4. April 2011

Biografien. Ein deutscher Dialog. Andrea an Zettel (3)


Lieber Zettel,

da hatte ich ja erstmal zu googeln!
Dávila? Also, dass Sie über Fettleber oder fortschreitende Diabetes schreiben war eher unwahrscheinlich...
Inzwischen habe ich den Kolumbianer gefunden, aber das ist ja so traurig! Bar jeglicher Illusionen, Hoffnungen, Träume.
Ich kenne seine Geschichte nicht, aber ich glaube, dass eine solche Resignation nur einer tiefen Einsamkeit entspringen kann.

Einsamkeit, auch Heine empfindet sie ...
Spontan fielen mir die ersten vier Zeilen seiner "Nachtgedanken" ein:

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
dann bin ich um den Schlaf gebracht.
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
und meine heißen Tränen fließen.


So sehe ich Sie, lieber Zettel denn ich weiß, dass Sie oftmals nachts oder früh am Morgen schreiben.

"Menschen haben kein Recht, andere Menschen zu erziehen", lese ich bei Ihnen.
Ja, wenn es darum geht andere zu manipulieren, Ihnen Ideologien oder Glaubensinhalte aufzuzwingen.
Nein, wenn ich Erziehung (Ich bin Lehrerin!) als ein Vermitteln von Regeln und Ordnung, als Gerüst, als Stütze für die kindliche Entwicklung definiere. Nein, wenn Erziehung ein Begleiten, ein Fördern, eine Trainingsmöglichkeit in bedingungsloser Liebe für Heranwachsende darstellt. Dann haben diese sogar ein Recht darauf, erzogen zu werden! Und wir haben das Recht, dabei auch Fehler zu machen.

Und so sehe ich junge Erwachsene in meinem Umfeld, die lebenstüchtig, lebenshungrig und kritisch auf das Geschehen in Deutschland blicken. Die nicht gleichgültig oder lebensmüde sind. Und dazu gehören Gorleben (unsere Tochter – 19 – war dort) und der Atomkraft-Nein-Danke-Sticker, den unser Sohn (24) trägt. Kein Wunder, schließlich haben wir sie "erzogen" und ihnen Pausewang zu lesen gegeben. Dass wir Alten lange nicht mehr so radikal denken und das "schwarz-weiß-only" inzwischen auch Farben zu lässt ist dann unser Ding und kann ein Bereicherung sein, wenn es zur Diskussion führt. An Auseinandersetzungen wachsen wir und unsere Kinder. Nur Verstummen ist tödlich.

Lieber Zettel, als junge Frau habe ich auch mal gedacht, ich könne die Welt verändern!
Inzwischen ist mir klar und ich weiß es wirklich, "Welt verändern" geht nur, soweit meine Arme reichen! Und bei meinem Nächsten ist es vielleicht ebenso...

Und wenn ein ganzes Volk besoffen ist, werden wir es nicht kollektiv ausnüchtern können, aber vielleicht doch einzelne, die, die in Arm-Reichweite sind. (Die Hauptsache, sie trinken keine braune Brühe!)
Ich habe in der letzten Zeit viel von meinem Mann gelernt und lerne in ZR.

Nochmal zum Googeln. Unsere Klassiker sind alle in Deutschland eingelagert. Und wie ging jetzt das Heine-Gedicht weiter? Also...

Ich hätte mit mehr politischen Gedanken gerechnet, mit Sicherheit muss das in meiner Schulzeit auch so ausgelegt worden sein.
Aber – er sehnt sich nach Geborgenheit, nach der Mutter, nach dem Frieden und der Liebe der Kindheit.
Wieder naiv sein, wieder glauben, wieder hoffen spielt das eine Rolle, lieber Zettel?

Jetzt bin ich doch nicht auf den Obrigkeitswahn eingegangen, aber das war ja noch nicht mein letztes Wort!

Herzlich
Andrea

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