18. November 2011

Zur Schuldenkrise: "Ansteckungsgefahren"

Eines der Schlagworte, mit denen man sich in Politik und Medien über die gegenwärtige europäische Schuldenkrise verständigt, ist die Metapher der "Ansteckung" bzw. der "Ansteckungsgefahr". Was ist damit eigentlich genau gemeint?

Unstrittig ist – um im Bereich der medizinischen Metaphorik zu bleiben – das Symptom einer Ansteckung: Die Kurse der bereits auf dem Markt befindlichen Staatsanleihen sinken; die Rendite steigt in den oberen einstelligen Bereich (oder noch weiter). Ein infiziertes Land muß immer höhere Zinsen bezahlen, um sein (anscheinend gottgegebenes) Recht, auf Pump zu leben, auf den Märkten faktisch durchsetzen zu können.

Auch bei der Behandlung ist sich die europäische Politik einig: Geld ist die Panazee. Strittig ist lediglich, ob die bedrohten Länder besser geschützt werden können, indem man um diese eine Mauer aus Bürgschaften, also aus nicht vorhandenem Geld baut, oder ob man lieber Herrn Draghi mit einer gigantischen Bazooka ausstattet, mit der er frisch gedrucktes Geld direkt in die Finanzministerien der Krisenländer schießen kann.

Um zu beurteilen, wie erfolgreich diese Abwehrmaßnahmen sein können, wäre es sicher sinnvoll, etwas mehr über die Verbreitung der Infektion zu wissen. Wieso hat die griechische Krankheit erst die übrigen PIIGS erwischt, und wieso zeigen sich jetzt selbst bei AAA-Ländern wie den Niederlanden, Österreich und Frankreich erste Symptome?

Da Käufer und Verkäufer von Staatsanleihen bekanntlich keine Fragebögen ausfüllen müssen (und Nicht-Käufer ebenso wenig), in denen sie über die Motive ihrer Anlage-Entscheidungen Auskunft geben, kann man hier letztlich nur spekulieren, aber kann es nicht auch daran liegen, daß europäische Politiker – die deutschen vorneweg – zunehmend den Eindruck erwecken, daß sie Staatsschulden als eine Form von Ehrenschulden betrachten, deren Rückzahlung vollständig im Belieben des Schuldners wie auch seiner europäischen Partner liegt?

Kann es nicht sein, daß die (potentiellen) Investoren durchaus zu Recht nervös werden, wenn sich erst die deutschen Parteien in Forderungen nach einer "Gläubigerbeteiligung" (sprich: einer Enteignung der Anleihenkäufer) überbieten, weil diese ja angeblich so viel Geld mit griechischen Bonds verdient hätten, und wenn dann auf EU-Gipfeln ein "Schuldenschnitt" verkündet wird, dem die Banken zwar zugestimmt haben, der aber ebenso "freiwillig" war wie eine "flexible Frauenquote" für Vorstände, hinter der die Drohung steht, bei einem "Versagen" der Wirtschaft zum Mittel der gesetzlichen Regelung zu greifen?

Wenn sich EU-Politiker zunehmend wie Führer von Bananenrepubliken benehmen, in denen über die Rückzahlung von Krediten je nach der aktuellen Kassenlage entschieden wird, kann man sich da eigentlich noch darüber wundern, daß man auch die Zinsen einer Bananenrepublik zu zahlen hat?
DrNick



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