17.30 Uhr: Wie es zu erwarten gewesen war, gelangen trotz aller Bemühungen der französischen Polizei die Zwischenergebnisse fortlaufend an die Öffentlichkeit. Derzeit sieht es so aus:
18.20 Uhr: Es liegen jetzt aus verschiedenen Quellen Daten vor, die ein nahezu identisches Bild zeigen (FH=François Hollande; NS=Nicolas Sarkozy; MLP=Marine Le Pen, JLM=Jean-Luc Mélenchon, FB=François Bayrou):
Man kann jetzt also mit einiger Zuversicht davon ausgehen, daß die Ergebnisse dieser ersten Runde so sein werden, wie ich es vorgestern und gestern vorhergesagt hatte. Institut Ifop: FH 27 NS 25,5 MLP 16 JLM 13 FB 10,5 Institut Opinionway: FH 28 NS 26 MLP 16 JLM 13 FB 10 Institut CSA: FH 29 NS 25 MLP 17 JLM 12 Interne Berechnung des Innenministeriums: FH 27 NS 25,5, MLP 16, JLM 13, FB 10,5
19.15 Uhr: Es gibt jetzt Daten (wie immer noch unbestätigt) eines Instituts, die, wenn sie zutreffen, doch noch eine kleine Sensation bedeuten würden: Um 18.59 Uhr meldete Le Soir die folgende Hochrechnung des (als seriös geltenden) Instituts Ipsos: FH 27,4 NS 25,7 MLP 20,0 JLM 11,5 FB 9,0.
20 Prozent für Marine Le Pen - damit hätte niemand gerechnet; ebenso mit einem, gemessen an den Umfragen, so schlechten Ergebnis für Mélenchon wie 11,5 Prozent. Dieser hätte dann Le Pen nicht nur nicht, wie er es als sein Ziel genannt hatte, überrundet; sondern diese hätte eher fast das Doppelte seiner Stimmenzahl eingefahren.
20.40 Uhr: Die Zahlen von Ipsos sind jetzt offiziell: FH 28,3 NS 25,5 MLP 20,0 JLM 11,7 FB 8,5. Die Werte der anderen Institute sehen inzwischen ähnlich aus.
Die Experten bei France24, darunter der Chef von Ipsos und die einflußreiche Journalistin Michèle Cotta, sind sich einig, daß die Umfragen sich doppelt geirrt haben: Sie haben die Zustimmung zu Marine Le Pen unter- und die Stärke der Linken überschätzt.
Die beiden Linkskandidaten Hollande und Mélenchon haben mit zusammen 38,9 Prozent keineswegs besonders gut abgeschnitten. Ségolène Royal, die Kandidatin der Sozialisten von 2007, hat bereits reagiert und sich an die Wähler von Marine Le Pen gewandt mit dem Appell, im zweiten Wahlgang Hollande zu wählen.
Aber auch Sarkozys UMP reagiert schon. Deren Generalsekretär hat soeben im TV die Wähler Le Pens angesprochen und auf die Positionen Sarkozys zur Einwanderung, zur Verbrechensbekämpfung und zu anderen Themen des FN hingewiesen.
Das miserable Abschneiden von Bayrou und das schlechte von Sarkozy schließen es faktisch aus, daß diese beiden ein Bündnis für den zweiten Wahlgang eingehen werden. Bayrou wird jetzt auf die Wahlen zur Nationalversammlung im Juni hinarbeiten mit dem Ziel, eine Neugruppierung der Kräfte außerhalb der Linken zu erreichen.
Die UMP Sarkozys ist ein Bündnis verschiedener Parteien und Strömungen; ursprünglich bedeutete die Abkürzung Union pour la majorité présidentielle, Union für die Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl - nämlich derjenigen 2002, als man sich gegen Jean-Marie Le Pen zusammenschloß, der in den zweiten Wahlgang gekommen war.
Inzwischen heißt diese Partei Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung. Homogen ist sie nicht geworden; sie umfaßt noch immer Gaullisten, Liberale aus der früheren UDF und Leute der politischen Mitte.
Nach Sarkozys Scheitern könnte dieses Ensemble wieder zerfallen; und das könnte die Stunde Bayrous sein. Oder vielleicht gewesen sein; denn mit 8,5 Prozent wird er kaum als Führer eine solchen neuen Partei der rechten Mitte jenseits des Gaullismus in Frage kommen.
22.50 Uhr: An den Hochrechnungen hat sich kaum etwas geändert. Die aktuellen Werte einiger der großen Institute listet der Nouvel Observateur auf. Sarkozy liegt etwas höher als in den anfänglichen Hochrechnungen; bei 26 bis 27 Prozent. Der Vorsprung von Hollande ist dadurch leicht geschrumpft. Marine Le Pen wird die 20 Prozent wohl verfehlen und eher bei 18 als bei 19 Prozent liegen.
Die Ergebnisse der Départements laufen jetzt langsam ein. Sie können Sie anhand der Grafik bei Le Point verfolgen. Das vorläufige amtliche Endergebnis wird für die Nacht zwischen 1 und 2 Uhr erwartet.
Wenn Sie die Ergebnisse aus den Départements mit denen von vor fünf Jahren vergleichen wollen, dann wird Ihnen diese Karte nützlich sein, die zeigt, wie stark damals Sarkozy schon im ersten Wahlgang gegenüber der Sozialistin Ségolène abschnitt. Er gewann überall, außer in der Bretagne, in der westlichen Mitte um das Limousin herum und im Südwesten:
3.50 Uhr: Das vorläufige amtliche Endergebnis liegt noch immer nicht vor. Die betreffende Seite des Innenministeriums liefert aber die Ergebnisse aller Départements. Daraus berechnete das Nachrichtenmagazin Le Point das folgende Ergebnis (Prozentsatz und absolute Stimmenzahl):
François HollandeVielleicht mögen Sie das mit dem vergleichen, was ich aufgrund einer Analyse der Umfragedaten in der ersten und zweiten Folge dieser Serie und in der vorletzen Folge der Serie Gedanken zu Frankreich prognostiziert hatte:
28.62% - 10 144 084
Nicolas Sarkozy
27.03% - 9 579 483
Marine Le Pen
18.05% - 6 395 805
Jean-luc Mélenchon
11.15% - 3 950 377
François Bayrou
9.11% - 3 227 504
Eva Joly
2.27% - 805 505
Nicolas Dupont-Aignan
1.80% - 638 450
Philippe Poutou
1.15% - 407 953
Nathalie Arthaud
0.57% - 201 190
Jacques Cheminade
0.25% - 87 912
Der Vergleich mit den Ergebnissen zeigt, wie gut Demoskopie funktioniert - wenn man sie vernünftig auswertet; also die Daten der einzelnen Institute aggregiert und auch Erfahrungswerte und die aktuellen Trends in Rechnung stellt."Sarkozy und Hollande werden Kopf an Kopf in der Gegend von 27 oder 28 Prozent liegen". "Ich halte es jetzt für wahrscheinlich, daß Hollande knapp vor Sarkozy durchs Ziel gehen wird." "Marine Le Pen wird mehr Stimmen bekommen als Jean-Luc Mélenchon. Ich halte es für wahrscheinlich, daß der Abstand zwischen ihnen sogar relativ groß sein wird". "Marine Le Pen könnte sogar ihren Vater Jean-Marie übertreffen, der 2002 im ersten Wahlgang 16,86 Prozent erreichte". "Es kann ... durchaus sein, daß Marine Le Pen im ersten Wahlgang näher bei zwanzig als bei fünfzehn Prozent liegen wird". "François Bayrou wird die 10 Prozent, wenn überhaupt, dann nur knapp übertreffen".
Montag, 23.00 Uhr: Inzwischen hat das französische Innenministerium das vorläufige amtliche Endergebnis veröffentlicht:
Es hat damit gegenüber den letzten Resultaten, die ich vergangene Nacht mitgeteilt habe, doch noch kleine Veränderungen gegeben: Zwischen Hollande (28,63 Prozent) und Sarkozy (27,18 Prozent) liegen nur noch knapp 1,5 Prozentpunkte. Le Pen hat mit 17,90 Prozent etwas weniger gut abgeschnitten, als es geschienen hatte; aber immer noch oberhalb der letzten Umfragewerte. Bayrou ist noch einmal leicht auf 9,13 Prozent angestiegen.Von den 46.037.965 Wahlberechtigten haben 36.584.538 ihre Stimme abgegeben; das sind 79,47 Prozent. Ungültig waren 698.737 Stimmen; gültig abgestimmt haben damit 77,95 Prozent der Wahlberechtigten. Die Kandidaten und ihre Ergebnisse in der Reihenfolge, in der das Innenministeriums sie aufführt (Stimmenzahlen und in Klammern Prozente):
Mme Eva JOLY 828.381 (2,31)
Mme Marine LE PEN 6.421.802 (17,90)
M. Nicolas SARKOZY 9.754.316 (27,18)
M. Jean-Luc MÉLENCHON 3.985.089 (11,10)
M. Philippe POUTOU 411.182 (1,15)
Mme Nathalie ARTHAUD 202.561 (0,56)
M. Jacques CHEMINADE 89.552 (0,25)
M. François BAYROU 3.275.395 (9,13)
M. Nicolas DUPONT-AIGNAN 644.043 (1,79)
M. François HOLLANDE 10.273.480 (28,63)
Falls Sie sich die obige Karte der Wahlergebnisse von 2007 angesehen haben, ist es vielleicht interessant, sie mit der Karte der gestrigen Resultate zu vergleichen, wie man sie bei Le Point findet. Es zeigt sich wieder ein Phänomen, auf das man oft bei derartigen Vergleichen stößt: Ändert sich die Balance zwischen zwei Kandidaten, dann stellt sich das geographisch als eine Verschiebung der Grenzen der von ihnen jeweils beherrschten Zonen dar - so, als würden sich in einem Krieg die Fronten verschieben.
2007 war, wie oben erläutert, die sozialistische Kandidatin Royal nur in der Bretagne, in der westlichen Mitte und im Südwesten erfolgreich gewesen. Jetzt haben sich diese drei Zonen ausgedehnt und dabei Lücken geschlossen:
Hollande hat in der Bretagne das letzte noch fehlende Département Morbihan erobert. Die Lücke zwischen den beiden Zonen in der westlichen Mitte und dem Südwesten (die Départements Lot-et-Garonne und Tarn-et-Garonne) ist verschwunden; und diese beiden Zonen haben sich nach Norden und Osten hin ausgedehnt. Im Norden reicht der Bereich der sozialistischen Dominanz jetzt bis zu den Départements Cher und Nièvre; im Osten bis an die Rhône und an einer Stelle (Département Isère) sogar über diese hinaus. Dazu sind im traditionell rot wählenden Norden an der Kanalküste eine Reihe Départements wieder an die Sozialisten zurückgefallen, die Ségolène Royal 2007 verloren hatte.
Sarkozy bleiben im wesentlichen nur noch zwei Zonen: Der Westen Frankreichs, vom Département Meuse im Norden bis zur Côte d'Azur, und eine von Osten nach Westen reichende Zone vom Rhein bis an die Loire.
Zum Teil erklärt sich diese politische Geografie historisch. Eine wesentliche Rolle spielen auch wirtschaftliche Faktoren, wie Sie an dieser Karte der Einkommensverteilung sehen können: In der Tendenz wählen Regionen mit niedrigerem durchschnittlichem Einkommen links und Regionen mit höherem Einkommen rechts.
Womit noch nicht unbedingt etwas über die Kausalität gesagt ist. Die Wirtschaftslage beeinflußt nicht nur das Wahlverhalten; sondern welche politische Richtung in einer Region regiert, das wirkt sich auch auf die dortige Wirtschaftslage aus.
Zettel
© Zettel. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Für Kommentare bitte hier klicken. Fotos vom Autor Guillaume Paumier unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic-Lizenz freigegeben. Beide Fotos wurden während des Wahlkampfs 2007 aufgenommen. Grafik vom Autor @lankazame in die Public Domain gestellt.