19. Juni 2011

Eine erstaunliche Korrelation: Staatsbankrotte und Korruption

Versucht man abzuschätzen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß ein Land seine Schulden einmal nicht zurückzahlen wird, so werden üblicherweise rein ökonomische Daten angeführt: Die Gesamtschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), das Verhältnis zwischen Staatsdefizit und BIP, schließlich auch Faktoren wie Wirtschaftswachstum oder Arbeitslosigkeit. Nach all diesen Kriterien ist etwa Griechenland offensichtlich ein Pleitekandidat: Der Schuldenstand beträgt aktuell 142,8 % des BIP, das Defizit 10,5 %, die Arbeitslosigkeit wird in diesem und dem nächsten Jahr vermutlich über 15 % betragen, und schließlich sinkt seit mehreren Jahren das BIP deutlich, 2011 wohl noch einmal um 3,5 %.

Könnte es aber nicht sein, daß die Verschuldung eines Staates (und die Gefahr eines Staatsbankrotts) mehr Ähnlichkeit mit der Verschuldung einer Privatperson (und der Gefahr einer privaten Insolvenz) hat, als man zunächst vermuten würde? Bei Privatpersonen gehen wir ja nicht davon aus, daß sich Ver- oder Überschuldung nur durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen erklären lassen. Manche Menschen sind bitterarm, kämen aber nicht im Traum darauf, überhaupt Schulden zu machen, und manche schaffen es, trotz bester Startbedigungen wie einer üppigen Erbschaft in wenigen Jahren einen gigantischen Schuldenberg aufzuhäufen. Das private Schuldenmachen und der Umgang mit vorhandenen Schulden ist eben nicht nur eine Frage des vorhandenen oder nicht vorhandenen Geldes, sondern auch eine des Charakters und der Mentalität.

Daß es sich bei der Staatsverschuldung vielleicht nicht wesentlich anders verhält, wird durch eine aktuelle Studie des Chemnitzer Ökonomen Friedrich Thießen belegt, die am 17.6. in einer Kurzfassung in der FAZ erschien (leider nicht online) und deren vollständige Fassung im Internet abrufbar ist. Thießen ist dabei auf eine "statistisch hoch signifikante Korrelation" zwischen Staatspleiten und der im jeweiligen Land herrschenden Korruption gestoßen. Letztere wird anhand des von Transparency International erstellten Korruptionswahrnehmungsindexes gemessen; die Werte liegen zwischen 0 (extreme Korruption) und 10 (keine Korruption). Für den Zeitraum von 30 Jahren beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Umschuldung bei starker Korruption (Werte zwischen 2 und 4) 68 %; bei sehr geringer Korruption (8-10) sind es weniger als 0,1 %.

Schaut man sich in der Wikipedia die entsprechende Weltkarte an, in der sehr korrupte Länder (mit Werten von 0 bis 3) rot und wenig korrupte (Werte zwischen 7 und 10) blau dargestellt werden, so erblickt man eine insgesamt tiefrote Welt mit wenigen größeren blauen Flecken in Nordamerika, Nord- und Mitteleuropa und einigen korruptionsfreien Inseln wie Japan oder Australien. Weitgehend korruptionsfrei sind also im wesentlichen die klassischen westlichen Industrieländer.

Interessant wird es nun, wenn man in der Karte etwas näher heranzoomt und sich die Korruption in Europa anschaut. Dabei stellt sich heraus, daß manche Ansichten über die PI(I)GS, die zunächst als "rassistische Vorurteile" erscheinen mögen, im Kern durchaus korrekt sind: Griechenland erhält auf der aktuellen Transparenzskala sensationell schlechte 3,5 Punkte und in Italien ist es mit 3,9 nur unwesentlich besser; die übrigen Verdächtigen wie Portugal und Spanien erreichen ebenso wie Frankreich gerade einmal Plätze im Mittelfeld (zwischen 6 und 7). Der einzige "Ausreißer" ist Irland, das sehr wenig Korruption aufweist und sogar noch einen etwas besseren Wert als die Bundesrepublik hat (7,9 vs. 8,0). Überraschend ist dies freilich nicht: daß die Probleme Irlands nicht mit zu geringer Haushaltsdisziplin zu tun haben, sondern mit einem für ein kleines Land allzu starken Bankensektor, ist unumstritten.

Thießen schließt daraus, daß die Bedienung von Schulden primär keine Frage des Könnens, sondern eine des Wollens ist, und kommt im erwähnten Artikel in der FAZ zu einem in der Sache klaren, wenn auch vorsichtig formulierten Fazit:
Man muss davon ausgehen, dass in den genannten Ländergruppen ganz unterschiedliche Einstellungen zur eigenen Verschuldung und zu den Gläubigern herrschen. EU-weite Rettungsschirme, die diese Unterschiede nicht aufnehmen, sondern pauschale Regeln für Länder „in Not" enthalten, können nicht optimal sein. Es wäre zu fordern, dass die Europäische Union diese Zweiteilung zur Kenntnis nimmt und nicht tabuisiert. [...] In Bezug auf korrupte Länder heißt das ganz konkret, dass die Struktur von Hilfen für Länder, die nur so lange kooperationsbereit sind, solange noch Nettokapitalzuflüsse erfolgen, grundsätzlich überdacht werden muss.
Im Klartext: Die griechische Schuldenkrise kann weder durch immer neue "Rettungspakete" noch durch eine Art "Marshall-Plan" dauerhaft behoben werden. Letztlich wäre es wohl das beste, dem Land jegliche internationale Hilfe zu verweigern und es einfach mit seinen Gläubigern verhandeln zu lassen.

DrNick

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