Vergangenen befasst. Berlin galt vor einigen Jahren mal als der spannendste Ort der Gegenwartskunst weltweit. Als ich meine kunstsinnigen Freunde fragte, wo ich denn die Kunst der Zukunft in statu nascendi besichtigen könnte, mussten sie passen: "Ach wer weiß, aus welcher Sache mal was wird." Lass das erstmal im Glanz des Nachruhms erstrahlen, dann werden wir uns dafür interessieren.

Was immer ein genialer Zeitgenosse getan hat, nichts erregt größeres Aufsehen als sein Tod. Der Tag nach dem Tod ist oft der Tag des größten Ruhms. Wie gemein das ist! Da ringt jemand sein Leben lang um Höchstleitungen, und gewürdigt wird das in großem Stil erst, wenn er weg ist und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt, an dem er überhaupt nichts mehr davon hat.

Weshalb nur wird von der Presse die Todesnachricht Mihaela Ursuleasas größer aufgemacht als ihre Schubert-Einspielung? Ist es Misanthropie? Oder triumphierende Missgunst: die war bedeutend, wir sind es nicht, aber die ist tot und wir leben noch?

Wenigen gelingt es, den Spieß umzudrehen und den Abgang zu ihrer größten Show zu machen; Steve Jobs im vorigen Jahr. Christoph Schlingensief (21.8.2010) unter den Künstlern. Schön ist das für das Publikum nicht gewesen. Lebt, sterbt, lasst uns mit alldem in Ruhe. Danach wollen wir wissen, wer ihr wart.
Kallias



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