19. Juni 2012

Marginalie: Im wohnlichen Himmelspalast. Drei Taikonauten inspizieren Tiangong

China hat mit dem Bau seiner eigenen Weltraumstation begonnen. Das erste Modul heißt Tiangong-1 ("Himmelspalast-1"), wurde vor neun Monaten in den Orbit geschossen und ist seit gestern bemannt. Ein Video des chinesischen Senders CCTV-News zeigt, wie zwei Astronauten und eine Astronautin die Luke zur Station öffen und in diese einschweben. Dann sieht man sie, wie sie die Station inspizieren.

Zweierlei fällt gegenüber der ISS auf: Erstens wirkt das Innere der Station ungleich aufgeräumter. Im Vergleich zur ISS, in der jedes Modul mit Instrumenten und wissenschaftlichen Experimenten vollgepackt ist, erscheint Tiangong nachgerade wohnlich. Es gibt für die Astronauten Schlafkabinen, die gar mit allerlei Bemalung geschmückt sind. Instrumente und Geräte sieht man vergleichsweise wenige.

Zweitens gibt es in Tiangong ein "oben" und "unten". Real gibt es das natürlich nicht, da "unten" ja nur die Richtung ist, in welche die Schwerkraft wirkt. Ohne Schwerkraft also kein oben und unten. Aber in Tiangong hat der "Boden" eine andere Färbung als die "Decke" und die "Wände"; und die Astronauten scheinen zeitweise auch mehr zu laufen als zu schweben. Am "Boden" sind Halterungen für die Füße angebracht; an der "Decke" und den "Wänden" gibt es Schlaufen zum Festhalten.

Da haben wohl Psychologen und Physiologen bei der Konstruktion mitgewirkt, die mit den Schwierigkeiten der Astronauten auf der ISS vertraut waren, sich an den Zustand der Schwerelosigkeit anzupassen. Der Mensch ist nun einmal darauf eingerichtet, in einer Welt des Oben und Unten zu leben. Wenn ihm der Gleichgewichtssinn die betreffenden Informationen nicht liefert, dann kann der Gesichtssinn einspringen. Jedenfalls im chinesischen Himmelspalast.

Daß es in diesem Himmelspalast vielleicht nicht palastmäßig-feudal, aber doch entschieden freundlicher aussieht als in der ISS, mag daran liegen, daß dieses erste Modul einer größeren Station möglicherweise als Wohnmodul ausgelegt ist.

Ein solches Wohnmodul sollte die ISS eigentlich auch bekommen. Es wurde aber aus Kostengründen gestrichen. Die dortigen Astronauten müssen - anders als anscheinend ihre chinesischen Kollegen, die Taikonauten - gewissermaßen am Arbeitsplatz wohnen, schlafen und essen. Und ihre Freizeit gestalten.

Von jetzt an wird China planmäßig an seiner Konkurrenzstation zur ISS bauen. Sie soll 2020 fertig sein; just in dem Jahr, in dem nach der bis vor kurzem gültigen Planung die ISS verlassen und zum kontrollierten Absturz gebracht werden soll (inzwischen gibt es Pläne zu einer Verlängerung ihrer Lebenszeit um einige weitere Jahre; ursprünglich sollte sie überhaupt nur bis 2016 im Einsatz sein).

Ein Nachfolger der ISS ist nicht geplant. Die Chinesen können also damit rechnen, in einigen Jahren die einzige Macht zu sein, die über eine große bemannte Raumstation verfügt. Zugleich arbeitet man an Plänen zum bemannten Mondflug. Sinnfälliger kann China kaum zum Ausdruck bringen, daß es sich als die künftige Supermacht sieht.

Präsident Bush hatte diese Gefahr erkannt und deshalb ein Programm für die Rückkehr der USA zum Mond in die Wege geleitet. Dieses Programm Constellation war bereits in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase - es waren schon 9,2 Milliarden Dollar investiert worden -, als Präsident Obama sein Amt antrat. Eine seiner ersten Entscheidungen war es, das Programm Constellation zu kippen. Für Einzelheiten siehe Tiangong-1, der "Himmlische Palast". Chinas Pläne in der Königsklasse der Raumfahrt und sein Aufstieg zur Supermacht; ZR vom 30. 9. 2012.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.