Mit Lachen – Jetzt wollen wir die Kirche doch mal im Dorf lassen! – quittiert Schröder, wenn man ihn daran erinnert, dass es neben Frankreich ein Deutschland unter seiner Führung war, das die Maastricht-Kriterien für Verschuldung verletzt hat. 2003/04 war das, im Jahr der Agenda. (...)
Damals habe er genau das getan, was die Länder, die heute in Schwierigkeiten seien, auch tun müssten, sagt Schröder: Strukturreformen machen, ohne den Aufschwung kaputtzusparen.
Kommentar: An dieser Stelle ihres Artikels, der hauptsächlich ein Gespräch mit Schröder zusammenfaßt, kann sich auch Tina Hildebrandt, die Schröders Wirken als Kanzler einst als "Spiegel"-Redakteurin begleitet hatte und die in dem jetzigen Artikel ein höchst wohlwollendes Bild von ihm entwirft, eine richtigstellende Anmerkung nicht verkneifen:
Schon seinerzeit, im Jahr 2004, war gemeldet worden, daß Schröder diesen Vertragsbruch gegen den erbitterten Widerstand seines Finanzministers Eichel durchsetzte. Kürzlich hat der "Spiegel" (Heft 29/2012 vom 16. 7. 2012, S. 32-34) anhand jetzt freigegebener Akten rekonstruiert, wie im Jahr danach Schröder systematisch daran arbeitete, die Maastricht-Kriterien auch formal aufzuweichen; und wie er dabei Druck auf Frankreich und Italien ausübte, um deren Unterstützung zu erlangen.
Bei einem Treffen der EU-Regierungschefs am 22. und 23. März 2005 war es dann so weit. Der "Spiegel":
Aber Schröders Entscheidung, daß ausgerechnet Deutschland sich über die von ihm selbst unter Kohl und Waigel durchgesetzten Maastricht-Kriterien hinwegsetzte und die anderen dazu brachte, ihm dabei zu folgen, war eine entscheidende Station bei dieser Fehlentwicklung. Die Südländer, auch Frankreich, hatten die Stabilität nie so ernst genommen wie Deutschland. Wenn jetzt die Deutschen selbst sie nicht mehr ernst nahmen - warum sollte sich irgendein anderer Staat dann den Maastricht-Kriterien noch verpflichtet fühlen? Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert.
Und es lebte ungeniert, das Deutschland unter dem Kanzler Schröder.
Auf Seite 33 des "Spiegel"-Artikels gibt es eine Grafik, die das jährliche Staatsdefizit Deutschlands im Vergleich zum Durchschnitt des Euro-Raums zeigt. Seit 2001 lag das von Schröder geführte Deutschland Jahr für Jahr um rund einen Prozentpunkt schlechter als der Schnitt der anderen Länder. Erst nach dem Regierungsantritt Angela Merkels im Jahr 2005 kreuzten sich die Kurven, und Deutschland liegt seither um zwei, manchmal drei Prozentpunkte besser als der Schnitt der Eurozone.
Es ist sehr fraglich, ob unter einer weiteren Kanzlerschaft Gerhard Schröders Deutschland heute in der Lage wäre, anderen Ländern zu helfen; oder ob es nicht selbst zu den Hilfsbedürftigen zählen würde.
Wenn jetzt Schröder sein damaliges Versagen bestreitet, ja es in einen Erfolg zu verkehren versucht, dann zeigt das zweierlei: Erstens, daß der Ex-Kanzler die Ursachen der Eurokrise nicht verstanden hat. Zweitens, daß er noch immer der Mann schneller und oft unüberlegter Urteile und Entscheidungen ist; derjenige, der sich damals das Etikett "Basta-Kanzler" verdient hat.
Damals habe er genau das getan, was die Länder, die heute in Schwierigkeiten seien, auch tun müssten, sagt Schröder: Strukturreformen machen, ohne den Aufschwung kaputtzusparen.
Tina Hildebrandt in einem Artikel über Gerhard Schröder in der "Zeit"-Ausgabe der vorletzten Woche, der seit gestern auch bei "Zeit-Online" zu lesen ist. Titel: "Ihm geht's gold".
Kommentar: An dieser Stelle ihres Artikels, der hauptsächlich ein Gespräch mit Schröder zusammenfaßt, kann sich auch Tina Hildebrandt, die Schröders Wirken als Kanzler einst als "Spiegel"-Redakteurin begleitet hatte und die in dem jetzigen Artikel ein höchst wohlwollendes Bild von ihm entwirft, eine richtigstellende Anmerkung nicht verkneifen:
Die Frage ist, ob der Kollateralschaden von Schröders Handeln den Hauptnutzen nicht überstieg: Europas Glaubwürdigkeit erlitt damals einen empfindlichen, möglicherweise entscheidenden Schaden.In der Tat ist es ein bemerkenswertes Zeichen der Schröder'schen Chuzpe, diese Fehlentscheidung - einer der größten Fehler seiner Regierungszeit - im Nachhinein in einen Erfolg umzumünzen; ja das zur Nachahmung zu empfehlen.
Schon seinerzeit, im Jahr 2004, war gemeldet worden, daß Schröder diesen Vertragsbruch gegen den erbitterten Widerstand seines Finanzministers Eichel durchsetzte. Kürzlich hat der "Spiegel" (Heft 29/2012 vom 16. 7. 2012, S. 32-34) anhand jetzt freigegebener Akten rekonstruiert, wie im Jahr danach Schröder systematisch daran arbeitete, die Maastricht-Kriterien auch formal aufzuweichen; und wie er dabei Druck auf Frankreich und Italien ausübte, um deren Unterstützung zu erlangen.
Bei einem Treffen der EU-Regierungschefs am 22. und 23. März 2005 war es dann so weit. Der "Spiegel":
Zwei Tage zuvor kamen die Finanzminister noch einmal zu einem Sondertreffen zusammen. Angeführt von Deutschland, spielten die drei größten Euro-Staaten brachial ihre Macht aus. Die anderen kapitulierten. Schröder hatte endlich seinen Willen. (...)Die Krise, in der die Euro-Zone heute steckt, ist nicht allein dieser Fehlentscheidung Schröders zuzurechnen. Sie ist das Ergebnis zahlreicher Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen (siehe "Wie Goethes Zauberlehrling". Thilo Sarrazin erklärt die Euro-Krise; ZR vom 17. 7. 2012).
"Wir haben den Stabilitätsanker des Paktes verstärkt", rühmten sich Schröders Beamte (...) Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Fünf Jahre später geriet Griechenland in Schieflage, die Euro-Krise begann. Zwei Jahre danach einigten sich die Euro-Staaten auf den Fiskalpakt, der die Aufweichungen von 2005 zurücknimmt und die Vorgaben noch schärfer fasst als früher.
Aber Schröders Entscheidung, daß ausgerechnet Deutschland sich über die von ihm selbst unter Kohl und Waigel durchgesetzten Maastricht-Kriterien hinwegsetzte und die anderen dazu brachte, ihm dabei zu folgen, war eine entscheidende Station bei dieser Fehlentwicklung. Die Südländer, auch Frankreich, hatten die Stabilität nie so ernst genommen wie Deutschland. Wenn jetzt die Deutschen selbst sie nicht mehr ernst nahmen - warum sollte sich irgendein anderer Staat dann den Maastricht-Kriterien noch verpflichtet fühlen? Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert.
Und es lebte ungeniert, das Deutschland unter dem Kanzler Schröder.
Auf Seite 33 des "Spiegel"-Artikels gibt es eine Grafik, die das jährliche Staatsdefizit Deutschlands im Vergleich zum Durchschnitt des Euro-Raums zeigt. Seit 2001 lag das von Schröder geführte Deutschland Jahr für Jahr um rund einen Prozentpunkt schlechter als der Schnitt der anderen Länder. Erst nach dem Regierungsantritt Angela Merkels im Jahr 2005 kreuzten sich die Kurven, und Deutschland liegt seither um zwei, manchmal drei Prozentpunkte besser als der Schnitt der Eurozone.
Es ist sehr fraglich, ob unter einer weiteren Kanzlerschaft Gerhard Schröders Deutschland heute in der Lage wäre, anderen Ländern zu helfen; oder ob es nicht selbst zu den Hilfsbedürftigen zählen würde.
Wenn jetzt Schröder sein damaliges Versagen bestreitet, ja es in einen Erfolg zu verkehren versucht, dann zeigt das zweierlei: Erstens, daß der Ex-Kanzler die Ursachen der Eurokrise nicht verstanden hat. Zweitens, daß er noch immer der Mann schneller und oft unüberlegter Urteile und Entscheidungen ist; derjenige, der sich damals das Etikett "Basta-Kanzler" verdient hat.
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