18. August 2011

Zitat des Tages: "Die Autobrandstiftungen folgen der Logik des Terrors". Gustav Seibt über linksterroristische Spießer in Berlin

Doch die Autobrandstiftungen folgen schon längst der Logik des Terrors, denn sie sollen die Wohlhabenden ja ausdrücklich aus den Gebieten vergraulen, in denen sie nach Meinung linksautonomer Kiezwächter nichts zu suchen haben. Dass es dabei ungewollte Zusatzopfer geben kann, wird ausdrücklich in Kauf genommen: "Wo gehobelt wird, fallen Späne", erklärte bereits 2009 ein anonymer Unterstützer der Szene in der taz.
Gustav Seibt in der Internetausgabe der "Süddeutschen Zeitung" über die aktuelle Welle von Brandanschlägen in Berlin.

Kommentar: In der Nacht zum Dienstag wurden in Berlin-Charlottenburg elf Autos angezündet, in der Nacht zu gestern fünfzehn in verschiedenen Stadtteilen. Für die Nacht auf heute werden aktuell neun angezündete Autos gemeldet. Bisher sind es in Berlin in diesem Jahr 147; im ganzen Jahr 2010 waren es 54 gewesen. Die Täter werden dreister.

Die Polizei betont immer wieder, daß es schwer ist, solche Täter auf frischer Tat zu fassen; denn zwischen dem Legen des Brands und dessen Entdeckung vergeht meist soviel Zeit, daß die Täter sich inzwischen aus dem Staub machen können. Das ist zweifellos richtig. Versagt hat nicht die Polizei. Zu fragen ist aber, wie effizient eigentlich der Berliner Verfassungsschutz die linksextreme Szene überwacht.

Das - wie es in linksextremen Kreisen genannt wird - "Abfackeln" von Autos, um unliebsame Bewohner des betreffenden Wohngebiets zu vertreiben, kommt ja nicht aus dem Nirwana. Es kommt aus einer linksextremen kriminellen Szene, die eigentlich vom Verfassungsschutz überwacht werden sollte. Einer Szene, die ja nicht erst neuerdings die Brandschatzung als Mittel des Terrors einsetzt; und auch nicht nur gegen Wohlhabende, sondern beispielsweise auch gegen die Autos von Polizisten.

Bis vor einiger Zeit wurden die Aktivitäten dieser Politkrimineller recht unbefangen im Internetportal Indymedia dokumentiert und diskutiert. Inzwischen ist man vorsichtiger geworden; aber man kann immer noch Beiträge wie diesen lesen:
Haut die Bullen platt wie Stullen!

Created by: Autonome SpaziergängerInnen. Created on: 20.02.2011 - 03:57. Happened on: Sunday, 20. February 2011. Comments: 10>

wir haben in der nacht auf den 20.02. eine bullenkarre am revier nord angezündelt.
damit haben wir ein zeichen gegen die willkürliche polizeigewalt gegen linke aktionen und projekte in dresden gesetzt.

kei vergebe, kei vergesse - bulle ham au name un adresse (un autos)
Schon im November 2009 schrieb die "Frankfurter Rundschau" über Brandstiftungen an Autos:
Die Polizei vermutet die allermeisten Täter in der linksextremistischen Szene. Es liegen etwa 15 bis 20 entsprechende Bekennerschreiben vor, die das "Abfackeln" von Luxusautos feiern.
Handelt es sich um Einzeltäter, die so wenig in ihrer Szene verankert sind, daß es schwer ist, sie mit den üblichen geheimdienstlichen Methoden zu ermitteln (siehe Tätertyp "Einsamer Wolf"; ZR vom 30. 7. 2011)? Nichts spricht dafür. Noch einmal die "Frankfurter Rundschau":
Über das Warum konnte man sich vor ein paar Tagen im Haus der taz informieren. Das Berliner Blatt hatte angesichts lodernder Limousinen zum Gesprächsabend geladen. Thema: "Wo brennt's? Ist Autoabfackeln politisch?"

Heraus kam ein bisschen Motivlage, die ungefähr beschreibt, worum es den Zündlern geht. "Warum sollten sie es nicht sein?", antwortete Tim Laumeyer, ein Sprecher der "Antifaschistischen Aktion" auf die Frage, ob er brennende Autos politisch finde. Auf alle Fälle sei der Effekt politisch. Laumeyer: "Die Leute, die viel Geld haben, überlegen sich jetzt zweimal, ob sie sich ein Haus oder eine Eigentumswohnung in Kreuzberg kaufen."
Jetzt, mitten im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus, versucht die sozialdemokratisch-kommunistische Regierung, diese Taten hingegen als unpolitisch darzustellen. Frida Thurm gestern in "Zeit-Online":
Was teilweise als linksradikale Tat eingestuft wird, sei in vielen Fällen reine Brandstiftung, sagte die Sprecherin des Berliner Innensenators, Nicola Rothermel-Paris. Auch Innensenator Erhart Körting gibt zu, man wisse nichts über den oder die Täter, oft spiele Nachahmung eine Rolle. Polizeisprecher Neuendorf ist davon überzeugt, dass die neuen Brände nichts mehr mit politischen Taten zu tun haben.
Man weiß also, sagt Körting, nichts über die Täter. Aber seine Sprecherin und der Sprecher der Polizei wissen, daß sie keine politischen Motive haben. Bemerkenswert.

Die Taten hätten sich "von den Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain, in denen gegen Gentrifizierung gekämpft wird, in bürgerliche Stadtteile wie Charlottenburg verlagert", führt Neuendorf als Beleg für seine erstaunliche Erkenntnis ins Feld. Gustav Seibt sieht das realistischer:
Dass jetzt das Einsatzgebiet der Auto-Anzünder potentiell aufs ganze Stadtgebiet ausgedehnt wird, zeigt eine Dynamik, die sich gegen das "System" insgesamt richtet. Die Botschaft kann nur lauten: Kein Reicher soll sich hier mehr sicher fühlen. Und "reich" ist dann schon der Handwerker, für den der Mercedes zu den Grundlagen seiner Arbeitsfähigkeit zählt. (...) Selbst eingesessene Berliner, deren Outfit nicht den passenden Stallgeruch vermittelt, müssen sich auf der Straße anpöbeln lassen, sie sollten bleiben, wo sie herkämen.
Es ist die klassische Methode des Terrors: Durch Pöbeln, durch physische Gewalt, durch die Vernichtung von Eigentum soll anderen der eigene politische Wille aufgezwungen werden.

Auch "einsame Wölfe" wollen das; aber sie sind schwer zu fassen, weil sie nicht mit einem politisch-sozialen Umfeld kommunizieren. Ganz anders sieht das bei den "autonomen" Gewalttätern aus. Gustav Seibt:
Und hier kommen doch wieder die Grünen ins Spiel. (...) Im Wahlprogramm der Grünen für Friedrichshain-Kreuzberg wird gefordert, Nachmodernisierungen mit Parkettböden und vollverkachelten Bädern zu unterbinden, damit die Mieten nicht steigen; da solche Sanierungen nicht meldepflichtig sind, seien "die BewohnerInnen aufgerufen, dem Bezirk entsprechende Vorhaben zu melden".

Natürlich sind verbürgerlichte Alternative gegen brennende Autos, aber ein paar Blockwartdienste zum Wohl der Volksgemeinschaft im Kiez dürfen schon sein. Die in den Nachwendejahren fast beispiellose Freiheitlichkeit Berlins droht zwischen linksterroristischen Spießern und verschreckten Normalbürgern zerrieben zu werden.
Ändern würde das nur ein neuer Senat können, der von CDU und FDP gestellt wird und der Ernst macht mit der Überwachung der linksextremen Szene durch den Verfassungsschutz. Aber darauf zu hoffen wäre illusionär. Nach den letzten Umfragen wird die FDP bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Die CDU liegt bei ungefähr 20 Prozent.



Gustav Seibt, dem für seine klaren Worte zu danken ist, ist Journalist, Literaturwissenschaftler und promovierter Historiker. Er ist Träger des Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (1995), des Hans-Reimer-Preises der Aby-Warburg-Stiftung (1999) und des Deutschen Sprachpreises (2011).
Zettel



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