Schlag zwölf um Mitternacht zum heutigen Samstag wurde in Frankreich, wie das Gesetz es befiehlt, der Wahlkampf beendet. Seither ist auch die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen verboten; beides bis zur Schließung der letzten Wahllokale morgen um 20 Uhr. Das sind die Wahllokale in den Großstädten; die übrigen schließen schon um 18 oder 19 Uhr.
Auch Wahlergebnisse und Hochrechnungen dürfen vor diesem Zeitpunkt nicht publik gemacht werden. In den USA beispielsweise wäre eine solche Sperrfrist undenkbar; dort gehen die Ergebnisse jedes Wahllokals sofort - und oft auf direktem Weg - in die Rechner von CNN und der anderen Nachrichtensender. Aber in Frankreich denkt man eben auch in diesem Punkt zentralistisch: Paris entscheidet; und in Paris kann nun einmal bis 20 Uhr gewählt werden. Bis dahin wird anderswo gezählt, aber das Ergebnis bleibt geheim.
Die internationalen Agenturen sind an diese gesetzliche Regelung nicht gebunden; und das Internet wird sich nicht an sie halten. Dadurch entsteht eine einigermaßen abwegige Situation: Ab 19 Uhr werden die ersten Ergebnisse und bald auch Hochrechnungen intern vorliegen und international publik werden. Jeder, der sich dafür interessiert, wird sie kennen. Aber die Nachrichtensendungen, die Zeitungen dürfen bis 20 Uhr kein Wort darüber bringen; die Strafandrohung beträgt 75.000 Euro.
Der Präsident des Verfassungsrats und frühere Präsident der Nationalversammlung Jean-Louis Debré hat angesichts dieser Absurdität vorgeschlagen, die Wahllokale künftig zu einem einheitlichen Termin zu schließen. Offenbar hält er es für juristisch möglich, das sogar schon in vierzehn Tagen beim zweiten Wahlgang so zu handhaben.
Morgen jedenfalls wird international ab 19 Uhr über die Ergebnisse berichtet werden; dann beginnt voraussichtlich auch die Berichterstattung hier in ZR.
Wie sehen die letzen Umfragen aus; welche Prognosen lassen sich daraus für das morgige Ergebnis entnehmen?
Der Nouvel Observateur hat heute den Verlauf der Umfrageergebnisse für alle Kandidaten und bei allen Instituten seit dem 1. Februar in übersichtlichen Grafiken zusammengestellt. Es lohnt sich, sich das einmal anzusehen, auch wenn Sie nicht Französisch lesen.
Man sieht, wie trotz starker Abweichungen bei den einzelnen Werten sich doch bei allen Instituten dieselben Trends wiederfinden:
Gestern habe ich in der ersten Folge dieser Serie am Ende des Artikels eine Prognose gewagt. Diese jetzigen Daten zur Dynamik der Kandidaten vor allem in den letzten Tagen stimmen mit ihr überein, bis auf einen Punkt: Ich halte es jetzt für wahrscheinlich, daß Hollande knapp vor Sarkozy durchs Ziel gehen wird.François Hollande war im Februar stabil bei 29 bis 30 Prozent, sackte über den März hinweg stetig ab und zeigt seit Anfang April wieder einen Anstieg, der ihn auf jetzt (im Schnitt der Institute) ungefähr 29 Prozent bringt. Nicolas Sarkozy erlebte von Anfang Februar bis Ende März einen stetigen Aufstieg von 24 Prozent auf 29 Prozent und ist im April wieder allmählich auf 27 Prozent zurückgegangen. Berücksichtigt man diese Dynamik, dann ist es wahrscheinlich, daß morgen Hollande vor Sarkozy liegen wird, auch wenn die Momentaufnahme sie nah beieinander sieht. Marine Le Pen startete sehr hoch bei ungefähr 18 Prozent, fiel bis Anfang April auf ungefähr 15 Prozent und zeigt seither wieder einen Aufwärtstrend; spiegelbildlich zum Abwärtstrend Sarkozys. Jean-Luc Mélenchon lag den Februar über bei nur 8 bis 9 Prozent, erlebte dann einen steilen Aufstieg auf ungefähr 15 Prozent und geht seither wieder leicht zurück. Berücksichtigt man auch hier die Dynamik und nicht nur die letzten Daten, dann spricht das für einen deutlichen Vorsprung von Le Pen vor Mélenchon bei der morgigen Wahl. Für François Bayrou ging es langsam, aber stetig abwärts von den anfänglichen ungefähr 13 Prozent auf die 10 Prozent, bei denen er sich seit Anfang April hält. Interessant sind noch die untersten Grafiken in diesem Artikel. Sie zeigen, daß zwei der "kleinen" Kandidaten in letzter Minute ihre Zahlen fast verdoppelt haben: Der Linksextreme Philip Poutou, der lange weit unter einem Prozent lag und jetzt eher in die Nähe von zwei Prozent gestiegen ist; sowie der europakritische gaullistische Dissident Nicolas Dupont-Aignan, der einen fast identischen Verlauf zeigt.
Zettel
© Zettel. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Für Kommentare bitte hier klicken. Fotos vom Autor Guillaume Paumier unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic-Lizenz freigegeben. Beide Fotos wurden während des Wahlkampfs 2007 aufgenommen.