26. Februar 2012

"CIA glaubt nicht an Teherans Bombe" schreibt "Spiegel-Online". Der wahre Sachverhalt ist etwas anders. Anmerkungen zum politischen Hintergrund


"Iran-Atomprogramm - CIA glaubt nicht an Teherans Bombe" betitelt "Spiegel-Online" einen Artikel, der gestern gegen Mittag publiziert wurde.

Falls Sie das gelesen haben, mag Ihre Reaktion eine gewisse Verwunderung gewesen sein. Die Gefahr einer iranischen Atomrüstung ist ja ständig in den Medien. Gerade erst am Freitag ist ein besorgniserregender Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) publiziert worden. Und da soll die CIA "nicht an Teherans Bombe glauben"?

Über den aktuellen Bericht der IAEA schreibt gestern beispielsweise das "Handelsblatt":
Die US-Regierung hat sich über einen neuen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde zum Iran besorgt gezeigt. Der Bericht zeige, dass die Islamische Republik mit ihrem Atomprogramm gegen UN-Resolutionen verstoße, erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, Tommy Vietor, am Freitag in Washington. (...)

Dem IAEA-Bericht zufolge hat der Iran seine Atomanreicherung deutlich ausgebaut. Möglicherweise habe das Programm eine militärische Dimension.
Nicht wahr, da ist es schon etwas seltsam, daß die CIA "nicht an Teherans Bombe glaubt". Genauer: Es wäre seltsam, wenn es denn der Fall wäre. Es ist aber nicht der Fall.



"Spiegel-Online" hat sich wieder einmal an die New York Times (NYT) angehängt; aber wie ebenfalls so oft gibt man dem, was in der NYT differenziert dargelegt wird, einen propagandistischen Dreh.

Den Artikel von James Risen und Mark Mazzetti, der am Freitag online und am Samstag leicht verändert in der Druckausgabe der NYT erschien, finden Sie hier.

Aus ihm geht keineswegs hervor, daß die CIA "nicht an Teherans Bombe glaubt". Sondern es heißt: "American intelligence analysts continue to believe that there is no hard evidence that Iran has decided to build a nuclear bomb" - Amerikanische Geheimdienst-Analytiker glauben weiterhin, daß es keine harten Beweise dafür gibt, daß der Iran die Entscheidung getroffen hat, eine Atombombe zu bauen.

Kritisch an dieser Aussagen sind die Formulierungen "keine harten Beweise" und "Entscheidung getroffen hat".

"Keine harten Beweise": Die CIA hat - das wird in dem Artikel der NYT ausführlich dargelegt - als Reaktion auf ihr Fiasko im Vorfeld des Irakkriegs grundlegende Änderungen ihrer Auswertungs- und Entscheidungsverfahren getroffen.

Damals hatte man auf Erkenntnisse über die Atomrüstung Saddam Husseins vertraut, die sich später eben nicht als "harte Beweise" herausstellten. Die Analysten der CIA sind deshalb jetzt angewiesen, bis zu den Ursprungsquellen (raw sources) zurückzugehen und diese auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen; sie müssen auch im Detail begründen, aufgrund welcher Belege sie zu welchen Folgerungen gekommen sind.

Sie sind also vorsichtiger geworden, Folgerungen zu ziehen. Wenn sie etwas nicht sicher wissen, dann sagen sie, daß sie es nicht sicher wissen.

Und das ist der Stand der Dinge in Bezug auf die Atomrüstung des Iran. Die NYT zitiert einen früheren Top-CIA-Beamten, David A. Kay: "They don't have evidence that Iran has made a decision to build a bomb, and that reflects a real gap in the intelligence" - Sie haben nicht die Beweise dafür, daß der Iran die Entscheidung getroffen hat, eine Bombe zu bauen, und darin zeigt sich eine wirkliche Lücke in den Erkenntnissen.

Wenn jemand sagt, daß er nicht mit hinreichender Sicherheit weiß, ob X der Fall ist, dann ist das bekanntlich etwas anderes, als wenn er sagt, er wisse mit hinreichender Sicherheit, daß X nicht der Fall ist. "Ich weiß nicht sicher, ob morgen beim Lotto eine 27 gezogen wird" ist nicht deckungsgleich mit der Aussage "Ich weiß sicher, daß morgen nicht eine 27 gezogen wird".

"Entscheidung getroffen hat". Es geht in dem Artikel der NYT nicht darum, ob der Iran dabei ist, die Voraussetzungen für den Bau einer Atombombe zu schaffen. Es geht allein um die Frage, ob bereits die Entscheidung gefallen ist, jetzt mit dem Bau von Sprengköpfen zu beginnen:
There is no dispute among American, Israeli and European intelligence officials that Iran has been enriching nuclear fuel and developing some necessary infrastructure to become a nuclear power. But the Central Intelligence Agency and other intelligence agencies believe that Iran has yet to decide whether to resume a parallel program to design a nuclear warhead (...).

Es gibt zwischen amerikanischen, israelischen und europäischen Geheimdienstlern keine Differenzen darüber, daß der Iran nuklearen Brennstoff anreichert und Einiges an Infrastruktur entwickelt, was erforderlich ist, um Atommacht zu werden. Aber die Central Intelligence Agency und andere Geheimdienste glauben, daß der Iran erst noch die Entscheidung treffen muß, ein paralleles Programm für die Konstruktion eines nuklearen Gefechtskopfs wieder aufzunehmen.
Was mit diesem "wieder aufnehmen" gemeint ist, hat der Geheimdienstchef James R. Clapper Jr. am 31. Januar vor dem Geheimdienstausschuß des US-Senat gesagt:
They are certainly moving on that path, but we don't believe they have actually made the decision to go ahead with a nuclear weapon, ... made a decision on making a concerted push to build a weapon"; sie hätte noch nicht

Sie bewegen sich mit Sicherheit auf diesem Weg, aber wir glauben nicht, daß sie auch bereits die Entscheidung gefällt haben, jetzt mit der Atomwaffe loszulegen, ... entschieden haben, einen konzentrierten Vorstoß zum Bau einer Waffe zu unternehmen.
Also: Nicht um die Existenz eines militärischen Atomprogramms geht es, sondern lediglich um die Entscheidung, mit der Konstruktion eines atomaren Gefechtskopfs jetzt in einem "konzentrierten Vorstoß" zu beginnen. Und zweitens: In Bezug auf diese Entscheidung liegen den amerikanischen Geheimdiensten keine harten Beweise vor, daß sie bereits gefallen ist. (Frühere Berichte deuteten darauf hin, daß ein solches Konstruktionsprogramm im Jahr 2003 angehalten worden war). Aber es gibt ebensowenig Belege dafür, daß sie nicht bereits gefallen ist.

Die Schlagzeile "Iran-Atomprogramm - CIA glaubt nicht an Teherans Bombe" gibt diesen Sachverhalt, wie ihn James Risen und Mark Mazzetti darlegen, grob irreführend wieder.



Die beiden Autoren arbeiten im Washingtoner Büro der NYT; Mazzetti ist dort für Sicherheitspolitik zuständig. Ihr Artikel ist einer jener Hintergrund-Artikel, in denen die Korrespondenten in der Hauptstadt das verarbeiten, was sie an Informationen aus den Ministerien, dem Kongreß, den Geheimdiensten erhalten.

Das Erscheinen solcher Artikel ist deshalb oft auch ein Hinweis darauf, welche Informationen die betreffenden Quellen gern an die Öffentlichkeit geben würden, was sie "durchsickern" lassen; was - wie man in Deutschland sagt - "unter drei", also vertraulich, mitgeteilt wird.

Das Thema der iranischen Atomrüstung beschäftigt derzeit die US-Regierung intensiv; und zwar im Hinblick auf die Gefahr einer Eskalation im Nahen Osten ausgerechnet in diesem Wahljahr. Ein israelischer Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm würde mit großer Wahrscheinlichkeit die Ölpreise explodieren lassen und damit den zaghaften Wirtschaftsaufschwung in den USA gefährden, auf den sich die gegenwärtig steigenden Aussichten Obamas auf eine Wiederwahl wesentlich gründen.

Das Internet-Magazin Slate brachte am Freitag einen Artikel mit der folgenden Schlagzeile und Zusammenfassung, die Sie gegenwärtig noch auf der Startseite lesen können:
UN. Watchdog: Iran Rapidly Expanding Nuclear Program. A new report suggests that the Islamic republic may be prepping for nuclear missile experiments.

UN-Überwacher: Der Iran weitet sein Atomprogramm mit hoher Geschwindigkeit aus. Ein neuer Bericht läßt vermuten, daß die Islamische Republik Experimente mit Atomraketen vorbereiten könnte.
Dieser Artikel erschien am Freitag um 19.53 MEZ. Am gestrigen Samstag um 17.44 Uhr MEZ wurde die Überschrift und die Zusammenfassung wie folgt geändert:
U.S. Analysts: Iran Still Not Building Bomb. Intelligence agencies have doubts about whether Tehran has decided to build a nuclear warhead.

US-Analytiker: Iran baut Bombe noch nicht. Geheimdienste haben Zweifel darüber, ob Teheran die Entscheidung getroffen hat, einen nuklearen Gefechtskopf zu bauen.
Der ursprüngliche Text ist unter dieser neuen Überschrift weiter zu lesen; aber ihm geht jetzt ein Update voraus, in dem es heißt:
Although the U.N. Nuclear Watchdog said Friday that Iran has sped up its program to enrich uranium, U.S. intelligence analysts still think there's no real evidence that Iran has actually made the decision to build a nuclear bomb, reports the New York Times.

Obwohl laut dem Bericht der UN-Überwacher vom Freitag der Iran sein Programm zur Anreicherung von Uran beschleunigt, sind US-Geheimdienstanalysten weiter der Meinung, daß es keine wirklichen Beweise dafür gibt, daß der Iran auch tatsächlich die Entscheidung getroffen hat, eine Atombombe zu bauen. Das berichtet die New York Times.
Jedenfalls in den Augen der Redaktion von Slate ist der Artikel in der NYT also als eine Korrektur, als ein Gegengewicht zu dem Bericht der UN-Überwacher zu verstehen.



Wie sich das aus israelischer Sicht darstellt, konnte man am Freitag in Haaretz lesen. Dort schreibt der Sicherheitsexperte (u.a. Autor eines Buchs über den Irakkrieg) Avigdor Haselkorn, scheinbar befänden sich die Obama-Regierung und der Iran in einer harten Konfrontation. Tatsächlich aber führten die USA und Teheran einen "gemeinsamen Tango" auf mit dem Ziel, Israel an einem Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm zu hindern.

Auch Haselkorn sieht das im Zusammenhang mit den Wahlen in den USA, die aus seiner Sicht andererseits Israel zu einem solchen Schlag motivieren könnten:
For Israel the period before the U.S. elections provides a window of opportunity for a military undertaking, as the political campaign in the United States would likely blunt the expected backlash from Washington. Mr. Obama will hesitate to punish Israel harshly and risk the Jewish and pro-Israel vote if he judges such a reaction would endanger his chances for a second term. However, the same elections clock also indicates Mr. Obama has no intention of taking military action against Iran, at least for the duration.

There is little doubt Tehran understands these realities as well. By its clock, this is the right time to push for the bomb without fear of an American military sanction. Further that, for Iran, now is the time to help Mr. Obama restrain Israel and in effect to enlist the American president to pave the way for Iran getting the bomb.

Für Israel bietet die Zeit vor den Wahlen in den USA ein günstiges Zeitfenster für eine militärische Unternehmung, denn der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten würde die zu erwartende Reaktion aus Washington wahrscheinlich stumpf machen. Obama wird zögern, Israel hart zu bestrafen und damit die jüdischen und pro-israelischen Stimmen zu riskieren, wenn nach seinem Urteil eine solche Reaktion seine Chance auf Wiederwahl gefährden würde. Jedoch bedeutet dieser Wahlkampfkalender auch, daß Obama zumindest solange nicht die Absicht hat, gegen den Iran militärisch vorzugehen.

Es gibt kaum einen Zweifel, daß auch Teheran diese Realitäten versteht. Nach seinem Kalender ist jetzt die Zeit gekommen, den Bau der Bombe ohne Angst vor einer militärischen Sanktion durch die USA voranzutreiben. Darüber hinaus ist für den Iran jetzt die Zeit gekommen, Obama bei der Zügelung Israels zu unterstützen, ja den amerikanischen Präsidenten dafür einzuspannen, der iranischen Bombe den Weg zu ebnen.
Das mag pointiert formuliert sein; man mag Haselkorn nicht in seiner Analyse folgen. Jedenfalls wären die iranische wie auch die israelische Regierung mit Blindheit geschlagen, wenn sie nicht die Situation Obamas als eines Präsidenten, der hart um seine Wiederwahl kämpfen muß, in ihre Entscheidungen einbeziehen würden.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Der iranische Nuklearreaktor IR40 in Khondab, 40 Km von Arak. Vom Autor Nanking2010 ohne Einschränkungen freigegeben. Für vergrößerte Ansichten bitte auf das Bild klicken oder doppelklicken.