28. Juli 2011

Zitat des Tages: "Das war in meinen Augen ein schwerer Fehler". Helmut Schmidt über den "Ausstieg aus der Atomenergie"

ZEITmagazin: Hätte die CDU den eingeschlagenen atompolitischen Kurs nach Fukushima einfach fortsetzen können?

Schmidt: Die deutsche Position zur Kernenergie hätte nicht ohne Rücksicht auf die europäischen Nachbarn verändert werden dürfen. Das war in meinen Augen ein schwerer Fehler, der das Vertrauen unserer Nachbarn in die deutschen Politiker ganz erheblich beeinträchtigt hat.

ZEITmagazin: Aber es kann doch durchaus Fälle geben, in denen Politiker schnell eine Entscheidung treffen müssen.

Schmidt: Ja, dann sind sie auf ihren Instinkt und ihre Erfahrung angewiesen. Aber für deutsche Politiker war Fukushima kein solcher Fall. Es war absolut nicht notwendig, von heute auf morgen das Gegenteil von dem zu beschließen, was noch 14 Tage zuvor gegolten hatte.
Helmut Schmidt im aktuellen "ZEITmagazin" gegenüber Giovanni di Lorenzo in der Gesprächsreihe "Verstehen Sie das, Herr Schmidt?".

Kommentar: Schmidt macht auf einen wenig diskutierten Aspekt des "Ausstiegs" aufmerksam: Seine Wirkung auf das Ausland.

Eine Regierung, die ohne jeden vernünftigen Grund in einer wichtigen Fragen ihren Kurs innerhalb weniger Tage um 180 Grad ändert, macht sich zunächst einmal innenpolitisch unglaubwürdig. Jeder, der einigermaßen klar denken kann, weiß, daß der Unfall in Fukushima an der Sicherheit der deutschen KKWs überhaupt nichts geändert hat. Die Regierung handelte ausschließlich opportunistisch und hat damit in Deutschland einen Vertrauensverlust erlitten, von dem ich vermute, daß er nicht mehr reparabel ist.

Man hat dem Volk nach dem Maul geredet und wider besseres Wissen auch so gehandelt. Auch wenn die Leute vom Ergebnis her mit dem "Ausstieg" einverstanden sind, machen sie sich über die Motive der Regierung keine Illusionen.

Die FDP hat sich von dem Image der "Umfaller-Partei", das auf das Jahr 1961 (!) zurückgeht, nie wirklich befreien können. Dieser Regierung wird ihr Umfallen in der Atomfrage angeheftet bleiben.

Aber das ist ja nur die eine Seite. Helmut Schmidt hat als Kanzler immer größten Wert auf Verläßlichkeit und Berechenbarkeit gegenüber dem Ausland gelegt, wie auch sein Nachfolger Helmut Kohl. Gerhard Schröder fehlte es an dieser Tugend; aber mit Angela Merkel schien sie ins Kanzleramt zurückgekehrt zu sein.

Diesen Eindruck hat sie gründlich zerstört. Sie hat der kollektiven deutschen Besoffenheit nachgeben, die für sich genommen schon genug Verwunderung in anderen Ländern ausgelöst hat. Die Regierung hat in dieser Situation nicht geführt, sondern sich von dieser Besoffenheit treiben lassen wie ein Jeck, der ziel- und willenlos durch die Massen im Kölner Karneval geschoben wird. In den Hauptstädten der Welt weiß man jetzt, was von der Berechenbarkeit dieser amtierenden deutschen Regierung zu halten ist.
Zettel



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