Auch in den USA hat die Tötung von Osama Bin Laden zu einer Ethik-Debatte geführt; aber in ihr ging es weniger um dieses Kommandounternehmen selbst als um die Frage, wie man in Guantánamo einen Gefangenen dazu gebracht hatte, Informationen über den Kurier al-Kuwaiti preiszugeben, dessen Spur schließlich zu Bin Laden führte (siehe Stratfors Analysen: Die Jagd nach Bin Laden und ihr geheimdienstlicher Hintergrund; ZR vom 27. 5. 2011). Es wurde und wird also über Folter debattiert.
Autor des Artikels, der zu diesem Thema gestern in der Washington Post erschien, ist der Medizinethiker M. Gregg Bloche; Mediziner und Jurist, Professor an der Georgetown University. Er läßt keinen Zweifel daran, daß er Folter - auch in der Form eines lediglich "verschärften Verhörs" (enhanced interrogation) - für ethisch nicht vertretbar hält. Aber er berichtet dennoch nüchtern über die wissenschaftlichen Grundlagen der Methoden, wie sie augenscheinlich in Guantánamo praktiziert wurden.
Sein Artikel enthält eine einfache Botschaft: Kritiker dieser Methoden argumentieren oft, diese seien nicht nur unethisch, sondern auch ineffektiv; denn ein Gefolterter würde alles "gestehen", was die Vernehmer hören wollten. Zuverlässige Informationen seien also auf diesem Weg gar nicht zu bekommen. Das, schreibt Bloche, sei unzutreffend.
Er hat sich gründlich mit diesem Thema befaßt, die wissenschaftlichen Grundlagen solcher Methoden recherchiert und mit zahlreichen Personen gesprochen, die an ihrer Entwicklung beteiligt waren; darunter dem Psychologen James Mitchell, der dabei eine führende Rolle spielte.
Beim "verschärften Verhör" geht es nicht darum, dem Gefangenen Schmerzen zuzufügen und dadurch ein "Geständnis" zu erzwingen, das in der Tat wertlos wäre. Es wird vielmehr eine Methode angewandt, die Mitchell kennengelernt hatte, als er für die Air Force ein Programm entwickelte, das in kommunistische Gefangenschaft geratenen Soldaten helfen sollte, ihren Folterern zu widerstehen.
Mitchell und ein zweiter Militärpsychologe, Kirk Hubbard, befaßten sich dazu mit den Verhörmethoden der Chinesen und fanden, daß sie nicht auf physischer Qual basierten, sondern auf der Herstellung einer psychologischen Abhängigkeit.
In einer ersten Phase sollte erreicht werden, daß der Gefangene sich hilflos und verzweifelt fühlte. Dann wurden ihm Vergünstigungen gewährt oder auch willkürlich wieder entzogen; meist von ein- und derselben Kontaktperson, oft dem einzigen Vernehmer. Das Ziel war es, daß der Gefangene sich diesem ausgeliefert und von ihm abhängig fühlen sollte. Dann wäre er bereit, das zu tun, was dieser von ihm verlangte.
Bei den Chinesen ging es meist darum, die Gefangenen zu falschen öffentlichen "Geständnissen" zu bringen. Auch Nordvietnam hat das praktiziert; abgeschossene amerikanische Piloten traten im Fernsehen auf und klagten sich selbst als Aggressoren an. Mitchell verfolgte nun den Plan, diese Methode stattdessen zur Erlangung von Informationen einzusetzen.
Er hielt sie für eine wissenschaftlich begründbare Methode; und zwar begründbar durch den bekannten Forschungsansatz eines geachteten Psychologen: Die Theorie der gelernten Hilflosigkeit (learned helplessness) von Martin Seligman.
Seligman fand im Tierexperiment, daß Tiere ein gestörtes, an Depression beim Menschen erinnerndes Verhalten entwickelten, wenn sie Schmerzreizen ausgesetzt gewesen waren, die sie nicht hatten kontrollieren können. Tiere in Vergleichsgruppen, die lernen konnten, den Schmerz durch ihr Verhalten (Drücken eines Hebels) zu vermeiden, zeigten diese Symptome nicht. Die hilflos gewordenen Tiere blieben das auch, wenn sie später in eine Situation gebracht wurden, in der sie die Schmerzreize hätten kontrollieren können. Sie hatten ihre Hilflosigkeit gelernt und blieben auch dort hilflos, wo sie hätten Kontrolle ausüben können.
Auf Gefangene übertragen bedeutet dies, schreibt Bloche, daß sie Informationen nicht deshalb preisgeben, weil sie Schmerzen entgehen möchten, sondern weil sie in einen Zustand gelernter Hilflosigkeit gebracht worden sind, der auch bestehen bleibt, wenn sie keinen "verschärften Verhören" mehr ausgesetzt sind.
Dies sei eine effiziente Methode. Sie ist aus Bloches Perspektive ethisch zu verurteilen, aber man könne ihr nicht mit dem Argument begegnen, sie sei gar nicht wirksam.
Es versteht sich, daß ich die ethische Beurteilung von Bloche teile. Folter kann in einem demokratischen Rechtsstaat nicht erlaubt sein; denn sie verletzt die Menschenwürde dessen, der ihr ausgesetzt ist. Menschen in einen Zustand gelernter Hilflosigkeit zu versetzen ist inakzeptabel, auch wenn man ihnen keine körperlichen Schmerzen zufügt. Systematische Folter, auch in der "leichten" Variante des verschärften Verhörs, ist ein Rückfall in Zeiten vor der Aufklärung.
Allerdings ist auch der Kontext, in dem das geschieht, ein Rückfall in barbarische Zeiten. Die Dschihadisten ermorden wahllos Männer, Frauen und Kinder. Sie führen einen heimtückischen Kampf, in dem sie nicht daran denken, sich auch nur an die elementaren Regeln des Kriegsrechts zu halten, geschweige denn an Menschenrechte. Der inzwischen tote Führer der Kaida im Irak Abu Musab al Zarqawi hatte sich zeitweise darauf spezialisiert, Geiseln vor laufender Kamera den Kopf mit einem Messer unter den Todesschreien des Opfers abzuschneiden.
Wer gegen eine derartige Bestialität kämpft, der gerät leicht in eine Lage, in der er es meint, es rechtfertigen zu können, wenn er seinerseits ethische Standards relativiert. Das war so, als die Alliierten im Kampf gegen die Nazis mit den Flächenbombardements gegen das Kriegsrecht und die Menschenrechte verstießen. Es ist heute so im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.
Ich teile nicht die Position derer, die argumentieren, daß es weniger verwerflich ist, einen Terroristen einem verschärften Verhör auszusetzen, als zuzulassen, daß Menschen die Glieder und Köpfe abgerissen, sie zerfetzt und verbrannt oder, wie die Opfer Zarqawis, regelrecht geschlachtet werden. Aber nachvollziehen kann ich diese Perspektive.
Wir, die wir fern vom Geschehen sind, haben mit klaren ethischen Positionen keine Probleme. Diejenige, die im Kampf gegen den Terrorismus stehen, sehen viel mehr auch die Folgen ihres Handelns; oder eben auch Nichthandelns. Am Schluß seines Artikels faßt Bloche diese beiden Perspektiven so zusammen:
Autor des Artikels, der zu diesem Thema gestern in der Washington Post erschien, ist der Medizinethiker M. Gregg Bloche; Mediziner und Jurist, Professor an der Georgetown University. Er läßt keinen Zweifel daran, daß er Folter - auch in der Form eines lediglich "verschärften Verhörs" (enhanced interrogation) - für ethisch nicht vertretbar hält. Aber er berichtet dennoch nüchtern über die wissenschaftlichen Grundlagen der Methoden, wie sie augenscheinlich in Guantánamo praktiziert wurden.
Sein Artikel enthält eine einfache Botschaft: Kritiker dieser Methoden argumentieren oft, diese seien nicht nur unethisch, sondern auch ineffektiv; denn ein Gefolterter würde alles "gestehen", was die Vernehmer hören wollten. Zuverlässige Informationen seien also auf diesem Weg gar nicht zu bekommen. Das, schreibt Bloche, sei unzutreffend.
Er hat sich gründlich mit diesem Thema befaßt, die wissenschaftlichen Grundlagen solcher Methoden recherchiert und mit zahlreichen Personen gesprochen, die an ihrer Entwicklung beteiligt waren; darunter dem Psychologen James Mitchell, der dabei eine führende Rolle spielte.
Beim "verschärften Verhör" geht es nicht darum, dem Gefangenen Schmerzen zuzufügen und dadurch ein "Geständnis" zu erzwingen, das in der Tat wertlos wäre. Es wird vielmehr eine Methode angewandt, die Mitchell kennengelernt hatte, als er für die Air Force ein Programm entwickelte, das in kommunistische Gefangenschaft geratenen Soldaten helfen sollte, ihren Folterern zu widerstehen.
Mitchell und ein zweiter Militärpsychologe, Kirk Hubbard, befaßten sich dazu mit den Verhörmethoden der Chinesen und fanden, daß sie nicht auf physischer Qual basierten, sondern auf der Herstellung einer psychologischen Abhängigkeit.
In einer ersten Phase sollte erreicht werden, daß der Gefangene sich hilflos und verzweifelt fühlte. Dann wurden ihm Vergünstigungen gewährt oder auch willkürlich wieder entzogen; meist von ein- und derselben Kontaktperson, oft dem einzigen Vernehmer. Das Ziel war es, daß der Gefangene sich diesem ausgeliefert und von ihm abhängig fühlen sollte. Dann wäre er bereit, das zu tun, was dieser von ihm verlangte.
Bei den Chinesen ging es meist darum, die Gefangenen zu falschen öffentlichen "Geständnissen" zu bringen. Auch Nordvietnam hat das praktiziert; abgeschossene amerikanische Piloten traten im Fernsehen auf und klagten sich selbst als Aggressoren an. Mitchell verfolgte nun den Plan, diese Methode stattdessen zur Erlangung von Informationen einzusetzen.
Er hielt sie für eine wissenschaftlich begründbare Methode; und zwar begründbar durch den bekannten Forschungsansatz eines geachteten Psychologen: Die Theorie der gelernten Hilflosigkeit (learned helplessness) von Martin Seligman.
Seligman fand im Tierexperiment, daß Tiere ein gestörtes, an Depression beim Menschen erinnerndes Verhalten entwickelten, wenn sie Schmerzreizen ausgesetzt gewesen waren, die sie nicht hatten kontrollieren können. Tiere in Vergleichsgruppen, die lernen konnten, den Schmerz durch ihr Verhalten (Drücken eines Hebels) zu vermeiden, zeigten diese Symptome nicht. Die hilflos gewordenen Tiere blieben das auch, wenn sie später in eine Situation gebracht wurden, in der sie die Schmerzreize hätten kontrollieren können. Sie hatten ihre Hilflosigkeit gelernt und blieben auch dort hilflos, wo sie hätten Kontrolle ausüben können.
Auf Gefangene übertragen bedeutet dies, schreibt Bloche, daß sie Informationen nicht deshalb preisgeben, weil sie Schmerzen entgehen möchten, sondern weil sie in einen Zustand gelernter Hilflosigkeit gebracht worden sind, der auch bestehen bleibt, wenn sie keinen "verschärften Verhören" mehr ausgesetzt sind.
Dies sei eine effiziente Methode. Sie ist aus Bloches Perspektive ethisch zu verurteilen, aber man könne ihr nicht mit dem Argument begegnen, sie sei gar nicht wirksam.
Es versteht sich, daß ich die ethische Beurteilung von Bloche teile. Folter kann in einem demokratischen Rechtsstaat nicht erlaubt sein; denn sie verletzt die Menschenwürde dessen, der ihr ausgesetzt ist. Menschen in einen Zustand gelernter Hilflosigkeit zu versetzen ist inakzeptabel, auch wenn man ihnen keine körperlichen Schmerzen zufügt. Systematische Folter, auch in der "leichten" Variante des verschärften Verhörs, ist ein Rückfall in Zeiten vor der Aufklärung.
Allerdings ist auch der Kontext, in dem das geschieht, ein Rückfall in barbarische Zeiten. Die Dschihadisten ermorden wahllos Männer, Frauen und Kinder. Sie führen einen heimtückischen Kampf, in dem sie nicht daran denken, sich auch nur an die elementaren Regeln des Kriegsrechts zu halten, geschweige denn an Menschenrechte. Der inzwischen tote Führer der Kaida im Irak Abu Musab al Zarqawi hatte sich zeitweise darauf spezialisiert, Geiseln vor laufender Kamera den Kopf mit einem Messer unter den Todesschreien des Opfers abzuschneiden.
Wer gegen eine derartige Bestialität kämpft, der gerät leicht in eine Lage, in der er es meint, es rechtfertigen zu können, wenn er seinerseits ethische Standards relativiert. Das war so, als die Alliierten im Kampf gegen die Nazis mit den Flächenbombardements gegen das Kriegsrecht und die Menschenrechte verstießen. Es ist heute so im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.
Ich teile nicht die Position derer, die argumentieren, daß es weniger verwerflich ist, einen Terroristen einem verschärften Verhör auszusetzen, als zuzulassen, daß Menschen die Glieder und Köpfe abgerissen, sie zerfetzt und verbrannt oder, wie die Opfer Zarqawis, regelrecht geschlachtet werden. Aber nachvollziehen kann ich diese Perspektive.
Wir, die wir fern vom Geschehen sind, haben mit klaren ethischen Positionen keine Probleme. Diejenige, die im Kampf gegen den Terrorismus stehen, sehen viel mehr auch die Folgen ihres Handelns; oder eben auch Nichthandelns. Am Schluß seines Artikels faßt Bloche diese beiden Perspektiven so zusammen:
This possibility poses the question of torture in a more unsettling fashion, by denying us the easy out that torture is both ineffective and wrong. We must choose between its repugnance to our values and its potential efficacy. To me, the choice is almost always obvious: Contempt for the law of nations would put us on a path toward a more brutish world. Conservatives are fond of saying, on behalf of martial sacrifice, that freedom isn’t free. Neither is basic decency.
Diese Möglichkeit [daß die Methode der gelernten Hilflosigkeit funktioniert; Zettel] stellt die Frage der Folter auf eine beunruhigendere Weise, denn sie verweigert uns den leichten Ausweg, daß die Folter sowohl unwirksam als auch falsch ist. Wir müssen uns zwischen ihrer Verabscheungswürdigkeit hinsichtlich unserer Werte und ihrer möglichen Wirksamkeit entscheiden. Für mich liegt die Entscheidung fast immer auf der Hand: Eine Mißachtung des Völkerrechts würde uns auf den Weg hin zu einer barbarischeren Welt bringen. Konservative sagen gern in Bezug auf Opfer im Krieg, daß die Freiheit nicht umsonst zu haben ist. So ist es auch mit der grundlegenden Zivilisiertheit.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette zeigt ein Blatt aus einer Sammlung von Dokumenten zu Methoden des "verschärften Verhörs" in Guantánamo (Für eine vergrößerte Version auf das Bild klicken). Ich empfehle Ihnen die Lektüre dieser Dokumente, wenn Sie sich ein Bild davon machen wollen, was dort stattfand und was nicht stattfand. - Die Abbildung ist als Werk der Regierung der Vereinigten Staaten in der Public Domain.