8. April 2011

Forsa im Glück

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat vorgestern 28% Zustimmung für die Grünen bundesweit ermittelt. Das sind sensationelle 7% mehr als eine Woche zuvor; "28" ist zudem eine Zahl, die sich im Unterschied etwa zur 27 auch schon als "fast 30" ausgeben läßt, wovon linke Blätter wie die Augsburger Allgemeine ("Grüne auf dem Weg zu 30 Prozent") und die Zeit ("Grüne nähern sich der 30-Prozent-Marke") sogleich Gebrauch machten.

Und schöner noch: die FDP liegt bei drei Prozent, den sprichwörtlichen "fast drei Prozent", mit denen sie seit mindestens drei Jahrzehnten bespöttelt wird.

Gestern hat Infratest dimap etwas Wasser in den Schaumwein gegossen: Grüne bei 23%, FDP bei 5%, das ergibt zwar ebenfalls noch gute Schlagzeilen ("Rot-Grün mit deutlicher Mehrheit" bei Focus, "Grüne klettern auf Rekordwert" bei RP Online), ist aber doch ein wenig glanzloser und noch dazu einen Tag später als Forsa.

Wieder einmal Forsa.
von Kallias


Vor zwei Jahren waren die Forsa-Forscher die ersten - und blieben die einzigen - welche die FDP bei den legendären 18% gesehen haben (11.2.2009). Emnid (25.2.) und Infratest dimap (5.3.) schafften nur die 17, Allensbach knackte nicht einmal die 15. Forsa hatte den höchsten und den schönsten Wert am frühesten.

Seit der letzten Bundestagswahl gelang es Forsa bereits fünfmal, aufregende Umfrage-Ergebnisse zu melden.

Am 9.6.2010 stürzte die FDP auf fünf Prozent, am 29. Juni sogar unter fünf Prozent. Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen lieferten die 5 erst eine Woche später, Emnid gar erst am 21. Juli, Allensbach gelang es gar nicht. Unter 5% hatte die FDP im Sommer 2010 nur Forsa.

Am 21. Juli konnte Forsa melden, daß Rot-Grün die absolute Mehrheit erringen würde: SPD und Grüne hatten damals zusammen mehr Zustimmung als die Union plus FDP plus Linkspartei. Allensbach sah die absolute Mehrheit erst am 17. August, Emnid am 1. September, die Forschungsgruppe Wahlen (Projektion) sogar erst am 10. September.

Am 22. September zogen die Grünen erstmals mit der SPD gleich, nämlich bei Forsa. Am 6. Oktober zogen sie sogar an ihr vorbei, das gab dann nochmal Schlagzeilen. Kein anderes Institut sah je die Grünen vor der SPD.

Mitte Dezember stürzte die FDP zum ersten Mal auf 3% ab; bei Forsa. Das kam gerade passend zur Debatte um den Vorsitzenden Westerwelle im Vorfeld des Dreikönigstreffens - und hat sie in der Folge sicherlich noch verschärft. Infratest dimap hatte die FDP erst am Dreikönigstag selber unter 5%, konnte aber die beliebte "3" nicht liefern; Emnid brachte 4% am 30. Januar, als Westerwelle schon längst wieder fest im Sattel saß; die Forschungsgruppe Wahlen und Allensbach sahen die Freien Demokraten nie unter 5%.

Den fünften und größten Coup landete Forsa jetzt mit ihren fast 30% für die Grünen, bei gleichzeitig 3% für die FDP. Die absolute Mehrheit für Grünrot ist auch da, mit 51%. Dieses Umfragergebnis dürfte kaum noch zu toppen sein. Alle Sensationen, die jetzt noch kommen könnten, müssten auf der schwarzgelben Seite stattfinden.

Sämtliche überraschenden Resultate der letzten anderhalb Jahre kamen von Forsa, mit einer einzigen Ausnahme: am 17. August überholte die SPD für kurze Zeit die Union - diesen Brocken schnappte sich Allensbach allein. Bei Forsa setzten damals gerade die SPD-Werte zum Sinkflug an, durch den einige Wochen später die Grünen vor den Sozis lagen. Man kann nicht alles haben.



Forsa hat die aufregendsten, zu den aktuellen Diskussionen perfekt passenden Zahlen regelmäßig als erster.

Woran das wohl liegt?

Überlegene Methodik, politischer Betrug, Sensationsdemoskopie - oder purer Zufall?


Die folgenden Bilder zeigen die Umfragewerte seit der Bundestagswahl von Forsa, Emnid und Infratest dimap.


Grundsätzlich zeigen alle die gleichen Trends, Forsa ist nur jeweils früher dran, wenn etwas Interessantes geschieht. So gesehen, scheint Forsa den anderen methodisch voraus zu sein.


Andererseits sind die Abweichungen bei den Zahlenwerten doch recht groß. Im vergangenen Sommer lagen z.B. die Grünen monatelang 3% über dem Wert, den die anderen Institute hatten, die SPD 3% darunter.

Zufall ist zwar eine ausgezeichnete Erklärung für das meiste, was im Leben so geschieht. Die Abweichungen zwischen Forsa und den übrigen Instituten sind allerdings so groß, daß der Glaube an den Zufall schon ein wenig arg strapaziert wird.

Also politisch motivierter Betrug? Dergleichen wird Forsa schon seit Jahren vorgeworfen. Der Forsa-Chef Manfred Güllner ist SPD-Mitglied und Freund von Gerhard Schröder. Wenn dann einmal passende Umfragewerte dazukommen, genügt das vielen schon, ihn politischer Absichten zu verdächtigen. So schreibt die Wikipedia:
Die Forsa in der Vergangenheit vorgeworfene SPD-Nähe hat sich nach der Bundestagswahl 2005 deutlich relativiert und ins Gegenteil umgekehrt. Bereits 2007 und mehr noch im ersten Quartal 2008 ermittelte Forsa Umfragewerte für die SPD, die durchschnittlich um ca. 5 Prozentpunkte unter den Zahlen der anderen Meinungsforschungsinstitute lagen. Daher erheben sich in jüngerer Zeit Vorwürfe gegen Forsa, nach dem Ausscheiden von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als Freund des Institutsleiters Manfred Güllner gilt, gegen die SPD und eine festgestellte Abkehr vom „Reformkurs“ zu demoskopieren.
Klare Beweise für dergleichen Manipulationen gibt es nicht, so daß man diese Vorwürfe am besten auf sich beruhen lässt.

Sensationsmache ist ein weit weniger harter Vorwurf, den man insofern etwas plausibler finden kann. Vielleicht haben sie bei Forsa ja neulich 27,49% für die Grünen ermittelt und mittels eines ganz kleinen Drehs an irgendeiner Gewichtung daraus 27,51% gemacht und dann auf 28% korrekt gerundet. Verändert, "manipuliert", werden die erhobenen Rohdaten ohnehin, um die zahlreichen Fehlerquellen auszugleichen, die es bei Meinungsumfragen gibt. Ein minimaler Eingriff, um die Zahlen noch ein wenig aufregender zu machen, ist ja wohl nur eine ganz kleine Sünde, da der Wert der Umfrage damit kaum in Frage gestellt wird. Das umso mehr, als die Ergebnisse von Umfragen grundsätzlich recht ungenau sind: Forsa gibt dafür ein Intervall von +/- 2,5% an. Grafisch läßt sich das etwa so andeuten:

Ob eine Ganzzahl, die veröffentlicht wird, nun gerade 17 oder 18 lautet, spielt angesichts dieser Ungenauigkeit überhaupt keine Rolle. Sollte man es "Güllner", wie die Forsa-Verächter gerne sagen, vorwerfen, wenn sie in dieser Situation an die Schlagzeile denken würden?

Aber auch an solche Aufpolierungen möchte man nur ungern glauben.



Forsa misst etwas anderes als die anderen, das scheint mir die plausibleste Erklärung zu sein. Was könnte das sein?

Sehen wir uns zum Vergleich die Forschungsgruppe Wahlen an: sie veröffentlicht zwei Serien von Umfrage-Ergebnissen, die sie "Projektion" und "Stimmung" nennt:
Bei der Projektion werden auch „längerfristige Überzeugungen und auch taktische Überlegungen“ der Wähler berücksichtigt. Die Daten der Sonntagsfrage ohne diese zusätzliche Gewichtung veröffentlicht die Forschungsgruppe Wahlen unter der Bezeichnung politische Stimmung.
Das obere Bild zeigt den Verlauf der "Stimmung", das untere der "Projektion":
Indem die langfristigen Haltungen einbezogen werden, glättet sich die Kurve. Forsa, im Unterschied dazu, hat besonders starke Schwankungen zu bieten. Das bedeutet wohl, daß Forsa andere Korrekturen an den Rohdaten vornimmt als die FG Wahlen und die anderen Institute.

Forsa, so will mir scheinen, gibt keine Antwort auf die Frage, wer gewinnen würde, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären - eine Frage, die übrigens fern des Wahltermins nicht einmal besonders interessant ist. Sondern Forsa scheint es darum zu gehen, Trends in der Wählergunst möglichst frühzeitig zu erkennen.

Wohl nicht ohne Grund bezeichnet Forsa seine Zahlen als "Wahltrend" und nicht als "Projektion" oder dergleichen. Das ist meine Hypothese: die Zahlen werden korrigiert, indem irgendwelche Frühindikatoren für politische Stimmungswechsel einbezogen werden, und nicht wie bei anderen die langfristig stabilisierenden Faktoren.

Die besonders heftigen Ausschläge bei den Grünen könnten z.B. darauf zurückzuführen sein, daß Forsa den Übergang der Grünen von einer Stammwähler- zu einer Wechselwählerpartei früher und entschiedener berücksichtigt hat.

Falls das so sein sollte, dann wären nicht die Zahlen, die Forsa nennt, die eigentliche Botschaft, sondern die Differenzen: plus 7 für die Grünen, minus 2 für die FDP. Das ist zur Zeit der Trend. Die einen erschließen sich breite Schichten, den anderen laufen sogar die hartgesottenen Stammwähler weg.

Damit ist natürlich keineswegs ausgeschlossen, daß Forsa in letzter Zeit auch ein Quentchen Glück gehabt hat.


Nachtrag (10.4.): Manfred Güllner ist dabei, seine Nachfolge bei Forsa zu regeln: voriges Jahr trat seine Tochter Corinna in die Geschäftsführung ein, dieses Jahr im Januar ein Joachim Koschnicke, der seit 1999 im CDU-Bundesvorstand tätig ist, seit einigen Jahren dort als "Bereichsleiter Strategische Planung". (Siehe Focus vom 17.1.) Er gilt als sehr loyaler Mitarbeiter Merkels und Anhänger ihres "Linkskurses", und steht von Haus aus links von der CDU. (Ob er Mitglied der Partei ist, weiß ich nicht.)

Mir scheint, Koschnicke ist so ein ähnlicher Typ wie Güllner: er hat eine persönliche Bindung an eine Partei, mit der er inhaltlich nicht ganz übereinstimmt, und an deren Vorsitzende, mit der er noch enger verbunden ist. Falls es bei Forsa eine politische Agenda gibt, was ich nicht recht glaube, dürfte sie sich nur wenig ändern.

© Kallias. Die den Bildern zugrundeliegenden Zahlen habe ich Sonntagsfrage Bundestagswahl entnommen. Für Kommentare bitte hier klicken.