9. August 2011

Die Immobilienblase im Rückblick

Die Kollegen von Calculated Risk haben die Entwicklung der Immobilienpreise in den USA grafisch eindruckvoll grafisch aufbereitet. Da wir jetzt wieder dort sind, wo wir real 1990 schon waren, bietet sich ein Rückblick auf die Achterbahnfahrt vor allem des letzten Jahrzehnts an. Was sich getan hat, wer Schuld haben könnte und wie die Rettungsmaßnahmen zur Entstehung der Tea Party - Bewegung beitgetragen haben.

Der Beginn der Immobilienblase kann auf Bereich um die Jahre 1997/1998 datiert werden, wenn man sich bloß den Verlauf der realen Häuserpreise ansieht. In der Literatur wird aber heftig gestritten, ob man nicht auch die Bewegung im Vorfeld etwa bis 2000 noch als Aufholprozeß begreifen kann. Rosser datiert den Beginn der Blase mit Argument des auseinanderlaufenden Miete/Eigentum-Kostenverhältnisses aber auch schon auf 1998, während Case/Shiller einen rapiden, damals erst blasenverdächtigen Anstieg, erst ab 2000 sehen.
Die genaue Lokalisierung des Startzeitpunktes könnte helfen, eine Ursache zu ermitteln. Je nach Zeitpunkt werden dazu zahlreiche Vorschläge gemacht, die sich auch gesetzliche und geldpolitische Änderungen stützen. So hat man etwa in 1997 die Grenze, ab der Gewinne aus dem Verkauf eines Eigenheims steuerfrei sind, auf eine Viertelmillion Dollar verdoppelt, was dazu beigetragen haben könnte, Immobilienspekulation zu erleichtern. Der politische Wille der Regierungen Bush sr. und Clinton, auch vermeintlich diskriminierten Schichten den Eigentumserwerb durch die Verringerung von Bonitäts- und Eigenmittelerfordernissen bei der Kreditgewährung zu ermöglichen, werden auch häufig als Grund genannt, wobei eine Schrift der FED Boston in 1998 auslösend für eine rasche Absenkung der Ablehnungsquote vor allem für Minderheiten auslösend gewesen sein könnte. Die besonders lockere Geldpolitik der Notenbank in der Zeit nach 9/11 könnte dann weiter geholfen haben, die Blase noch größer werden zu lassen, ursächlich war sie mangels Existenz 1998 aber nicht.
Wahrscheinlich wird man aber keine genaue externe Ursache finden, denn Immobilienblasen vergleichbarer Natur gab es parallel zu der in den USA in Spanien und Irland, bereits vorher startend im Vereinigten Königreich und wahrscheinlich bis heute andauernd in Australien und Kanada. Dagegen gab es keinerlei auffällige Bewegung der Häuserpreise in vielen anderen Ländern, etwa in Deutschland, Österreich oder Frankreich, obwohl in allen EU-Ländern der Zinssatz gleich ist. Zielführender dürfte daher die Suche nach einer verhaltenswissenschaftlichen Ursache sein und aus der Verhaltensökonomik als noch vergleichsweise junger Teildisziplin kommt eine weit überzeugendere Erklärung für diese Blase und allgemein für die Bildung von Blasen an sich. Das bedarf eines eigenen Artikels.
Vorher gilt es zu klären, wie es dazu kommen kann, daß die Preise eine derartige Achterbahnfahrt hingelegt haben. Gerade der Immobilienmarkt galt ja lange Zeit als Hort der sicheren Wertanlage, denn das Eigenheim wurde als Lebensinvestition gesehen, mit dem man nicht wie mit Aktien oder Rohstoffen kurzfristig spekuliert. Die Sache beginnt ja auch harmlos. Man, nennen wir ihn Joe Sixpack, kauft 1998 eine Wohnung für sagen wir $100.000. Die Zeiten sind gut: die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, im Weißen Haus sitzt ein zum Pragmatiker gewordener und mit satter Mehrheit wiedergewählter Präsident und the maestro, Alan Greespan, gilt als unfehlbarer Gouverneur der Notenbank. Da zahlt man vielleicht um ein paar Tausender zu viel, um sich seine Traumwohnung leisten zu können, finanziert das aber noch konservativ mit einem Eigenmittelanteil von 20% und den Rest langfristig auf 25 Jahre zu einem Zinssatz von 7%, macht eine Rate von $591 pro Monat. Die Wohnung könnte größer sein, könnte auch in einer besseren Gegend sein, aber das ist, was man sich mit $2000 Einkommen pro Monat locker leisten kann. Der Case-Shiller - Index des mittleren Preises eines Eigenheims steht bei 85.
Nun kommt es durch die gute wirtschaftliche Entwicklung, durch Änderungen der Kreditvergaberichtlinien, durch niedrigere Zinsen oder was auch immer zu einem kleinen Preisanstieg bei Wohnungen. Sagen wir 2 Jahre später, 2000, würde die Wohnung für $120.000 verkauft werden können. Das ist ein Anstieg von 20% - nett, aber doch moderat. Nun haben wir aber einen Faktor, der bei Immobilien auch bei Privaten besonders stark zu tragen kommt und normalerweise nur bei hartgesottenen Spekulanten zu finden ist: den Hebel durch den üblicherweise hohen Fremdkapitalanteil. Zwar hat sich die Wohnung nur um 20% verteuert, aber das Vermögen des Eigentümers hat sich verdoppelt: $120.000 Verkaufserlös - $80.000 vorzeitige Kreditrückzahlung (gezahlte Raten mal außen vor, da sie in der kurzen Frist berechnungsneutral sind) = $40.000. Der Case-Shiller - Index des mittleren Preises eines Eigenheims steht bei 100. 
Also kauft man vom Erlös eine größere Wohnung um $200.000 und dabei sind die $40.000 die Anzahlung. Senken wir noch dazu die Zinsen auf 5% kommt man auf eine noch leistbare Kreditrate von $942. Die ist unter anderem auch deshalb noch leistbar, weil der Käufer damit rechnet, daß es mit der Wertsteigerung so weitergeht.
Und in der Tat, 3 Jahre später wird ihm für die Wohnung $260.000 geboten, denn wir stehen ausgehend von 80 Indexpunkten in 1998 mittlerweile schon bei über 130. 30% Wertsteigerung in 3 Jahren und der Eigentümer ist dadurch 1,5 mal so reich geworden, denn nach Rückzahlung des Kredits bleiben ihm $100.000. Rückblick: vor 5 Jahren hatte er $20.000. 
Da diese Preisentwicklung fast im ganzen Land stattfindet, lockern die Banken ihre Vergaberichtlinien. Es werden geringere Eigenmittel gefordert, sagen wir nur mehr 10%, und höhere Kreditraten toleriert. Das Risiko wird als weiterhin gering erachtet, denn sollte der Käufer die Raten nicht aufbringen, dann könne man das Haus gut und sogar mit Gewinn verkaufen. Der Käufer nimmt daher seine $100.000 und kauft sich nicht nur einen Porsche für $50.000, sondern ein neues Eigenheim für $500.000. Das noch vor 5 Jahren für $300.000 verkaufte Haus wird mit einem variabel verzinsten Kredit mit 2.5% finanziert. Die sich daraus ergebende Rate von $2000 wird auf 3 Jahre zur Hälfte gestundet.

Ein Jahr später wird die Wohnung mittlerweile auf $560.000 geschätzt. Der Case-Shiller - Index des mittleren Preises eines Eigenheims steht bei 140. Unser Joe Sixpack refinanziert seinen Kredit mit einen nunmehr variablen Zins von von 2% und stockt ihn auf $500.000 auf. Die Differenz von $50.000 lässt er sich bar auszahlen, wobei $5.000 als Provision an den Kreditmakler gehen. Refinanzieren zum Zweck, aus dem Eigenheim Geld für Konsumausgaben zu ziehen, setzt Eigenheime umgangssprachlich mit persönlichen Geldautomaten gleich. Wir sind im Jahr 2004.

Zwei Jahre später steht der Case-Shiller bei 186. Die Wohnung wird jetzt für $700.000 verkauft (30% Wertsteigerung in 2 Jahren) und dem 1998 mit $20.000 in den Immobilienmarkt eingestiegenen Amerikaner  bleiben als Erlös $200.000. Der Case-Shiller ist von 85 auf 186 gestiegen, sein Vermögen hat sich verzehnfacht. Leverage eben. Jetzt kauft er mit 10% Eigenmittel eine Immobilie im Wert von $1.000.000 und gibt die $100.000 überbleibenden Gewinn für Konsumgüter aus. Für die $900.000 Kredit will er nicht mehr als $500 im Monat zahlen. Das deckt nicht mal die Zinsen. Aber: Seit 20 Jahren gab es kaum Ausfälle bei privaten Hypothekarkrediten. Hat einmal ein Schuldner nicht bezahlen können, hat die Bank das Haus zwangsversteigert und den Kredit damit bedient. Auch bei dieser Immobilie rechnet man wieder mit hoher Wertsteigerung. Das Risiko sind aber in den USA immer weniger Banken bereit, einzugehen. Es bietet sich ein Ausweg an:
Kurz vor dem Wegfall der staatlichen Garantien hatten sich alle Landesbanken noch einmal mit billigem Geld vollgesogen. Dieses wanderte nun – wegen mangelnder Geschäfte in der Heimat – in amerikanische Immobilienpapiere und irische Zweckgesellschaften. Die Landesbanken zockten mit Milliardeneinsätzen, mit viel größeren Summen als die privaten Banken. Die Landesregierungen freuten sich über die schönen Gewinne – und fragten nicht nach dem Woher. Bis das sogenannte Kreditersatzgeschäft zusammenbrach.
Die German Landesbanken hatten aber keine Filialen in den USA. Dafür gab es aber spezielle Hypothekenfinanzierer wie Countrywide, die sich darauf spezialisiert hatten, Hypothekarkredite zu vergeben und als verbrieftes Bündel weiterzuverkaufen. Entweder über US-Investmentbanken wie Lehman Brothers direkt weiter an deutsche Sparer oder an Investoren wie HSH Nordbank und andere. Countrywide wurde übrigens von der Bank of America übernommen, die sich heute noch damit rumschlagen muß. Kredite dieser Art und noch viel extremerer Natur (sog. NINJA-Loans) hätte ja keine Bank direkt vergeben, aber den Maklern von Countrywide ging es nur um die Provision, da hat man schon mal ein Auge zugedrückt, wenn man einem Busfahrer eine Villa finanziert hat.

Heute gibt es Millionen von Geburtstagshäusern auf dem Markt. So nennt man die Einheiten, die länger als ein Jahr zum Verkauf stehen. In den meisten Bundesstaaten hängt der Kredit nicht am Kreditnehmer, sondern am Haus. Je nach persönlicher Einstellung zahlt der Schuldner noch für einen Hauskredit, der den Wert des Hauses bei weitem übersteigt, er meldet Privatinsolvenz an oder he just walks - er geht einfach. Das Haus unseres Beispielkäufers findet auch für $400.000 keinen Käufer. Nach einem Jahr wirft er die Schlüssel in den Briefkasten und walks. Sein Vermögen 2011: $0. Der Case-Shiller steht heute wieder dort, wo er vor 10 Jahren stand und real ist er ungefähr auf dem Stand von 1990.

Zusammengefasst:
  • eine hohe Zuversicht angesichts eines langjährigen ununterbrochener Wohlstandszuwachses

  • und ein gut gemeinter politischer Wille, jedem die Chance auf ein Eigenheim zu ermöglichen

haben die Nachfrage nach Häusern erhöht. Dann haben
  • die Aussicht auf Einkommen durch Wertsteigerung

  • und Einkommen durch Kreditvermittlung

  • gestützt durch billiges Geld

die Blase noch einige Jahre befeuert. Dann kamen schließlich noch die ausländischen Geldgeber, die sich gerade in der obereren Phase der Preisblase mit billigem Geld eingedeckt hatten und auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten waren, dazu. Die sind auf Finanzinnovationen wie RMBS getroffen, die ihnen die US-Banken bereitwillig verkauft haben. Ebenso auf Kriminelle. Damit konnten die Preise weitere ~2 Jahre steigen.  
Nach dem Verfall zurück auf das Ausgangsniveau fällt allerdings auf, daß jetzt eine ähnliche Situation vorliegt wie nach dem Platzen der Internet-Blase 2000: es sind Sachinvestitionen in großer Höhe vorhanden, die (noch) nicht gebraucht werden. Waren es damals Gewerbeimmobilien, Computer-Hardware und Übersee-Kabel, so sind es heute vor allem Privathäuser. Damals wie heute sind die Sachinvestionen aber immer noch da und können weiterverwendet werden. So haben etwa die bis 2000 geschaffenen Überkapazitäten zu großen Insolvenzen geführt, aber heute sind die damals gebauten Leitungen längst voll in Betrieb und wurden weiter ausgebaut. So wird es auch mit den Häusern ablaufen, denn es gilt nicht nur die alte Weisheit, daß Menschen immer irgendwo wohnen müssen, sondern die USA sind überdies ein Land mit stetigem Bevölkerungswachsum. Von den geschätzten 3 Millionen Häusern Schatteninventar wird es zwar noch einige Jahre dauern, bis es abgearbeitet ist, aber der Tag der Normalisierung des Häusermarktes wird kommen. Die Politik beschäftigt sich nur mit dem Thema, wie man den Übergang beschleunigen und erträglicher machen kann. Eine Möglichkeit wäre es, die Kreditnehmer, deren Häuser mittlerweile weit weniger wert sind, als an Kreditsumme zurückzuzahlen ist, zu enlasten, etwa indem der Staat einen Teil der Raten übernimmt. Entsprechende Gesetze wurden allerdings in der Bevölkerung nicht allgemein wohwollend aufgenommen, wie sich Michael Barone dieser Tage erinnert:
He points out that "the growth of self-identified conservatives" began during the fall 2008 debate over the TARP legislation supported by George W. Bush, Barack Obama and John McCain. The voters' take: "Government works for the irresponsible, not the responsible." 
That was the complaint as well of Rick Santelli in his February 2009 "rant" calling for a tea party. Santelli was complaining about mortgage modification programs that used prudent homeowners' tax money to subsidize those who had made imprudent decisions. 
Er erinnert daran, daß während der Debatten über die TARP-Gesetze im Herbst 2008 "die Bewegung der selbsternannten Konservativen an Umfang zugenommen hat". Diese Gesetze wurden sowohl vom [damaligen Präsidenten] George W. Bush als auch von [beiden Präsidentschaftskandidaten] Barack Obama und John McCain unterstützt. Das ist beim Wähler als "der Staat ist für die unverantwortlich agierenden Menschen da, aber nicht für die verantwortungsvollen Bürger" angekommen. 
Das war im Februar 2009 der Vorwurf von Rick Santelli, als er zur Gründung einer neuen Tea Party - Bewegung aufgerufen hat. Santelli hat sich über Staatshilfen für notleidende Kredite beklagt, die das Geld von verantwortungsvollen Hauseigentümern zu denen umverteilen, die unverantwortlich gehandelt haben. 
Mit letzterem ist das Home Affordable Modification Program (HAMP) gemeint, das die Kreditraten mit max. 31% des Einkommens deckeln und zu diesem Zweck den Zinssatz reduzieren, die Laufzeit strecken und schließlich auch einen Teil der Schulden erlassen soll. Natürlich sind diese und andere Hilfen ohne Nutzen für alle, die ihr Haus bar bezahlt haben, zur Miete wohnen, schon in den 1990ern gekauft hatten oder in einer nicht von der Immobilienblase betroffenen Gegend leben. Aber wie jeder weiß, der schon einmal einen Schuldnerberater bei der Arbeit beobachtet hat: ein kompromißloses Bestehen auf Erfüllung der Forderungen ohne Abschlag führt meist zu einer noch schlechteren Lösung. Immerhin steht jedem auf die Privatinsolvenz offen. Mag sein, daß der Käufer sich bewusst überschuldet hat weil er auf eine weitere Preissteigerung spekuliert hat, mag aber auch sein, daß er einfach Pech hatte weil zu dem Zeitpunkt, wo er eine Bleibe gesucht hat, die Preise halt einfach hoch so waren. Und so generös ist ein Programm, das die Ratenzahlungen bis auf 40 Jahre streckt, bevor ein Teil der Schulden erlassen wird, auch nicht. Würde man schlicht gar nichts tun, dann stünde den USA das gleiche verlorene Jahrzehnt bevor, wie es Japan nach dessen Immobilienzusammenbruch 1990 ereilt hat. Der Staat Japan hat erst knapp 10 Jahre später begonnen, massiv zu investieren und damit den Abwärtstrend aufzuhalten. Da wären Kompromisse nötig gewesen, die einerseits die Schulden zu einem Teil eingetrieben hätten, den Hauseigentümern aber auch Luft zum Leben gelassen hätten. HAMP war meiner Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung, aber das sehen sichtlich nicht alle so.  
Johann Grabner


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