4. April 2012

Zitat des Tages: "Im Reich des Unsinns". Der Staat und das Betreuungsgeld. Formierte Gesellschaft à la "Walden Two"

Was will dieser Staat nun: dass Mütter arbeiten gehen oder dass Mütter zu Hause bleiben? Dass Mütter ihre Kinder in eine Kita geben oder nicht?
Aus einem Artikel im gedruckten "Spiegel" (46/2011 vom 14. 11. 2011, S. 20 - 22) über das geplante Betreuungsgeld; Überschrift: "Im Reich des Unsinns". Verfaßt wurde der Artikel von Kerstin Kullmann, Peter Müller, Alexander Neubacher, René Pfister und Merlind Theile.

Kommentar: Anders als in seinen ersten Jahrzehnten nennt der "Spiegel" heute die Namen der Autoren seiner Stories. Oft sind es aber so viele, daß der Informationswert nahe null ist; denn man weiß nicht, wer was geschrieben hat. Ein Hauptautor, der für den gesamten Artikel verantwortlich zeichnet, wird nicht angegeben.

Bei dem jetzigen Artikel hätte mich wegen der zitierten Passage interessiert, wer das geschrieben und wer es zu verantworten hat. Denn besser als an diesen beiden Sätzen kann kaum sichtbar werden, woran Deutschland krankt.

Wer immer diese beiden Sätze erdacht hat - er oder sie kann sich offenbar gar keine Gesellschaft vorstellen, in der es den Staat nichts angeht, ob eine Mutter arbeitet oder zu Hause bleibt.

Er oder sie kann sich nicht vorstellen, daß es einen Bereich privater Lebensgestaltung gibt, der in der Verantwortung des Bürgers liegt; nicht derjenigen des Staats. Eine Gesellschaft, in welcher es lediglich die Aufgabe des Staats ist, dem Einzelnen eine eigene Entscheidung über sein Leben zu ermöglichen; in der er ihm aber nicht vorzuschreiben oder auch nur nahezulegen hat, wie sie ausfallen soll.

Etwas genauer gesagt:

Wer so etwas schreibt, der hat das Bild einer Gesellschaft vor Augen, in der es erstens einen verbindlichen gesellschaft­lichen Konsens darüber gibt, wie jeder Bürger sein Leben zu gestalten hat; ob eben beispielsweise eine Mutter zu Hause bleibt und die Kinder betreut, oder ob sie arbeiten geht.

Zweitens gibt sich, wer so etwas schreibt, ja nicht mit dem gesellschaftlichen Konsens zufrieden. Sondern der Staat mit seinen Gesetzen soll diesem Konsens Nachdruck verleihen; ihn sozusagen implementieren. Er soll etwas "wollen", der Staat - entweder, daß alle Mütter arbeiten gehen, oder daß alle zu Hause bleiben. Diese selbst kommen nur noch als Objekte staatlichen Willens vor; nicht als Besitzer eines eigenen Willens.



So war es in der DDR; so ist es heute beispielsweise im Iran.

Die Mittel der Steuerung durch den Staat sind freilich verschieden; und das ist ein wichtiger Unterschied. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, in dem die Regierung es, anders als in solchen totalitären Systemen, nicht mit ihren Machtmitteln erzwingen kann, daß der Einzelne sein Leben nach bestimmten gesellschaftlichen Leitbildern gestaltet.

Die Peitsche kann nicht geschwungen werden; umso nachdrücklicher wird Zuckerbrot verteilt, um das Verhalten der Bürger zu lenken. Wer die zitierten Sätze geschrieben hat, der oder die will, daß der Staat den Bürger zu dem gewünschten Verhalten zwar nicht prügelt, wohl aber durch die Aussicht auf Geldgaben veranlaßt.

Es ist exakt diejenige staatliche Verhaltenssteuerung durch selektive Belohnung, die der Psychologe Burrhus F. Skinner in seinem utopischen Roman Walden Two (1948) mit allen ihren Details ausgemalt hat (der unsinnige deutsche Titel ist "Futurum zwei").

Im selben Jahr wie Skinners Roman erschien auch eine ungleich bekanntere gesellschaftliche Utopie, Orwells "1984". Orwell entwickelte die häßlichere, die stalinistische Variante einer formierten Gesellschaft. In der formierten Gesellschaft, die Skinner erträumt, sollen hingegen alle glücklich sein und zu ihrem eigenen Vorteil das Richtige tun.

Nur über sich selbst entscheiden sollen sie nicht. Dafür ist die Obrigkeit zuständig; ein kleines Gremium aus sechs "Planern" und ein größeres aus "Managern"; nicht gewählt, sondern ernannt. Sie regulieren die Belohnungen in dieser Gesellschaft so, das alle sich immer wie gewünscht verhalten.

Damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert, schüttelte man über eine solche Utopie den Kopf. Heute ist das keine Utopie mehr. ­
Zettel



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