Der Koalitionsvertrag ("Der Wechsel beginnt") zwischen den Grünen und der SPD enthält eigentlich nicht viel Überraschendes: Baden-Württemberg soll halt sozialer und grüner werden, und v.a. möchte man einen neuen Politikstil pflegen, bei dem sich die Politik "auf Augenhöhe mit den Bürgern" [S. 60] befindet.
An einer Stelle wird bei man der Lektüre des Textes aber doch ein wenig überrascht, wenn man nämlich unter der Überschrift "Wahlrecht: Jede Stimme muss gleich viel wert sein" folgendes liest [S. 68]:
Unter der Überschrift "Chancengleichheit von Frauen und Männern" [S. 45] wird das Thema zwar noch einmal aufgegriffen, aber auch hier ist nur von einer "Überprüfung" die Rede; zu welchem Resultat die Überprüfung führen könnte, bleibt diffus:
Wer noch für fünf Pfennig Verstand hat, müßte eigentlich zu dem Urteil gelangen, daß ein solches Gesetz eine inakzeptable Diskriminierung von Männern darstellt und insofern gegen die Verfassung verstößt. (In diesem Sinne hat sich ja etwa der EuGH 1995 klar gegen eine nationale Regelung gestellt, die "die den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen absolut und unbedingt den Vorrang einräumt", weil diese "über die Förderung der Chancengleichheit hinausgeht und an deren Stelle das Ergebnis setzt".)
Diesen chauvinistischen Einwand, der Frauen eine "echte Teilhabe" verwehren soll, hat man natürlich antizipiert. So hat die Bundestagsfraktion der Grünen schon 2009 bei der Juristin Silke Ruth Laskowski ein Gutachten in Auftrag gegeben, das – wenig überraschend – zu dem Ergebnis kommt, daß die "gesetzliche Quotierung von Kandidatenlisten und Wahlkreisen im Vorfeld der Bundestagswahlen" mit dem Grundgesetz kompatibel ist, und nicht nur das: sie ist sogar "verfassungsrechtlich geboten", weil das Grundgesetz Männer und Frauen ja nicht nur für gleichberechtigt erklärt, sondern den Staat auch verpflichtet, die "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" zu fördern.
Wer schon immer der Auffassung war, daß die 1994 beschlossene Hinzufügung des Satzes "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin" zum Art. 3 des Grundgesetzes ein großer Fehler war, weil er den Staat letzlich verpflichtet, für Ergebnisgleichheit (und nicht nur für Chancengleichheit) zu sorgen, darf sich nun bestätigt fühlen.
An einer Stelle wird bei man der Lektüre des Textes aber doch ein wenig überrascht, wenn man nämlich unter der Überschrift "Wahlrecht: Jede Stimme muss gleich viel wert sein" folgendes liest [S. 68]:
Es ist ein demokratischer Grundsatz, dass bei einer Wahl jede Stimme gleich viel zählen muss. Verzerrungen des Votums der Wählerinnen und Wähler können zu problematischen Ergebnissen führen, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Demokratie beschädigen können.So weit, so unkontrovers. Aber worum geht es hier? Um technische Details des Wahlrechts (D’Hondt vs. Hare-Niemeyer o.ä.)? Die Größe von Wahlkreisen? Vermeidung von Gerrymandering? Wirklich konkret wird man nicht, dafür wird aber im folgenden noch ein neuer Aspekt ins Spiel gebracht:
Deshalb wollen wir das Landtagswahlrecht reformieren, damit jede Stimme gleich viel wert ist, und es dahingehend überprüfen, wie wir es geschlechtergerecht ausgestalten können.Seit der Weimarer Republik haben in Deutschland Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Was läßt sich hier noch verbessern? Was kann es überhaupt bedeuten, das Wahlrecht "geschlechtergerecht" umzugestalten?
Unter der Überschrift "Chancengleichheit von Frauen und Männern" [S. 45] wird das Thema zwar noch einmal aufgegriffen, aber auch hier ist nur von einer "Überprüfung" die Rede; zu welchem Resultat die Überprüfung führen könnte, bleibt diffus:
Beim Anteil der Frauen in den gewählten Vertretungen der Kommunen und im Landtag nahm Baden-Württemberg im Bundesländervergleich bereits in der Vergangenheit den letzten Platz ein. Nach der Landtagswahl ist der Anteil der Frauen nochmals auf nur noch 18 Prozent gesunken. Um dies in Zukunft zu ändern, wollen wir sowohl das kommunale Wahlrecht als auch das Landtagswahlrecht dahingehend überprüfen, wie wir es geschlechtergerechter ausgestalten können.Klarere Konturen gewinnt das rot-grüne Projekt eines "geschlechtergerecht(er)en" Wahlrechts, wenn man sich einen Fragebogen anschaut, den der "Landesfrauenrat Baden-Württemberg" vor der Wahl zur Beantwortung an die Abgeordneten des Landtags verschickt hat. Frage 4 lautet:
Werden Sie im Falle Ihrer Wahl aktiv dafür eintreten, dass eine Gesetzesregelung in Kraft tritt, nach der die Kandidatinnen und Kandidaten auf den Kommunalwahllisten im Reißverschlussverfahren aufgestellt werden müssen?"Reißverschlussverfahren" war mir bislang nur aus dem Straßenverkehr geläufig. Vielleicht helfen die Antworten auf die Frage weiter? Stellvertretend die Abgeordnete Brigitte Lösch:
Wir GRÜNEN haben bereits mehrfach einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform des Kommunalwahlgesetzes im Landtag eingebracht – ohne Erfolg.Der Gesetzentwurf ist leicht zu finden; vorgeschlagen wird eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes durch Einfügung des folgenden Absatzes:
Bei der Aufstellung der Listen für die Wahlvorschläge von Parteien, die weibliche und männliche Mitglieder haben, ist eine paritätische Berücksichtigung von Frauen und Männern zu gewährleisten.Im Klartext: Unabhängig davon, wie groß der Anteil der Frauen an den Mitgliedern einer Partei ist, müssen die Listen die gleiche Anzahl von Männern und Frauen enthalten, und was zunächst nur für das Kommunalwahlrecht gelten sollte, soll nun nach dem Koalitionsvertrag anscheinend auf das Landtagswahlrecht übertragen werden, und das - wohlgemerkt - nicht als "freiwillige Quote", auf die sich eine Partei einigen kann oder nicht, sondern als gesetzliche Vorschrift für jede Partei.
Wer noch für fünf Pfennig Verstand hat, müßte eigentlich zu dem Urteil gelangen, daß ein solches Gesetz eine inakzeptable Diskriminierung von Männern darstellt und insofern gegen die Verfassung verstößt. (In diesem Sinne hat sich ja etwa der EuGH 1995 klar gegen eine nationale Regelung gestellt, die "die den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen absolut und unbedingt den Vorrang einräumt", weil diese "über die Förderung der Chancengleichheit hinausgeht und an deren Stelle das Ergebnis setzt".)
Diesen chauvinistischen Einwand, der Frauen eine "echte Teilhabe" verwehren soll, hat man natürlich antizipiert. So hat die Bundestagsfraktion der Grünen schon 2009 bei der Juristin Silke Ruth Laskowski ein Gutachten in Auftrag gegeben, das – wenig überraschend – zu dem Ergebnis kommt, daß die "gesetzliche Quotierung von Kandidatenlisten und Wahlkreisen im Vorfeld der Bundestagswahlen" mit dem Grundgesetz kompatibel ist, und nicht nur das: sie ist sogar "verfassungsrechtlich geboten", weil das Grundgesetz Männer und Frauen ja nicht nur für gleichberechtigt erklärt, sondern den Staat auch verpflichtet, die "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" zu fördern.
Wer schon immer der Auffassung war, daß die 1994 beschlossene Hinzufügung des Satzes "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin" zum Art. 3 des Grundgesetzes ein großer Fehler war, weil er den Staat letzlich verpflichtet, für Ergebnisgleichheit (und nicht nur für Chancengleichheit) zu sorgen, darf sich nun bestätigt fühlen.
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