17. Dezember 2011

Marginalie: "Weil du arm bist, mußt du früher sterben". Eine Pressemitteilung der Fraktion "Die Linke" und was daraus wurde

Das Thema ist nicht eben neu. Im Jahr 1956 brachte der "Gloria"-Filmverleih den Film "Weil du arm bist mußt du früher sterben" in die Kinos. Er wurde als der "mutigste und aktuellste Film des Jahres" beworben; und den Kinobesitzern versicherte die "Gloria": "25 Millionen sind versichert! 25 Millionen warten auf diesen Film!" Der Film (Regisseur Paul May; unter den Darstellern Bernhard Wicki, Hans Christian Blech und Ilse Steppat) floppte aber.

Einen Kassenhit hatte die "Gloria"-Chefin Ilse Kubaschewski sich nicht nur wegen der 25 Millionen erhofft, sondern auch deswegen, weil die literarische Vorlage zu dem Buch - ein gleichnamiger Roman von Hans Gustl Kernmayr - gerade als Illustriertenserie abgedruckt worden war und viel Aufsehen erregt hatte. In den späten fünfziger Jahren wurde dieses "Weil du arm bist, mußt du früher sterben" nachgerade zum geflügelten Wort.



Jetzt also auf ein Neues. Die meisten Medien brachten im Lauf dieser Woche Meldungen wie "Wer arm ist, stirbt früher" oder "Reiche leben länger". sueddeutsche.de titelte "Armutszeugnis - Wie fehlender Wohlstand die Lebens-erwartung dämpft". In diesem dreiteiligen Artikel brachte es der Autor Werner Bartens fertig, mit keinem Wort auf die Quelle einzugehen, aus der sich die betreffenden Meldungen dieser Woche speisten: Es ist eine Pressemitteilung der Fraktion "Die Linke" im Bundestag vom vergangenen Montag. Darin heißt es unter der Überschrift "Rente erst ab 67 ist Altersarmut per Gesetz":
"Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zeigt deutlich: Die Rente erst ab 67 befördert die Altersarmut. Und sie wird Geringverdiener besonders hart treffen. Das allein ist Grund genug, sie sofort zu stoppen und zurückzunehmen", fordert Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, angesichts der Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage "Rente erst ab 67 – Risiken für Jung und Alt“, BT-Drs. 17/7966 sowie auf die ergänzende schriftliche Frage zu den aktuellen Beschäftigungsquoten von ab 60-Jährigen. Birkwald weiter:

"Gerade für Geringverdiener wird die regierungsoffizielle Begründung für die angebliche Notwendigkeit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters zum blanken Hohn. Denn ihre Lebenserwartung hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht etwa erhöht, sondern um zwei Jahre, im Osten sogar um fast vier Jahre verringert. (...)"
Damit war die Behauptung in der Welt; sie breitete sich im Lauf der Woche durch die Medien aus.

Und wie ist es wirklich? Die "Saarbrücker Zeitung" hatte die Meldung als eine der ersten gebracht, weswegen sie oft als die Quelle zitiert wurde. In einem anschließenen Artikel hatte sie dann aber, journalistisch fair, selbst auf die Fragwürdigkeit der betreffenden Zahlen hingewiesen:
Die Deutsche Rentenversicherung Bund bestätigte zwar die Zahlen, stellte aber zugleich klar, dass diese auf einer so geringen Fallzahl beruhten, dass sie "nicht als Trendaussage interpretiert werden" könnten.

Ein Sprecher des Bundesarbeitsministerium sagte: "Es gibt keinerlei belastbare Anzeichen dafür, dass der grundsätzliche Trend zu einer höheren Lebens-erwartung quer durch alle Einkommensgruppen gebrochen wäre." Die in der "Saarbrücker Zeitung" zitierten Zahlen bezögen sich auf eine statistische Auffälligkeit in einer Sonderauswertung der Rentenversicherung, "die auch noch falsch interpretiert wurde".

Die genannten Zahlen seien "weder repräsentativ noch aussagekräftig, um belastbare Aussagen über die Lebenserwartung von Niedrigverdienern zu treffen". Die Daten deckten sich zudem nicht mit den Daten des Statistischen Bundesamtes über eine steigende Lebenserwartung der Bevölkerung über alle Bevölkerungs- und Einkommensgruppen hinweg.
Wenn Sie sich im einzelnen darüber informieren wollen, wie falsch die Darstellung der Fraktion "Die Linke" ist und wie die tatsächlichen Daten aussehen, dann lesen Sie bitte den ausgezeichneten Artikel im Demografie-Blog.



Aber die Ente watschelte nun einmal. Die Schreckens-meldung, daß angeblich arme Menschen jetzt eine geringere Lebenserwartung haben also noch vor einigen Jahren, war offenbar nicht mehr aus der Welt zu bekommen.

Die Behauptung, daß bei Armen die Lebenserwartung sinkt, ist also keinesfalls belegt. Tatsächlich aber ist es auch heute noch so, wie es auch schon vor einem halben Jahrhundert war: Die Lebenserwartung, die in allen Gruppen weiter zunimmt, korreliert zugleich in der Tat mit dem Einkommen. Aber aus einer Korrelation kann man bekanntlich nicht ohne weiteres auf eine Verursachung schließen. Fast jeder kennt inzwischen das Beispiel der Korrelation zwischen der Zahl der Storchennester und der Geburtenrate; weitere Beispiele und eine wissenschaftliche Erläuterung finden Sie hier.

Für die Korrelation zwischen dem Einkommen und der Lebenserwartung gibt es eine Reihe seit langem bekannter Ursachen. Patrick Bernau hat sie gestern in der FAZ noch einmal aufgelistet:
  • Arme haben weniger Freunde und sind deshalb weniger glücklich; ein wesentlicher Faktor für die Lebenserwartung.

  • Sie haben mehr Sorgen als Wohlhabende; auch das ein kritischer Faktor.

  • Sie essen schlecht. Das ist kein Problem des Einkommens, sondern des Interesses an gesunder Ernährung.

  • Häufigere Krankheit. Bernau: "Oft werden Menschen nicht krank, weil sie arm sind, sondern umgekehrt: Menschen werden arm, weil sie krank sind. Die Krankheit nimmt ihnen die Möglichkeit, auf gut bezahlten Stellen zu arbeiten. Auch so kommen viele Kranke in die Armutsstatistik."

  • Unter Geringverdienern sind mehr Raucher als unter gut Verdienenden.

  • Sie gehen seltener zum Arzt.
  • Das sind Faktoren, die überwiegend nicht Folge geringen Einkommens sind, sondern die zu Verhaltensmustern der Unterschicht gehören. Auch der Geringverdienende hat Anspruch auf ärztliche Behandlung; auch er kann Nichtraucher sein, sich gesund ernähren und viele Freunde haben. Aber er verhält sich eben - statistisch gesehen - seltener so als die übrige Bevölkerung.

    Das ist ein Problem schichtspezifischen Verhaltens, nicht der Höhe des Einkommens. Mit dem Renten-Eintrittsalter, zu dem die Fraktion "Die Linke" einen Zusammenhang konstruieren will, hat es schon gar nichts zu tun.
    Zettel



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